Die Sozialdemokraten wollen das Recht auf Asyl in Dänemark abschaffen. Stattdessen solle das Land Flüchtlingslager in Nordafrika betreiben.
Niels Anner, Kopenhagen
Mette Frederiksen, Chefin der dänischen Sozialdemokraten, will einen radikalen Wandel in der Asylpolitik – nicht nur für ihre Partei, sondern auch für die nationale Politik und letztlich ganz Europa. In einem Dokument stellte die 40-Jährige diese Woche Forderungen auf, die selbst gestandene Politfüchse überrumpelt haben.
Kurz gesagt, will Frederiksen das Asylrecht auf dänischem Boden abschaffen: Es soll für Nicht-EU-Bürger nicht mehr möglich sein, in Dänemark ein Asylgesuch zu stellen. Wer es versucht, so der Plan, soll in ein von Dänemark geführtes Lager in Nordafrika gebracht werden, wo das Gesuch behandelt wird. Ins Land gelassen werden sollen lediglich noch direkt von der UNO ausgewählte Quotenflüchtlinge. Für alle anderen soll gelten: Wem in den nordafrikanischen Lagern Asyl gewährt wird, der soll danach sein Leben in einem UN-Lager fortsetzen. Das Ziel sei, sagt Frederiksen, dass Flüchtlinge gar nicht erst nach Europa zu gelangen versuchen. Die UNO solle stattdessen Anlaufstelle für Flüchtlinge in Nahost oder in Afrika werden.Dazu brauche es harte Verhandlungen. Doch dann könnten Tote im Mittelmeer verhindert werden, sagt die Sozialdemokratin, die Chefin der grössten dänischen Partei, die aber in der Opposition ist. Ihren umstrittenen Vorschlag bezeichnet sie als «nötig, wenn wir für Dänemark und für die Flüchtlinge sorgen wollen». Letzteres will sie mit mehr Entwicklungsgeldern erreichen.
Für Dänemark dagegen fordert Frederiksen eine Begrenzung der Anzahl «nichtwestlicher» Personen; das Parlament solle laufend die Obergrenze festlegen – zum Beispiel nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes. Gleichzeitig will Frederiksen die Integration verbessern und die Anforderungen an Sozialhilfe beziehende Ausländer erhöhen.
Dass die Verschärfungen von den Sozialdemokraten kommen, löst in Dänemark Erstaunen, aber keine Schockwellen aus. Die Partei politisiert in vielen Bereichen in der Mitte, unterscheidet sich bisweilen nur wenig von den regierenden Liberalen – und Frederiksen hat in den letzten Jahren immer stärker auch mit der rechtspopulistischen dänischen Volkspartei (DF) geflirtet. Diese hat mit einer sozialen, aber ausländerfeindlichen Politik erfolgreich Wähler der Linken abgeworben. Doch nun positioniert sich Frederiksen für einen künftigen Wahlkampf mit einem Thema, bei dem in den vergangenen 15 Jahren die Bürgerlichen zusammen mit der DF das Sagen hatten. Wenn Frederiksen hier ihre Pflöcke einschlägt, kann sie zwar nicht wie bisher mit Unterstützung der kleineren linken Parteien rechnen. Aber sie kann, so das Kalkül, ihre Wählerbasis verbreitern – und wenn nötig eine Koalition mit Rechts ins Auge fassen.
Die Reaktion des DF-Vorsitzenden Kristian Dahl war entsprechend: warum bis zu den Wahlen warten, warum nicht gleich die Asylpolitik revolutionieren? Seine Partei hatte Flüchtlingslager in Afrika schon früher angedacht. Frederiksen bezeichnete dies damals als «unanständig». «Wir können nicht Leute wie Umzugskisten herumschieben», erklärte sie. Doch heute sei die Situation anders. Der Grossteil der politischen Gegner, aber auch Asyl- und Rechtsexperten reagierten allerdings mit Kopfschütteln: Inhuman, nicht mit den Menschenrechten vereinbar sei der Vorschlag – und unrealistisch. Insbesondere die Idee von «sicheren dänischen Lagern» in Nordafrika wird kritisiert, denn keines der dortigen Länder gilt als stabil. Tunesien hat bereits Widerstand angekündigt.
Zudem, so Frederiksens Gegner, müsste eine solche Politik mit der EU und der UNO koordiniert werden, wo sich grosse Fragezeichen auftun. Kommentatoren attestieren Frederiksen zwar, ein drängendes Problem aufzuzeigen – die nicht funktionierende Flüchtlingspolitik. Doch mit einer Hauruckübung, die sich nicht umsetzen lasse, lasse sich Wahlkampf betreiben, aber keine Probleme lösen. Andere heben warnend den Zeigefinger: Viele heute umgesetzte Verschärfungen der Einwanderungspolitik hätte man noch vor 15 Jahren nicht für möglich gehalten.