Tinder statt Rock’n’Roll

Ausgeh-Kulturen verändern sich so rasant wie die Digitalisierung voranschreitet. Da bleibt zuweilen auch die Romantik auf der Strecke.

Stefan Welzel
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Stefan Welzel

Stefan Welzel


Kürzlich an einer Infoveranstaltung eines grossen Kulturhauses: Die Verantwortlichen erklären, dass die Konkurrenz lokal wie national sehr gross ist und es deshalb schwierig ist, Publikum anzulocken. Das ist nicht erstaunlich, denn tatsächlich hat sich in den vergangenen 20 Jahren viel im Nachtleben grosser Schweizer Städte getan.

Neulich versicherte mir ein umtriebiger Zürcher Künstler, der schon in Berlin und London gelebt hat, wie ihn Luzern ausgangstechnisch positiv überrascht. Da sei – tatsächlich der ­O-Ton des Szenekenners – sogar Zürich vielerorts langweilig dagegen. Luzern und sein «kleines Kreuzberg», die Baselstrasse, als der «neue heisse Scheiss» der hippen, alternativen Partyszene? Klingt irgendwie komisch. Doch für eine im internationalen Vergleich kleine Stadt weist Luzern tatsächlich eine hohe Dichte an entsprechenden Lokalen auf. Nun bemerkten besagte Chefs des Klubs im Süden der Agglomeration noch einen ganz anderen Umstand.

Einschlägige Intention

Einen, der den anwesenden Kulturfreunden ein bitteres Schmunzeln entlockte: Weitere Konkurrenten unsere Kulturhäuser seien Netflix, Spotify und ... Tinder. Wie bitte? Die Dating-App mit einschlägiger Intention, Menschen nicht nur zum Kaffeetrinken zusammenzuführen, gräbt den Ausgehlokalen die Gäste ab? Tinder statt Elektro und Rock ’n’ Roll? «Aber klar!», denkt sich die Jugend von heute. Man geht ja nicht wirklich wegen der Musik in ein Konzert oder in die Disco, sondern um die nächste Liebschaft an Land zu ziehen. Wieso also viel Geld für den Kunstkram und die Party mit nachträglichem Kater ausgeben, wenn man dank Tinder direkt sein Ziel erreicht? Da kommt man als jemand, der kein «Digital Native» ist, etwas ins Grübeln. Ist das heutige Ausgehvolk tatsächlich so simpel gestrickt? Vielleicht. Wenn man aber ehrlich ist, muss man anerkennen, dass es auch früher bei den meisten primär um das eine ging.

Bleibt die romantische Frage im Raum: Lässt sich dieses eine im Idealfall nicht mit dem anderen kombinieren? Kultur, Tanz, Ausgelassenheit an der Bar oder dem Kneipentisch und die stete, prickelnde Aussicht, dort jemanden kennen zu lernen? Deshalb, liebe Jugend: Nehmt euer nächstes Tinder-Date doch einfach mit ans Rockkonzert oder die Minimal-Techno-Party, die Nächte sind ja lang im hippen Luzern. Mit etwas Glück erzählt euch dort ein weitgereister Zürcher Künstler etwas vom wilden Berlin zur Wendezeit – sofern euch das interessiert und ihr nicht damit beschäftigt seid, eurem Date eine Spotify-Songliste zusammenzustellen.