PREMIERE: Viel Geschepper und Katzenjammer

Das Luzerner Theater eröffnet die Sprechtheatersaison mit Jeremias Gotthelfs «Die schwarze Spinne». Regisseurin Barbara David-Brüesch erzeugt eine grosse Show, die nicht aber alles einhalten kann, was sie verspricht.

Julia Stephan
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Lukas Darnstädt hält die Show am Laufen als smarter, teuflischer Alleinunterhalter. (Bild: Ingo Höhn/PD)

Lukas Darnstädt hält die Show am Laufen als smarter, teuflischer Alleinunterhalter. (Bild: Ingo Höhn/PD)

Julia Stephan

julia.stephan@luzernerzeitung.ch

Was für ein abgefahrenes, in Gewaltdarstellungen sich überschlagendes Stück Fantasyliteratur hat der Schweizer Autor Jeremias Gotthelf (1797–1854) im 19. Jahrhundert mit seiner Novelle «Die schwarze Spinne» da zusammenspintisiert! Ein von Rittern unterdrücktes Dorf soll seinem kapriziösen Herrscher hundert Buchen vor die Behausung pflanzen.

Der Teufel bietet schnelle Dienstleistung in Sachen Transport und fordert als Lohn ein ungetauftes Kind. Als der ausbleibt, richtet eine schwarze Spinne in entfesselter Zerstörungslust Tier und Mensch zugrunde. So lange, bis eine gottesfürchtige Mutter unter Einsatz ihres Lebens die Spinne in das Loch eines Pfostens sperrt.

Macht und Ohnmacht

Mit volkserzieherischem Eifer mahnt Gotthelf uns an vieles, für das die Novelle heute noch ins­trumentalisiert wird: Sei bescheiden! Lasse dich nicht auf zwielichtige Geschäftspartner ein! Glauben gibt Kraft! Trotz macht alles noch schlimmer! Böses zieht Böses an! Schiebe Schuld und Verantwortung nicht ab und keinesfalls in die Zukunft! Und denke nie zuerst an dich, sondern an andere!

Gerade deshalb, und weil die Novelle auch eine intensive Auseinandersetzung mit der Legende als Angsterzeugungs- und Machtinstrument ist, bleibt sie aktuell. Am Theater Basel wird gerade der Originaltext gesponnen (Regie führt Tillman Köhler), das Luzerner Theater setzte bei der Eröffnung seiner Sprechtheatersparte am Freitagabend ebenfalls auf die Wirkung der Spinne. Allerdings dampft Regisseurin Barbara David-Brüesch mit der Autorin Anita Augustin Gotthelfs Bandwürmer auf ­knappe, eingängliche, manchmal sanft helvetisierte oder angeschwäbelte Sätze, welche Bauer und Ritter als eigenständige Bühnenfiguren aus dem erzählenden Originaltext herauslösen.

Die starken Emotionen dieser Gewaltorgie hat Brüesch in eine musicalhafte Anlage übersetzt. Die Kompositionen von Knut Jensen, die so manchen Ohrwurm aus der Popkultur zitieren, um ihn dann gleich wieder zu verfremden, hat mindestens genauso viel Einfluss auf die Inszenierung wie Gotthelfs Text.

Die Musik übersetzt das gärende Unbehagen der Dorfgemeinschaft, für die der Text ­keine direkte Rede hat. Die Schauspieler sprechen nicht, sie brüllen, singen und jaulen zu der Musik aus der Orchestergruft, wo Keyboard (Kenneth Niggli), Schlagzeug (Hannes Junker), Kontrabass (Madlaina Küng) und Hackbrett (Nayan Stalder) die Welt aus den Fugen heben. Und das alles zum Bühnenbild von Alain Rappaport, das ständig in Bewegung ist, in dem angespitzte Baumstämme über den Menschen hängen wie Speere, kein Stein am Ort bleibt und die Nebelmaschine die Sicht auf die Welt verdüstert. Hier wird laut Spielplan in der nächsten Inszenierung mit Reportagen von Erwin Koch auch die monetäre Schuldbegleichung aufs Tapet gebracht («Die schwarze Null»).

1.-August-Rede von Ueli Maurer

An eine moderne Vereinnahmung der Spinne erinnert man in Luzern mit dem Auftritt von Ueli Maurer. Maurer und seine 1.-­August-Rede leben in der karikaturhaften Darstellung durch Yves Wüthrich nochmals auf. «Manchmal habe ich den Eindruck, so wie wir heute mit unseren traditionellen Werten umgehen, seien wir drauf und dran, den Pfropfen aus dem Loch zu reissen ...», sagt der SVP-Bundesrat und zieht mit dem Aufbau dieser Drohkulisse gleich selbst den Pfropfen aus dem Pfosten. Und schon treiben die bösen Geister, die er rief, auf der Bühne ihr Unwesen.

Stumpfes SVP-Bashing ist die Inszenierung deshalb nicht. Den Mythos als Machtmittel nutzen alle Vertreter der Macht. Wenn Christian Baus als ätherisches, langhaariges Wesen, eher einer New-Age-Erscheinung als einem Pfarrer des 19. Jahrhunderts gleichend, mit Zitaten des strafenden Gottes die Menschen mit allerlei Bibellatein zu Kreuze kriechen lässt, macht ihn das zu keiner Lichtgestalt.

Die Dorfbewohner (Jakob Leo Stark, Alina Vimbai Strähler, Yves Wüthrich) werden mit ulkiger Kostümierung zu dümm­lichem Bauernpersonal degradiert: Man trägt bizarre Schleifen im Haar, Sträflingsarbeiterkleidung und einen Kropf am Hals. Im Kollektiv krümmt man sich unter den Wortkaskaden des Pfarrers genauso wie unter der teuflisch-sanften Rede des Teufels, der mit dem zierlichen Lukas Darnstädt zu einem leisen, aber gerade deshalb umso genialeren Entertainer wird, der die Dörfler als Marionettenspieler an der Nase herumführt und den Zuschauer als Erzähler.

Die Wirkung verpufft mit der Zeit

Eine grosse Show ist das, die von viel Videoeffekten, Geschepper und Katzengejammer begleitet wird. Das ist anfangs witzig, mit zunehmender Dauer der Inszenierung aber wirkungslos und eher langweilig. Wenn der tyrannische Ritter von Stoffeln (Gastschauspieler Thomas Douglas)mit seinen kläffenden Ritterhunden in der grotesken Erscheinung einer Transe im Military-Look weinerlich lamentiert, dass Gewalt nun auch keine Wirkung mehr erziele, wirkt das schon fast wie ein Kommentar auf diese Inszenierung, die sich irgendwann nur noch gefällt in der lärmigen Umsetzung von Gotthelfs Katastrophenszenario, anstatt die Idee ihrer klugen Ouvertüre weiterzuverfolgen.

Immerhin wird so manche ­Figur, die in Gotthelfs volkserzieherischem Übereifer in die böse Ecke gestellt wurde, hintersinnig rehabilitiert. Etwa Christine, die unbeliebte Fremde vom Bodensee, die bei Gotthelf den Pakt mit dem Teufel erst besiegelt, indem sie sich einen Kuss von ihm auf genau jene Wange hauchen lässt, aus der später die böse Spinne ­herauskriecht.

Verena Lercher macht aus ihr eine selbstbewusste rothaarige Femme fatale mit Charakter. Ein Freigeist, der sich nicht vom mahnenden Finger der Kirche unterordnen lässt und anders als in der Urfassung schliesslich den Unterschied zwischen stumpfer Pflichterfüllung und innerer Verpflichtung rechtzeitig erkennt.

Hinweis

«Die schwarze Spinne» nach ­Jeremias Gotthelf. Luzerner Theater, Bühne. Nächste Termine: 4./8./13. 10. bis 27. Dezember. www.luzernertheater.ch