«Quereinsteiger sollen während Lehrerausbildung Geld erhalten», Ausgabe vom 19. August
Der Schreibende unterrichtete von 1969 bis 2006 an der Sekundarschule Cham. Den Impetus für meinen Unterricht beschreibt kurz und präzis Hartmut von Hentig’s Forderung an jede Schule: «Die Menschen stärken, die Sachen klären.»
Aus heutiger Sicht war meine Vor- und Ausbildung zum Lehrberuf denkbar ungenügend und mit minimalem Alltagspraxisbezug: Nach einer A-Matur (Sprache zentral, dazu Altgriechisch und Latein) verlieh die Ausbildung an der Uni Zürich zwar einen guten fachlichen Hintergrund auf Hochschulniveau; die pädagogische Seite, auch Didaktik und Methodik, war sehr theorielastig (in der mündlichen Pädagogikprüfung diskutierte ich mit Professor Weber über die platonische Ideenlehre).
Zweimal zwei Wochen stand ich in Praktika vor einer Klasse, die Praktikumslehrer arbeiteten an andern Aufgaben ... Ich hatte zwar ferienhalber in vielen Jobs gearbeitet, eine eigentliche Berufserfahrung hatte ich aber nicht. Wie stand ich da, am ersten Unterrichtstag im Frühling 1969 vor meinen damaligen 1. Sek.-Mädchen und -Buben?
Im Rückblick als nunmehr 80-Jähriger sehe ich deutlich, dass auch die sorgfältigste Ausbildung zur Lehrerin, zum Lehrer, das Quäntchen «Naturgabe zum Lehren» nicht ersetzen kann; so notwendig eine strengen Massstäben gehorchende Ausbildung auch sein muss. Lehren ist (auch) eine Kunst. Das Talent dazu steckt nicht in allen, ungeachtet jeglicher Diplome.
Deshalb sollten wir «Quereinsteigern», die jetzt zu Hunderten schweizweit die Lücken füllen, die Chance geben, ihr Talent für diese Kunst zu entdecken und zu offenbaren. Vielleicht bringen sie mit ihrer Lebens- und Berufserfahrung innovatives Denken mit, können Strukturen hinterfragen, die an den realen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen vorbei in die Schule hineinorganisiert wurden. Wenn sie mit Begeisterung und mit viel Empathie ihren Schulalltag meistern, könnten sie der einen oder andern Lehrperson mit Diplom Vorbild sein.
Übrigens, erst gegen 50 wurde mir so richtig klar bewusst: Ich unterrichte für’s Leben gern. So gern, dass ich bis zum 70. Altersjahr in zahllosen Aushilfen und Stellvertretungen einsprang: «Die Menschen stärken, die Sachen klären.»
Arnold Frei, Hagendorn