RESILIENZ: Die Überlebenskünstler

Einige zwingt eine missglückte Liebe in die Knie, andere überleben Kriege seelisch unbeschadet: Was ­haben Widerstandsfähige, was den Anfälligen fehlt? Innere Stärke, sagte man früher. Resilienz heisst das heute.

Diana Hagmann-Bula
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Sie bleiben gelassen, auch wenn das Leben um sie herum tobt: Resiliente schaffen es so schneller aus Krisen heraus als andere. Bild: Getty (Bild: Getty)

Sie bleiben gelassen, auch wenn das Leben um sie herum tobt: Resiliente schaffen es so schneller aus Krisen heraus als andere. Bild: Getty (Bild: Getty)

Diana Hagmann-Bula

27 Jahre lang sass er hinter Gitter. Doch er liess sich nicht brechen vom Apartheidregime. Wieder auf freiem Fuss, setzte er seinen Kampf gegen den Rassismus fort, als hätte es keinen Unterbruch gegeben. Nelson Mandela, der erste schwarze Präsident Süd­afrikas, ist einer der bekanntesten Vertreter der Resilienten. Jener also, die mit Krisen erfolgreich umgehen.

Doch man muss nicht in die Welt der Berühmten eintauchen, um Resilienz zu entdecken. «Sie ist eine alltägliche Magie», sagt Donya A. Gilan, Psychologin und wissenschaftliche Leiterin des deutschen Resilienzzentrums an der Universität Mainz. Krisen gibt es, seit es Menschen gibt. Und seit es Menschen gibt, gibt es solche, die Rückschläge besser verkraften als andere. «Nur betreffen Krisen heute oft nicht mehr nur das Individuum, sondern die ganze Gesellschaft. Resilienz ist ein fruchtbares Konzept, um eine allgemeine soziale Robustheit zu entwickeln. Deshalb liegt sie gerade im Trend», sagt Gilan. Sie weist damit auf die vielen Titel in Buchhandlungen zu diesem Thema hin, die zahlreichen Seminare, welche angeboten werden: «Jeder möchte sich nun damit brüsten.»

Der grösste Schutz ist Bindung

Dabei wird Resilienz schon seit den 1950er-Jahren erforscht. Die US-amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner begann damals, Buben und Mädchen, die auf der hawaiianischen Insel Kauai lebten, zu beobachten. Kauai ist ein Paradies. Was die Natur betrifft, nicht aber wenn es um die Lebensumstände geht. Viele Eltern arbeiteten auf Zuckerrohrplantagen, waren arm, dem Alkohol verfallen, sie vernachlässigten die Mädchen und Buben, misshandelten sie gar. Kein leichtes Dasein, schon gar keines, das für eine erfolgreiche Entwicklung spricht. Zwei Drittel der Kinder hatten später tatsächlich Pro­bleme. Sie interessierten Emmy Werner nicht; Werner begleitete jene weiter, die trotz düsterer Prognosen ein zufriedenes Leben führten. Zwar machte sie dies noch am beruflichen Erfolg, einem Lebenslauf ohne Straf­taten fest. Moderne Wissenschafter gehen tiefer. «Der allergrösste Schutz im Leben ist Bindung», sagt der deutsche Psychologe Friedrich Lösel in Christina Berndts Buch «Resilienz». Die starken Kinder von Kauai hatten das, vielleicht nicht in der Familie, aber in der Nachbarschaft. Wer sich ­geborgen fühle, sei widerstandsfähiger.

Auch das Temperament beeinflusst den Resilienz-Faktor. Emotional Stabileren fällt es einfacher, mit Herausforderungen umzugehen als Unausgeglichenen. Um Schicksalsschläge zu ertragen, ist zudem der Glaube daran nötig, etwas bewegen zu können: Selbstwirksamkeit wird im Kindesalter geschaffen. Und bringt Selbstvertrauen. Wenn das Leben sich von seiner garstigen Seite zeigt, legt es sich um die Seele wie eine wärmende Decke.

Gefährliche Berufe

«Das Leben als Herausforderung und nicht als Überforderung betrachten. Davon ausgehen, dass es nicht immer bleibt wie jetzt. Diese Haltung trägt zu Resilienz bei», ergänzt Ulrike Ehlert, Psychologin an der Universität Zürich. Sie wollte wissen, wie oft bei Notfall-Berufsleuten posttraumatische Belastungen auftreten. Das Ergebnis: bei Bergführern deutlich seltener als bei Feuerwehrleuten. «Die Bergführer hielten die ­Natur für unberechenbar, ihre Einsätze für weniger vorher­sehbar. Die Feuerwehrleute hingegen glaubten, dank ihrer technischen Ausrüstung alles im Griff zu ­haben.»

Resiliente sind folglich keine Daueroptimisten mit stetem Grinsen, sind nicht immer glücklich. Resilienz zeigt sich erst im Tief. «Eine Krise wirft auch Resiliente nieder. Aber sie kommen aus der Ohnmacht und der Opferrolle rascher raus als andere. Sie akzeptieren die Gegebenheiten. Dadurch kommen sie schneller zu Energie für Neues», sagt Donya A. Gilan vom Deutschen Resilienzzentrum. Verdrängen ist erlaubt. Der Psychoanalytiker Sigmund Freud hatte zwar davor gewarnt, es mache aus der Seele heraus krank. Gilan sieht das anders: «Wer eine Zeitlang Abstand gewinnt, verarbeitet manchmal kon­struktiver, weil er die Geschehnisse aus einer neuen Perspektive betrachten kann.»

Auch anderes ist unterdessen überholt. Lange hatten sich Psychologen auf jene Faktoren konzentriert, die krank machen. «Die positive Psychologie ist erst in den letzten zwei Jahrzehnten aufgekommen. Deshalb haben die Erkenntnisse von Emmy Werner in den 1950er-Jahren nur wenig interessiert», sagt Ulrike Ehlert von der Universität Zürich. Resiliente seien unverwundbar, hiess es früher. Nun weiss man: Sie sind verwundbar, aber unbesiegbar. Resilienz sei eine Charaktereigenschaft, nahm man an. Jetzt ist klar: Genetische Disposition und Umwelteinflüsse entscheiden je zur Hälfte, ob jemand in schwierigen Zeiten einen kühlen Kopf bewahrt.

«Es gibt Menschen, die unter Stress genau die richtigen Hormone freisetzen. Andere haben schlechte Rezeptorqualitäten und können sich schlechter anpassen», erklärt Ehlert. Hoffnung bleibt der zweiten Gruppe dennoch: Resilienz lässt sich zu einem guten Stück lernen. Meditation verbessere die Lebens­einstellung, meint Ehlert. Die positive Wahrnehmung lasse sich trainieren, sagt Gilan. Etwa so: sich Schönes gönnen, die Achtsamkeit schulen, sich der eigenen Stärken bewusst werden und neue Problemlösestrategien aneignen. «Das wirkt sich positiv auf Emotionen, Gedanken und Handlungen in der Krise aus.»

Auch wenn Forscher die Resilienz immer weiter ergründen: Sie bleibt unberechenbar. Manchmal kommt Menschen die Gabe, Traumatisches wegzustecken, erst spät abhanden. Ehlert erzählt von Frauen und Männern, welche die Luftangriffe auf Dresden im Jahr 1945 überlebt haben. Ihr Leben ging unauffällig weiter. «Bis sie im Alter den Partner verloren. Plötzlich trat bei diesen Widerstandsfähigen eine posttrauma­tische Be­lastungsstörung auf. Der Schrecken hatte sie eingeholt.»