Am Sonntag stimmen die Schweizer Stimmbürger über drei nationale Vorlagen ab: das Nachrichtendienstgesetz, AHVPlus und die grüne Wirtschaft. Hier die ersten Trends zu den Resultaten.
Gemäss der Trendrechnung hat das Stimmvolk das Gesetz angenommen, das dem Nachrichtendienst neue Formen der Überwachung ermöglicht.
Von einem Ja-Trend spricht das Forschungsinistitut gfs.bern, wenn der erwartete Ja-Anteil über 55 Prozent liegt. Die Zustimmung hatte sich abgezeichnet. In der letzten Umfrage hatten sich 53 Prozent für das Gesetz und 35 Prozent dagegen ausgesprochen. Unentschlossen waren noch 12 Prozent.
Den Befürwortern dürften die Terroranschläge in Europa in die Hände gespielt haben. Vor sechs Jahren war ein ähnliches Gesetz bereits im Parlament gescheitert. In der Zwischenzeit ist viel passiert. Zwar dominierten nicht nur Terroranschläge, sondern auch die Überwachung durch US- und britische Geheimdienste die Schlagzeilen.
Die Angst vor Terror scheint aber grösser zu sein als die Angst vor Überwachung. Die bürgerlichen Parteien argumentierten im Abstimmungskampf, das neue Gesetz bringe mehr Sicherheit. Heute sei der Nachrichtendienst blind und taub. Gebe die Schweiz ihrem Nachrichtendienst nicht mehr Kompetenzen, delegiere sie die Überwachung an ausländische Dienste.
Die Gegner aus den Reihen der Linken argumentierten vergeblich, mit einem Ja zur Überwachung werde die Freiheit geopfert, welche man zu verteidigen vorgebe. Massenüberwachung widerspreche aber nicht nur den Grundrechten, sondern sei auch nutzlos: Die Nadel im Heuhaufen lasse sich nicht leichter finden, wenn man den Heuhaufen vergrössere.
Nicht überzeugt hat das Stimmvolk offenbar auch das Argument der Gegner, dass Personen schon heute überwacht werden können, wenn die Strafverfolgungsbehörden es anordnen - etwa bei Verdacht auf Vorbereitung eines Terroranschlags. Mit dem neuen Gesetz ist Überwachung nun präventiv erlaubt, ohne Verdacht auf eine Straftat.
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) erhält erheblich mehr Kompetenzen. Bisher durfte er Personen nur in der Öffentlichkeit beobachten. Künftig darf er Telefongespräche abhören, Privaträume durchsuchen und verwanzen, in Computer eindringen und Ortungsgeräte verwenden.
Das Gesetz ermöglicht dem Nachrichtendienst auch die sogenannte Kabelaufklärung, die Auswertung von Daten aus der Internetkommunikation. Ins Visier des Dienstes könnte dadurch geraten, wer bestimmte Begriffe in E-Mails erwähnt. Bearbeitet werden dürfen nur jene Informationen, die den vorgängig definierten Suchbegriffen entsprechen.
Der Bundesrat versicherte, die neuen Überwachungsmassnahmen würden lediglich in etwa zehn Fällen pro Jahr angewendet. Die Befürworter räumten im Abstimmungskampf ein, es könnten auch etwas mehr Fälle sein. Im Gesetz ist keine Zahl verankert. In jedem Fall müssen die Massnahmen indes abgesegnet werden.
Zustimmen muss jeweils der Verteidigungsminister nach Konsultation der Justizministerin und des Aussenministers sowie ein Richter des Bundesverwaltungsgerichts. Im Ausland darf der NDB ohne richterliche Genehmigung Computer hacken. Missbrauch soll eine verstärkte Aufsicht verhindern: Neben der verwaltungsinternen und der parlamentarischen Oberaufsicht wird eine unabhängige Aufsichtsbehörde geschaffen.
Das Gesetz schafft auch eine explizite Grundlage für die Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten. Neben Terrorismus oder Spionage soll der Nachrichtendienst wie bisher gewalttätigen Extremismus ins Visier nehmen. Das Abhören von Telefongesprächen oder das Eindringen in Computer ist hier aber nicht zulässig - ausser der Extremismus entwickelt sich zum Terrorismus hin.
Neu kann der Bundesrat Organisationen oder Gruppierungen verbieten, die terroristische oder gewalttätig-extremistische Aktivitäten propagieren, unterstützen oder fördern. Heute ist auf Gesetzesebene nur ein Tätigkeitsverbot für Organisationen vorgesehen, nicht aber ein Organisationsverbot.
Die Schweiz setzt sich keine Ziele für eine nachhaltige Wirtschaft. Die Volksinitiative «Grüne Wirtschaft» ist gescheitert. Das zeigt die Trendrechnung des Forschungsinstituts gfs.bern im Auftrag der SRG.
Claude Longchamp vom Forschungsinstitut gfs.bern gab das voraussichtliche Nein um 12.30 Uhr im Schweizer Fernsehen bekannt. Er gehe von maximal 45 Prozent Ja-Stimmen aus.
In Glarus, wo alle Stimmen bereits ausgezählt sind, stimmten knapp 69 Prozent der Stimmenden mit Nein. Ein Nein dürfte es gemäss den bisher ausgezählten Zwischenresultaten auch in den Kantonen Luzern, Basel-Stadt, Graubünden und Aargau geben. In Genf dagegen wird ein Ja erwartet.
Konkret hätte die Initiative der Grünen verlangt, dass Bund, Kantone und Gemeinden eine nachhaltige und die natürlichen Ressourcen schonende Wirtschaft anstreben müssen. Geschehen sollte dies mit geschlossenen Kreisläufen. Abfälle sollten als Rohstoffe weitere verwendet werden. Freiwillige Massnahmen sollten Vorrang haben.
Der von den Initianten verlangte Verfassungsartikel hätte vorgeschrieben, dass der Bund lang- und mittelfristige Ziele anstrebt und in jeder Amtsperiode über den Stand der Dinge in einem Bericht Rechenschaft ablegt. Werden die Ziele nicht erreicht, müssten Bund, Kantone und Gemeinden mit Massnahmen nachhelfen.
Vorschriften für Produktionsverfahren oder Abfälle sowie für das öffentliche Beschaffungswesen wären eine Möglichkeit gewesen. Steuerliche Anreize sowie zweckgebundene oder haushaltsneutrale Lenkungsabgaben auf natürlichen Ressourcen eine weitere und die Förderung von Forschung und Innovationen eine dritte.
Der «ökologische Fussabdruck» der Schweiz sollte - hochgerechnet auf die Weltbevölkerung - 2050 nicht mehr als eine Erde betragen. Derzeit verbrauchen alle Menschen rund drei Erden, wenn sie alle ebenso viele Ressourcen beanspruchen würden wie die Schweizer Bevölkerung.
Unter anderem mit einer «giftgrünen Steuerschlange» und mit grünen Zwangsjacken hatten SVP, CVP, FDP und BDP sowie die grossen Wirtschaftsverbände gegen die Initiative geworben und vor einem Zwang zum Verzicht gewarnt, etwa auf warme Duschen oder Flugreisen. Die Wirtschaft werde Schaden leiden, gaben sie zu bedenken.
Unterstützt hatten das Begehren die SP sowie GLP, EVP und diverse Organisationen. Sie bezeichneten die Warnungen der Gegner als Unsinn. Um Verzicht oder Massnahmen für die Konsumentinnen und Konsumenten gehe es nicht. Ihre Initiative ermögliche umweltfreundliche Technologien und fordere eine Kreislaufwirtschaft.
Dem Bundesrat ging die Initiative zu weit, obwohl er die Ziele unterstützt. Sein indirekter Gegenvorschlag war jedoch im Dezember 2015 im Parlament durchgefallen. Mit den beantragten Anpassungen im Umweltschutzgesetz hätte der Bundesrat mehr Kompetenzen erhalten für die Förderung der grünen Wirtschaft.
Die Wirtschaft hätte sich aber weniger rasch anpassen müssen. Die Räte waren dann aber mehrheitlich der Meinung, dass das Umweltschutzgesetz nicht verschärft werden müsse. In der Kampagne des Bundesrates gegen die Initiative plädierte Umweltministerin Doris Leuthard nun aber für freiwillige Massnahmen.
Die Stimmbevölkerung will keine Erhöhung der AHV-Renten um 10 Prozent. Gemäss einer Trend-Rechnung des Forschungsinstituts gfs.bern hat sie die Initiative «AHVplus» des Gewerkschaftsbundes (SGB) am Sonntag abgelehnt.
«Es gibt definitiv ein Nein», sagte Claude Longchamp von gfs.bern am Sonntag kurz nach Mittag im Schweizer Fernsehen SRF. Er erwartet maximal 45 Prozent Ja-Stimmen. Wahrscheinlich seien es aber noch weniger.
Das Parlament kann nun an der laufenden Reform der Altersvorsorge weiterarbeiten. Morgen Montag befasst sich der Nationalrat erstmals mit der Vorlage. Wäre die Initiative angenommen worden, hätte zunächst die Rentenerhöhung und die dafür nötige Finanzierung integriert werden müssen.
Bei der Reform steht auch ein Zuschlag auf die AHV-Renten zur Diskussion. Allerdings geht es nur um 70 Franken für Einzelrenten, respektive die Erhöhung des Plafonds für Ehepaar-Renten von 150 auf 155 Prozent. Bei Annahme der Initiative hätten Alleinstehende nach Berechnungen des SGB ab 2018 im Durchschnitt monatlich 200 Franken mehr im Portemonnaie gehabt, Ehepaare 350 Franken.
Die Kosten dafür wurden auf rund 4 Milliarden Franken pro Jahr veranschlagt. Wegen der wachsenden Rentnergeneration wäre der Betrag danach jedes Jahr höher ausgefallen. Über die Finanzierung sagte die Initiative nichts aus. Die Urheber hatten vorgeschlagen, von Arbeitnehmern und Arbeitgebern je 0,4 Lohnprozente zusätzlich einzuziehen. Auch der Bund hätte einen höheren Beitrag leisten müssen.
Die hohen Kosten waren für die bürgerlichen Parteien und die Wirtschaftsverbände inakzeptabel. Sie erinnerten im Abstimmungskampf daran, dass der AHV ohnehin ein Milliardenloch drohe. Die Gegner befürchteten auch, dass die zusätzlich erhobenen Lohnprozente Spuren im Arbeitsmarkt hinterlassen könnten.
Für zusätzliche Kritik sorgte, dass viele Bezügerinnen und Bezüger von Ergänzungsleistungen nicht von der Initiative profitiert hätte. Nicht zuletzt aus diesem Grund lehnte auch der Bundesrat die Initiative ab.
Diese hätte die strukturellen Probleme der Altersvorsorge ohnehin nicht gelöst. Die AHV braucht zusätzliche Einnahmen, um für eine wachsende Rentnergeneration aufzukommen. Die zweite Säule leidet unter der steigenden Lebenserwartung und den sinkenden Anlagerenditen. Gemäss den Beschlüssen des Ständerats soll die AHV unter anderem durch ein höheres Frauenrentenalter und zusätzliche Mehrwertsteuer-Prozente entlastet werden, die berufliche Vorsorge durch einen tieferen Umwandlungssatz.
Um die Linke an Bord zu holen, hat die kleine Kammer eine flächendeckende Erhöhung der AHV-Renten um 70 Franken beschlossen. Damit würde das Anliegen der SGB-Initiative trotzdem zum Teil umgesetzt. Davon will die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK) nicht wissen. Sie beantragt, den Rentenzuschlag zu streichen. Darüber hinaus schlägt sie einen Mechanismus vor, mit dem das Rentenalter schrittweise auf 67 Jahre erhöht wird, sobald die AHV ins Minus rutscht.
Die Entscheide der Kommission sind nicht in Stein gemeisselt. Die wichtigsten Elemente hat sie nämlich nur mit hauchdünner Mehrheit beschlossen. Der Zuschlag zur AHV-Rente scheiterte in der SGK mit 13 zu 12 Stimmen. Mit dem gleichen Stimmenverhältnis beschloss die Kommission die automatische Erhöhung des Rentenalters. Für die Mehrheit sorgten SVP, FDP und der Vertreter der GLP. Im 200-köpfigen Nationalrat verfügen die drei Fraktionen über 108 Stimmen. Ihre Reformideen gelten in einer Volksabstimmung nicht als mehrheitsfähig.
sda/nop