Einkommen In der Schweiz ist die Verteilung der Vermögen seit der Jahrtausendwende weniger ungleich verlaufen als in vielen anderen Ländern. Dieser erfreuliche Befund des Global Wealth Report der Credit Suisse deckt sich nur teilweise mit neuen Erkenntnissen über die Entwicklung der Verteilung hiesiger Einkommen. Die beiden Ökonomen Isabel Martinez und Reto Föllmi von der Universität St. Gallen weisen in einer unlängst veröffentlichten Untersuchung nach, dass Spitzenlohnbezüger in der Schweiz ihren überproportionalen Lohnzuwachs in den vergangenen Jahren nicht mit dem höheren Risiko bezahlen müssen, schneller wieder aus der Top-Liga herauszufliegen.
Vielmehr finden die beiden Wissenschafter, dass die Mobilität der Spitzeneinkommen mit deren Anstieg seit den 1990er-Jahren nicht Schritt gehalten hat. Diese Erkenntnis ist brisant, denn aus gesellschaftlicher Perspektive ist eine ausreichende Mobilität der Einkommen eine zwingende Voraussetzung dafür, dass eine an sich unerwünschte Zunahme der Einkommensungleichheit hingenommen werden kann.
1 Prozent der Lohnbezüger mit Salären ab 315000 Franken beanspruchte 2010 rund 11 Prozent der Gesamteinkommen, nachdem dieser Wert 1990 noch um die 7 Prozent gelegen hatte. Selbstredend können nicht alle ihre hohen Löhne auf lange Zeit behalten. Rund 80 Prozent der Topverdiener spielen auch im Folgejahr wieder in dieser Liga mit, und bei den top 10 Prozent sind es sogar 90 Prozent. Über die Zeit nimmt die Wahrscheinlichkeit, an der Spitze zu bleiben, aber naturgemäss ab, sodass nach zehn Jahren von dem einen Spitzenprozent noch rund 40 Prozent in der gleichen Spielklasse mitwirken.
Wenn diese Mobilität der Spitzeneinkommen dazu führen würde, dass sich die Einkommensverteilung verbessert, dann könnte man die Ungleichheit quasi als notwendiges Übel dafür sehen, dass sie die Leute antreibt, ihren Verdienst mit guter Arbeit zu steigern. Wenn sich die Einkommensverteilung aber nicht verbessert, der Tellerwäscher also keine Aussichten für sich sieht, jemals in den Kreis der Millionäre aufzusteigen, dann geht dieser Anreiz natürlich schnell verloren. Föllmi und Martinez haben deshalb mit Hilfe des sogenannten Gini-Indexes die Einkommensverteilung untersucht und anhand von AHV-Löhnen festgestellt, dass die Mobilität der Spitzeneinkommen nicht ausreicht, um die Einkommensverteilung zu verbessern. Diese hat sich im langfristigen Verlauf im Gegenteil sogar etwas verschlechtert.
Etwas überspitzt gesagt könnte man deshalb von einem Kartell der Spitzenverdiener sprechen. Zu den Gewinnern zählen die vielen ausländischen Spitzenmanager, die in den vergangenen 20 Jahren in die Schweiz gekommen sind. Verlierer sind die Frauen, die aufgrund ihres hohen Anteils an Teilzeitbeschäftigten nur selten in der Liga der Topverdiener anzutreffen sind.
Immerhin ist die Eskalation der Toplöhne in der Schweiz im Vergleich insbesondere mit angelsächsischen Ländern noch deutlich weniger weit gegangen. «Die Gewerkschaften haben ihren Anteil an der grösseren Einkommengleichheit, weil sie das Thema Mindestlöhne schon früh in die öffentliche Diskussion eingebracht haben», sagt Martinez dazu.
Daniel Zulauf