Der Digital-Chef von Tamedia erklärt, warum Ricardo.ch einen Gewinneinbruch erlitten hat. Zudem macht er sich Gedanken über das Ende der Einstellgebühren und sinniert über mögliche Kooperationen – auch mit der Konkurrenz.
Interview: Maurizio Minetti und Livio Brandenberg
Christoph Brand, im ersten Halbjahr sank der Ricardo.ch-Umsatz um 6 Prozent, und der Gewinn brach um 28 Prozent ein. Was ist passiert?
Zunächst muss man sehen, dass Ricardo.ch nach wie vor deutlich profitabel ist. Als wir die Plattform vor zwei Jahren übernommen hatten, war die Firma defizitär. Nun zum ersten Halbjahr: Der Wettbewerb unter Online-Plattformen hat sich in den letzten Jahren massiv verschärft. Getrieben von internationalen Playern wie Amazon, aber auch günstigen und rasant wachsenden Anbietern wie Wish und Aliexpress aus China. Diese Konkurrenz spüren wir, darum investieren wir in Technologie. Diese Kosten drücken auf den Gewinn.
Was genau beinhalten diese Investitionen?
Unsere Investitionen konzentrieren sich auf die Weiterentwicklung der Plattform, die zum Teil 17 Jahre alt ist. Das ist keine Kosmetik – Ricardo.ch wird fundamental neu gebaut.
Wann wird man Resultate sehen?
Die sieht man schon jetzt; es ist ein fortlaufender Prozess, bei dem wir regelmässig Kundenfeedbacks einfliessen lassen. Es ist nicht so, dass wir im stillen Kämmerlein etwas bauen, und dann ist die neue Plattform da. Wir bauen schrittweise neue Services ein.
Welche zum Beispiel?
Wenn ein Nutzer sein Passwort vergessen hatte, war das bislang ein grässlicher Prozess. Jetzt ist es schlank gelöst. Vor wenigen Tagen haben wir auch eine verbesserte Suche aufgeschaltet, und die Startseite ist bereits neu. Vieles wird in Zukunft weiter verbessert.
Wie viel investieren Sie?
Genaue Zahlen geben wir nicht bekannt, aber Sie können davon ausgehen, dass eine sechsstellige Summe dafür nicht ausreicht.
Ihre direkte Konkurrenz wie Siroop oder Digitec Galaxus investiert viele Millionen Franken in Marketingmassnahmen.
Für uns macht es keinen Sinn, einfach Millionen für Marketing auszugeben. Wir suchen stets die Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben. Das heisst aber nicht, dass wir kein Geld für Marketing ausgeben. Eine neue Kampagne für Autoricardo.ch ist angelaufen, und Ricardo.ch startet damit in den nächsten Tagen. Aber unser Budget ist bewusst überschaubar. Wir wollen vor allem den starken Traffic von Ricardo.ch im Geschäft mit Privatkunden nutzen, um auch im Geschäft mit KMU-Kunden zu wachsen. Insofern müssen wir auch nicht so viel wie andere Wettbewerber in Marketing investieren.
Wie lange wird es dauern, bis der Gewinn wieder steigt?
Wir werden sicher noch bis Mitte des nächsten Jahres investieren. So lange wird es dauern, bis die Plattform komplett überarbeitet ist.
Sie haben die Konkurrenz von Amazon und den chinesischen Plattformen angesprochen. Doch auch aus Ihrem eigenen Haus gibt es Konkurrenz: Zu Tamedia gehören unter anderem auch der Second-Hand-Shop Tradono und die Anzeigenplattform Tutti.ch. Gerade bei Tutti.ch gibt es Überlappungen zu Ricardo.ch. Würde eine Fusion der beiden Plattformen Sinn machen?
Ich glaube nicht, dass eine Fusion von Ricardo.ch und Tutti.ch derzeit Sinn macht. Ob die Aussage in fünf Jahren noch stimmt, weiss ich nicht. Die beiden Plattformen sind in der Tat Konkurrenten bis zu einem gewissen Grad, doch das Produkte-Erlebnis ist anders. Bei Tutti.ch interagieren die Nutzer direkt. Bei Ricardo.ch stehen wir dahinter und vermitteln zwischen Käufer und Verkäufer, wenn es Probleme gibt. Es entsteht ein rechtsgültiger Vertrag. Wir lassen Tutti.ch und Ricardo.ch bewusst nebeneinander laufen, so wie wir das im Mediengeschäft mit «Tages-Anzeiger» und «20 Minuten» oder mit «Berner Zeitung» und «Bund» machen.
Nicht laufen lassen haben Sie hingegen Ricardoshops.ch. Das war eine Plattform für den Verkauf von Neuware an Endkunden. Vergleichbar mit der Plattform Siroop, die Coop und Swisscom gehört. Warum haben Sie Ricardoshops.ch nach dem Kauf von Ricardo.ch eingestellt, obwohl die Seite technologisch modern war?
Für uns war von Anfang an klar, dass wir dieses Geschäftsmodell nicht unterstützen wollen. Wir glauben, dass ein weiteres Marktplatzmodell nur mit Neuware für Privatkunden in Konkurrenz zu den bereits etablierten Spielern wie Amazon oder Aliexpress keine Chance hat. Es macht keinen Sinn, neben Ricardo.ch auch noch Ricardoshops.ch zu betreiben. Man muss die Marketingausgaben duplizieren und zwei Plattformen gleichzeitig betreiben. Darum haben wir uns entschieden, Ricardo.ch so weiterzuentwickeln, dass ein grosser Teil dessen, was man früher mit Ricardoshops.ch erreichen wollte, nun auf Ricardo.ch möglich ist.
Ein weiterer Konkurrent von Ricardo.ch ist eBay. Seit einem Jahr stellt das US-Auktionsportal den Verkäufern keine Einstellgebühren mehr in Rechnung. Auch Facebook ist kürzlich in der Schweiz mit einem Online-Flohmarkt gestartet, der für Käufer und Verkäufer nichts kostet. Hingegen verrechnet Ricardo.ch noch immer Gebühren, wenn man eine Auktion erstellt.
Man darf die Einstellgebühren nicht isoliert betrachten. Es gibt noch Abschlussgebühren und andere Kommissionen. Unter dem Strich sind wir günstiger als Ebay und Amazon. So kann man bei uns beispielsweise eine Uhr für einen fünfstelligen Betrag verkaufen, und man bezahlt am Schluss lediglich rund 40 Franken. Was die Einstellgebühren betrifft: Ob es sie in einem Jahr in dieser Form noch gibt, werden wir sehen.
Neben Ricardo.ch kümmern Sie sich unter anderem auch um Jobs.ch und Homegate.ch. Spüren Sie auch hier den Konkurrenzdruck?
Wir haben auch bei diesen Plattformen Geld in die Weiterentwicklung investiert. Aber ja, die Konkurrenz nimmt auch hier zu.
Während Jobs.ch ein Joint Venture von Tamedia und Ringier ist, konkurrenzieren sich die beiden Medienkonzerne bei den Immobilien-Plattformen. Jobs.ch läuft gut, könnte dieses Modell auch auf die Immo-Plattformen ausgedehnt werden? Oder wäre eine Fusion von Tamedias Homegate.ch und Ringiers Immoscout24.ch aus Wettbewerbsgründen nicht möglich?
Zumindest aus wettbewerbsrechtlichen Gründen sehe ich da keine Hürden. Obwohl wir mit Homegate.ch in der Schweiz klar der grösste Immobilien-Marktplatz sind, gibt es genügend Konkurrenz, unter anderem auch von Axel Springer – auch kein Leichtgewicht.
Das heisst, Sie erwägen einen möglichen Zusammenschluss von Homegate.ch und Immoscout24.ch?
Nein, es gibt keine konkreten Pläne. Aber es wäre völlig kurzsichtig, wenn wir angesichts des extremen Wettbewerbs in diesem Bereich eine Kooperation a priori ausschliessen würden. Die lokalen Player stehen vor hohen Herausforderungen, wenn Konzerne aus den USA oder China den Schweizer Markt betreten. Jobs.ch ist ja ein gutes Beispiel dafür: Unsere Konkurrenz ist hier zum Beispiel Indeed aus Amerika: Man sagt, dass die Plattform ausserhalb der USA mehr Geld für Marketing ausgibt, als sie Umsatz macht. Auch Google ist im Job-Bereich aktiv. Insofern bringt es nichts, wenn sich Schweizer Anbieter gegenseitig im Weg stehen.
Der Markt für Rubrikenplattformen scheint in der Schweiz verteilt. Wie wollen Sie noch wachsen?
Es gibt durchaus relevante Nischen, die Wachstum versprechen. Es gibt zwar wenige Plattformen, die breit aufgestellt sind, dafür entstehen immer wieder neue interessante Modelle. Gerade bei den Marktplätzen gibt es viele vertikale Plattformen, wo bestimmte Artikel eines ganz spezifischen Bereichs angeboten werden. Die meisten davon werden verschwinden, das war schon immer so. Aber einige wenige werden überleben, und diese beobachten wir.
Hinweis
Der Berner Christoph Brand (48) ist bei Tamedia als Leiter des Bereichs Classifieds & Marketplaces zuständig für Rubrikenplattformen und Marktplätze wie Tutti.ch, Jobs.ch, Homegate.ch oder Ricardo.ch. Der frühere Sunrise-Chef präsidiert unter anderem den Verwaltungsrat von Ricardo.ch mit Sitz im Zuger Uptown. Dort sind aktuell 133 Mitarbeitende angestellt. Zusätzlich unterhält Ricardo.ch kleinere Niederlassungen in Frankreich und Serbien, wo hauptsächlich Entwickler für die Plattform angestellt sind.