SICHERHEIT: Lebensmittel gegen die Angst

Immer mehr Bürger rüsten sich für den «Notfall». Die Anbieter von Notvorratspaketen können die Nachfrage kaum bedienen.

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Bockwürste, Einmachgläser, Zucker: Früher war es, wie auf diesem Bild aus dem Jahre 1959, üblich, dass sich die Leute Notvorräte anlegten. (Bild: imago)

Bockwürste, Einmachgläser, Zucker: Früher war es, wie auf diesem Bild aus dem Jahre 1959, üblich, dass sich die Leute Notvorräte anlegten. (Bild: imago)

Gerhard Bläske

Bei der Sichersatt AG brummt das Geschäft. Die Empfehlung des deutschen Innenministers Thomas de Maizière, sich im Rahmen eines neuen Zivilschutzkonzepts Notfallvorräte anzulegen, liess im Nachbarland die Nachfrage nach den Notfallpaketen des Schweizer Anbieters geradezu explodieren. Auch für Konkurrent Segurisk aus Hilden im deutschen Nordrhein-Westfalen, nach eigenen Angaben einer der grössten Anbieter von Notfallpaketen in Deutschland, war die Empfehlung ein wahres Konjunkturprogramm. «Land unter. Ich habe keine Zeit für Interviews», sagte Geschäftsführer Benjamin Bleich auf Anfrage.

Gefragt sind vor allem Nahrungsmittelpakete. «Naturbelassene Produkte, einfach aufzukochen» und «individuell zuzubereiten», heisst es bei Sichersatt. Die Firma wurde 2010 in Wald ZH gegründet und ist seit 2012 auch im deutschen Rielasingen nahe der Schweizer Grenze vertreten. Ein Notvorratspaket «klassisch» mit 60 000 Kalorien enthält etwa Linsen, Vollmilchpulver, Risottoreis, Weizenmehl, Zucker, Volleipulver und vieles mehr. Es gibt auch Angebote für Vegetarier oder Fertigprodukte. Alles ist verpackt in Dosen, «vakuumiert und unter Schutzatmosphäre verschlossen» und soll bis 2026 halten.

Ab 289 Franken

Die Pakete sind nicht billig. 289 Franken kostet bei Sichersatt das klassische Notvorratspaket. Für eine vierköpfige Familie werden 990 Franken fällig. Die «Komplettlösung» inklusive Hygieneartikel, Erste-Hilfe-Paket, Wasseraufbereitung, Kurbeltaschenlampe, Kurbelradio usw. gibt es für 839 Franken und in der «Luxusversion» für 6990 Franken. Viele Kunden stockten die Vorräte angesichts dieser Kosten erst allmählich auf und gäben dafür jeden Monat 150 bis 250 Franken aus, berichtet Geschäftsführer Reto Schätti.

Sind die Besteller solcher Vorratspakete Spinner oder Überängstliche? «Wir haben Tausende von Kunden im In- und Ausland. Das ist ein Querschnitt durch alle gesellschaftlichen Schichten und Altersklassen», sagt Bleich, bevor er den Hörer auflegt. Besonders viele solcher «Prepper» (vom Englischen be prepared = allzeit bereit) gibt es traditionell in Kanada und in den USA, wo Notfallvorräte, zu denen auch Werkzeuge und Waffen gehören, vor allem in dünn besiedelten Gebieten überlebenswichtig sein können. Auch in der Schweiz, wo viele Bürger eigene Schutzräume haben, ist man seit jeher auf Notfallsituationen vorbereitet. «Doch Deutschland hat sehr aufgeholt», meint Schätti.

Angst vor neuer Finanzkrise

Ganz unbekannt ist die Vorratshaltung in den meisten Familien nicht. Die Grosseltern kochten oft Obst und Gemüse ein, hatten immer genug Kartoffeln im Keller und Dosenwurst in der Vorratskammer – für den Winter oder «für schlechte Zeiten». Krisen wie der Ukraine-Krieg, Terroranschläge, die Flüchtlingswelle oder eine mögliche Wirtschaftskrise verstärkten heute Ängste und schafften wieder ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der Vorratshaltung, so Schätti. «Spätestens beim Platzen der Kredit- beziehungsweise Geldmengenblase werden alle Wirtschaftsräume die Grenzen dichtmachen», unkt Sichersatt.

Einige Anbieter schüren die Ängste zusätzlich. Die Internetseite www.krivor.de garniert ihre Angebote mit einem Newsfeed angeblich unabhängiger Nachrichtenanbieter wie dem rechtslastigen Kopp-Verlag, der selbst Survival- und Selbstschutzprodukte anbietet. Auf der Krivor-Webseite stehen etwa Meldungen zu «Migrantengewalt in Calais» oder «Tschechien bereitet Bürger auf das Schlimmste vor – Deutschland schläft». Zu kaufen sind da, ebenso wie bei Segurisk, auch Waffen wie Armbrüste. Es wäre «naiv», zu glauben, «man könne sein Haus ohne Waffen verteidigen», findet etwa der Schweizer Survival-Trainer Gion De Salugo, der Büroangestellten, Hausfrauen und Managern Überlebenstrainings im Wald anbietet und sie auf Wunsch auch im «militärischen Nahkampf» schult. Auch Foren wie www.survivalforum.ch oder das Videoportal Youtube sind Tummelplätze für Interessierte. Als Papst der deutschen Krisenvorsorge gilt der Unternehmer Gerhard Spannbauer, der mit seinem Buch «Finanzcrash: Die umfassende Krisenvorsorge» vor allem Gutsituierte um die 50 anspricht und in seinem «Krisen-Shop» ebenfalls «alles Wichtige für Ihre Vorsorge» im Sortiment hat. Wer es weniger dramatisch mag: Auch bei Amazon gibt es Notfallpakete. Und Wasser sowie Konserven kann man zur Not auch im Supermarkt bekommen. Die grossen Handelsketten stellen bis dato aber keine verstärkte Nachfrage nach solchen Produkten fest.

Versicherung im Keller

Immerhin: Längere Stromausfälle, Cyberattacken oder ähnliche Szenarien sind etwa auch für den Rückversicherer Swiss Re nicht unrealistisch. Medien verstärken Ängste vor dem Kontrollverlust, die viele Menschen haben, zusätzlich, weiss Katrin Fischer, Psychologieprofessorin an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Viele wollen vorbereitet sein, es aber niemanden wissen lassen. Die Bestellungen werden in neutralen Verpackungen verschickt. «Ihr persönlicher Notvorrat geht nur Sie etwas an», heisst es bei Sichersatt, das die Vorräte als «Versicherung im Keller» bezeichnet.

Auch sonst ist die Branche diskret. Viele Anbieter antworten auf Anfragen gar nicht. Und zu Kundenzahlen, Umsatz oder Gewinnsituation will niemand etwas sagen.