Vitus Huonder, der umstrittenste Bischof des Landes, bleibt bis 2019 im Amt. Das hat Papst Franziskus entschieden. Der Bischof nimmt Stellung zur Kritik seiner Gegner und erklärt, weshalb er sich missverstanden fühlt.
Interview: Kari Kälin und Dominik Weingartner
Bischof Vitus Huonder, hat Sie der Entscheid des Papstes überrascht?
Meine Amtszeitverlängerung war eine mögliche Option, für die sich Franziskus nun entschieden hat. Insofern hat mich die Nachricht aus Rom nicht überrascht. Der Vatikan wählte das gleiche Vorgehen bereits bei meinem Vorgänger Amédée Grab, der bis zum 77. Lebensjahr als Bischof von Chur wirkte.
Was hätten Sie getan, wenn Sie Franziskus sofort Ihres Amtes entbunden hätte?
Dann wäre ich schlicht und einfach als Diözesanbischof verschwunden.
Vor Ihrer Wahl zum obersten Hirten des Bistums Chur im Jahr 2007 sagten Sie, ein solches Amt bedeute vor allem Stress. Haben Sie noch genug Energie?
Das Amt ist anspruchsvoll, man erlebt Höhen und Tiefen. Aber unterdessen verfüge ich ja über Erfahrung. Die Wertschätzung, die mir der Heilige Vater mit diesem Auftrag entgegenbringt, hat mich gerührt. So bin ich gerne bereit, meinen Dienst weiterzuführen.
Papst Franziskus hat Sie im letzten Dezember in Rom empfangen. Haben Sie ihn damals gebeten, er möge Ihre Amtszeit als Bischof verlängern?
Unser Gespräch war vertraulich, Details darf ich keine verraten. Wir haben uns ganz allgemein über die Lage der Weltkirche und natürlich auch die Situation in der Schweiz und im Bistum Chur unterhalten. Ich habe Franziskus als sehr freundlich und zuvorkommend erlebt, wir haben schnell einen guten Draht zueinander gefunden.
Spürten Sie Rückendeckung, auch in Bezug auf die angespannte Lage im Bistum Chur?
Franziskus legt sehr viel Wert auf Loyalität, das erwartet er von seinen Mitarbeitern. Umgekehrt ist er ein Mann, der sich auch loyal zu seinen Bischöfen verhält.
In Ihrem Brief an die Mitarbeitenden des Bistums Chur sprechen Sie von noch «nicht abgeschlossenen Arbeiten», die Sie nun weiterführen dürfen. Wie lauten Ihre Pläne?
Diese Arbeiten werde ich zuerst mit dem Bischofsrat besprechen. Ich denke etwa an die Umsetzung der Beschlüsse der Familiensynode, die sich im apostolischen Schreiben «Amoris Laetitia» («Freude der Liebe») wiederfinden. Voraussichtlich noch vor der Sommerpause werden wir die Schwerpunkte öffentlich kommunizieren.
Ihre Gegner forderten, dass ein apostolischer Administrator, also eine Art Übergangsbischof, eingesetzt wird im Bistum Chur. Wäre das nicht ein gangbarer Weg gewesen, um das Bistum zu befrieden?
Der Papst hat diese Option – davon gehe ich aus – erwogen. Er ist zu dem Entscheid gekommen, den wir jetzt haben.
Rechnen Sie mit Protest innerhalb des Bistums gegen den Entscheid des Papstes, dass Sie weitermachen?
Viele Kirchenmitarbeiter waren in den letzten Monaten zuversichtlich, dass der Papst eine weise Lösung finden würde. Nun hat Franziskus einen Entscheid gefällt. Ich hoffe, dass er mit Respekt aufgenommen wird.
Denken Sie, dass die Diskussion um die Aufspaltung Ihres Bistums in ein Bistum Urschweiz, Bistum Zürich und Bistum Chur jetzt Aufwind erhalten wird?
Wir diskutieren nach wie vor über dieses Thema. Eine Umfrage, die wir dazu durchgeführt haben, hat gezeigt, dass eine Aufteilung nicht gewünscht wird. Aber die Frage ist noch nicht abschliessend beantwortet.
Wann ist mit einem Ergebnis dieser Diskussion zu rechnen?
Das kann ich leider nicht sagen. Es gibt immer wieder Faktoren, die unberechenbar sind. Es ist möglich, dass das Resultat erst unter meinem Nachfolger vorliegen wird.
Seit Bischof Haas gilt das Bistum Chur als Problembistum. Wie erklären Sie sich das?
Die Hirten dieses Bistums haben immer versucht, in voller Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehre und Disziplin zu wirken. Das hat in gewissen Kreisen Widerstand hervorgerufen. Das kirchliche Leben – auch im Bistum Chur – ist leider von Abweichungen von der kirchlichen Lehre und Disziplin sowie von Missbräuchen in der Liturgie infiziert. Infektionen sind meist mit Fieber verbunden. Aber das Fieber hilft auch, dass der Organismus wieder gesundet. Insofern ist das Fieber, das alle im Bistum Chur messen wollen, auch ein gutes Zeichen.
Von reformorientierten Katholiken werden Sie als Vertreter einer überholten Kirche dargestellt, der im Bistum Gräben aufreisst. Sehen Sie sich selber als Spaltpilz?
In keiner Weise. In der Öffentlichkeit haben sich in den letzten Jahren immer wieder die gleichen 10 bis 20 Personen gegen mich gestellt. Im Bistum Chur leben 700000 Gläubige. Sie dürfen nicht vergessen, dass viele von ihnen eine andere Auffassung haben als gewisse Gruppierungen, die sehr laut in den Medien auftreten. Viele Gläubige kommen immer wieder dankbar auf den Bischof zu und sagen, dass dessen Haltung sie in ihrem Glauben stärkt.
Sehen Sie es als Ihre Aufgabe in den nächsten zwei Jahren, die reformierten und konservativen Kräfte im Bistum zusammenzuführen?
Ich bin immer zum Gespräch bereit.
Das heisst?
Man könnte natürlich auch auf mich zukommen. Man sollte nicht immer nur über, sondern auch mit dem Bischof reden. In einem Gespräch muss man dann aber auch die Meinung des anderen respektieren. Man kann nicht immer alle Haltungen auf einen Nenner bringen, das ist klar. Aber man kann und soll seinen Standpunkt darlegen dürfen, ohne dafür diskriminiert zu werden.
Sie werfen Ihren Gegnern also vor, dass diese ihre Kritik nicht Ihnen gegenüber äussern, sondern vor allem in der Öffentlichkeit?
Das ist meine Erfahrung. Es geht einigen Kritikern auch gar nicht darum, die Lage zu beruhigen. Es geht ihnen um die Veränderung des überlieferten Glaubens der Kirche oder ihrer Disziplin, etwa hinsichtlich Priesterweihe oder Zölibat. Das sind keine Ziele, die ich unterstütze. Ich finde, ein Bischof muss nicht die Lehre der Kirche ändern, sondern sie im Gegenteil treu weitergeben. Wer die Lehre ändern will, soll das in Rom deponieren, nicht bei mir.
Sind Sie als Bischof nicht zu weit weg von den Alltagssorgen der Gläubigen? Es gibt eine Diskrepanz zwischen der reinen katholischen Lehre und der Lebensrealität von vielen Gläubigen.
Was sind die Sorgen der Gläubigen? Das ist immer die Frage.
Wenn sich jemand zum Beispiel scheiden lässt und dann wieder heiratet, dann aber von den Sakramenten ausgeschlossen wird, kann das ein grosses Problem darstellen. Müsste die katholische Kirche da nicht offener sein gegenüber diesen Gläubigen?
Wie bereits erwähnt, werden wir das Schreiben von Papst Franziskus zur Familiensynode («Amoris Laetitia») aufarbeiten. Das wird sicher eine Hilfe sein für die Seelsorge im Umgang mit solchen Themen.
Gemäss der katholischen Sexualmoral leben viele Gläubige in einer irregulären Situation, weil sie zum Beispiel mit dem Partner oder der Partnerin zusammenziehen, bevor sie heiraten. Wie sollen Seelsorger mit diesen Menschen umgehen?
Ich bin der Meinung, dass wir mit den Menschen, so wie sie sind, arbeiten müssen. Schon zu Jesu Zeiten lebten die Menschen nicht immer nach den Geboten Gottes. Daher sprechen wir von der Notwendigkeit der Umkehr. Das bedeutet: Neuausrichtung des Lebens auf Gott hin.
Sie haben mit Zitaten aus dem Alten Testament, in denen Homosexualität die Todesstrafe bedeutet, viele Gläubige vor den Kopf gestossen. War das eine gezielte Provokation?
Nein. Das war keine Provokation, sondern ein Hinweis auf Grundsätze. Aus meinem Vortrag wurde ein Satz aus dem Zusammenhang gerissen. Wenn man den ganzen Text liest, kommt niemand auf die Idee, dass ich jemanden vor den Kopf stossen wollte. Ich machte aufmerksam auf die Seelsorge, die pastorale Liebe auch im Umgang mit homosexuell empfindenden Menschen. Das hat man vollständig unterschlagen.
Sind Sie gerne der umstrittenste Bischof der Schweiz?
Ich mache nichts anderes als das, was ich bei meiner Bischofsweihe versprochen habe: Ich stehe treu zum Glauben der Kirche. Das bereitet mir Freude. Alles, was ich vertrete, ist weltkirchliches Glaubensgut. Wenn das Teile der Gesellschaft provoziert, kann ich es nicht ändern. Der Glaube war schon zu Jesu Zeiten eine Provokation.
Es gab Kirchenaustritte, explizit Ihretwegen. Beschäftigt Sie das?
Es gibt in allen Diözesen und bei den reformierten Mitchristen Austritte. Die Gründe sind vielfältig, manche wollen zum Beispiel schlicht und einfach keine Kirchensteuern mehr entrichten. Die Austritte hängen nicht so sehr von der Person des Bischofs ab, auch nicht von meiner. Europaweit gesehen hat die Kirche auch nach der Wahl von Papst Franziskus nicht weniger Austritte. Das zeigt, wie wenig es in Wahrheit um die mediale Beliebtheit eines Papstes oder Bischofs geht. Vielmehr hat der christliche Glaube in Europa derzeit einen schweren Stand. In Südamerika, Afrika oder in den USA wächst die Kirche hingegen, mit fast 14 Millionen Gläubigen jährlich.
Was ist das grösste Missverständnis zwischen der öffentlichen Wahrnehmung von Vitus Huonder und Ihrer wirklichen Person?
Dass man nie alle Aspekte meiner Verlautbarungen würdigte, sondern immer gleich die Konfrontation suchte.
Schmerzt es Sie, wenn Sie in der Presse lesen, dass Pfarreien Firmungen auf ein Datum ansetzen, an dem der Bischof sicher verhindert sein wird?
Ja, das macht mich traurig, denn so entsteht kein Dialog. Es wird signalisiert: Wir lehnen dich ab, weil du nicht das vertrittst, was wir wollen! Man müsste vielleicht wieder darauf hinweisen, dass ein Bischof kein Politiker ist, den man wählt, um seine Interessen durchzusetzen. Ein Bischof vertritt den Glauben der Kirche und will die Menschen für die lebensprägende und lebenserfüllende Gegenwart Gottes sensibilisieren. Nichtsdestotrotz bin ich jährlich bei 30 bis 40 Firmungen zu Gast.
Wie tickt Ihrer Ansicht nach die Basis im Bistum Chur?
Im Bistum Chur leben 700000 gläubige Katholiken. Viele zeigen sich gegenüber meiner Person sehr aufgeschlossen und freuen sich, dass der Bischof sich um sie kümmert. Die Wahrnehmung dieser Menschen entspricht nicht den Bild, das die Medien zeichnen.
Im Frühling 2019 endet Ihre Amtszeit definitiv. Haben Sie einen Wunschnachfolger?
Das Kirchenrecht sieht vor, dass jeder Bischof regelmässig Kandidaten nach Rom melden muss. Das passiert so alle drei bis fünf Jahre. Der Bischof muss also permanent beurteilen, wer ein solches Amt übernehmen könnte. Das habe ich regelmässig gemacht, aber das muss diskret geschehen.
Handelt es sich um mehrere Kandidaten, oder läuft es auf eine Person hinaus?
Man erwartet, dass ein Bischof mehrere Personen nennt. Der Heilige Stuhl muss eine Auswahl haben.
Aber Sie können einen Nachfolger aufbauen.
Da muss ein Bischof sehr viel Klugheit walten lassen. Was er in seinem Herzen trägt, muss er ja nicht auf der Zunge tragen. Er darf bei einem möglichen Nachfolger nicht falsche Erwartungen wecken, indem der Bischof etwa sagt, er lege für ihn beim Papst ein gutes Wort ein.
Haben Sie Einfluss auf die Liste der drei Kandidaten, die dem Churer Domkapitel zur Wahl vorgelegt werden wird?
Nein, das gehört in die Zuständigkeit des Nuntius und der Bischofskongregation. Da habe ich keinen Einfluss.