Alle sechs Jahre müssen die Richter des Kantons Zug zur Wiederwahl antreten. So auch in diesem Jahr. Oft kommt es aber zur stillen Wahl, da die Parteien sich absprechen. Ein ehemaliger Bundesrichter und Experte kritisiert das Vorgehen.
Zoe Gwerder
Mit den anstehenden Richter-Wahlen im Kanton Zug diesen Sommer wird auch wieder die Kritik am Auswahlverfahren laut. Denn die grossen Parlaments-Parteien machen ihre Kandidaten unter sich aus. Sie verteilen sie proportional zur Parteienstärke und streben damit stille Wahlen an. Sie sagen, so werde den Richtern ein Wahlkampf erspart und entsprechend auch ihre Unabhängigkeit gewahrt. Dazu bräuchte es aber mehr, ist der ehemalige SP-Bundesrichter und Experte im Bereich der Unabhängigkeit von Richtern, Niccoló Raselli, überzeugt. Der 73-jährige Obwaldner hat sich im vergangenen Jahr zum Evaluationsbericht der Gruppe von Staaten gegen die Korruption (Greco) 2017 des Europarates ausführlich zum Thema Unabhängigkeit bei Richterwahlen in der Schweiz geäussert.
Niccoló Raselli, wie ist die Zuger Praxis – also Richterwahlen nach dem Parteienproporz – im schweizweiten Kontext einzuordnen?
Das entspricht einer schweizerischen Tradition und wird auch auf eidgenössischer Ebene so gehandhabt.
Wo liegt hier aus Ihrer Sicht das Problem?
Man geht davon aus, dass der Parteienproporz die sozialen und politischen Kräfte der Gesellschaft in der Zusammensetzung des Gerichtes widerspiegelt und so eine pluralistische Meinungsbildung ermöglicht. Das trifft aber nur bis zu einem gewissen Grad zu. Denn die Parteien geben die Strömungen der Gesellschaft nur teilweise wieder. Die Parteiidentifikation der Bevölkerung ist in der Tendenz abnehmend. Ein gravierendes Problem besteht auch darin, dass parteiunabhängige Kandidaturen praktisch chancenlos sind.
Nun ist der Fall im Kanton Zug noch etwas anders, da die Parteien versuchen, stille Wahlen herbeizuführen – also ohne Mitsprache des Parlaments oder des Volkes. Wie beeinflusst das die Richterwahl?
Ich gehe davon aus, dass die Parteien ihre zur Wahl stehenden Kandidaten unter die Lupe nehmen. Die Kandidaten, die dann von den Parteien vorgeschlagen werden, dürften allein schon deshalb bei einer Kampfwahl bessere Chancen haben, weil sie von diesen gewissermassen das «Gütesiegel» erhalten, als Richter zu taugen. Wer ohne Partei im Rücken kandidiert, hat von Anfang insoweit schlechtere Karten, als ihm niemand ein «Gütesiegel» verleiht.
Und wenn es zur stillen Wahl kommt?
Eine stille Wahl ist insofern problematisch, als weder das Parlament noch das Volk, sondern letztlich Parteiversammlungen, unter Umständen mit knapper Mehrheit, entscheiden, wer Richter wird. Will man das verhindern, ist man quasi gezwungen, einen wilden Kandidaten ins Rennen zu schicken.
Die Parteien argumentieren, man mache dies so, um die Unabhängigkeit der Richter zu wahren, damit sie beim Fällen unpopulärer Urteile nicht durch eine bevorstehende Gesamterneuerungswahl beeinflusst würden. Geht diese Überlegung auf?
Wohl eher nicht. Auf diese Weise verantworten sich die Richter nur gegenüber ihren Parteien, die sie ja wieder vorschlagen sollen, und nicht gegenüber den Wählern.
Wie sähe aus Ihrer Sicht eine gute Lösung aus, ohne das ganze System umzukrempeln?
Man muss unterscheiden zwischen der erstmaligen Wahl der Richter und ihrer Wiederwahl. Was die erstmalige Wahl betrifft, wäre es bereits eine grosse Verbesserung, wenn alle Kandidaten, auch die parteilosen oder jene von Parteien, die nicht im Parlament vertreten sind, von einer unabhängigen Kommission evaluiert würden. Wer sich für das Richteramt als fähig erweist, würde zur Wahl empfohlen. Es müssten alle Kandidaten durch das gleiche Nadelöhr.
Wie würde sich eine solche Kommission zusammensetzen?
Wichtig wäre, dass in einer solchen Kommission, neben Vertretern aus dem Parlament, auch fachliche Experten Einsitz hätten. Also beispielsweise Vertreter der Anwaltschaft und der Rechtslehre. Es würden alle Kandidaten überprüft, parteigebundene und parteiungebundene. Die Stimmbevölkerung hätte eine echte Auswahl.
Trotzdem besteht für die Unabhängigkeit der Richter noch immer das Problem, dass sie wiedergewählt werden müssen – im Kanton Zug alle sechs Jahre.
Ja genau.
In ihren Bemerkungen zum Greco-Bericht, schreiben Sie etwa von massiven Druckversuchen der Parteien auf die Bundesrichter. Das ist wohl auch in den Kantonen denkbar. Wie könnte man diese Situation entschärften?
Der Kanton Freiburg ist hier vorbildlich. Dort werden Richter nur einmal gewählt und bleiben bis zu ihrer Pensionierung im Amt. Für den Fall, dass sie nicht mehr tragbar sind, gibt es die Möglichkeit eines Amtsenthebungsverfahrens. Dieses System stärkt die Unabhängigkeit der Richter. Parteien können «ihre» Richter nicht mit der Drohung der Nichtwiederwahl unter Druck setzen.
Sie gehen in ihren Empfehlungen aber noch weiter und betrachten auch den finanziellen Aspekt, also die sogenannten Mandatssteuern als Problem.
Die Abgaben eines Teils des Richter-Gehalts an die Parteien ist ein Problem. Es entsteht damit der fatale Eindruck, dass ein Kandidat, der ja mit Blick auf die Parteizugehörigkeit gewählt wird, dafür der Partei zu Dank verpflichtet ist – in Form der Mandatssteuer. Dieser Anschein – und darauf kommt es an – ist mit der von der Verfassung geforderten richterlichen Unabhängigkeit unvereinbar.
Hinweis
Die Richterwahlen im Kanton Zug finden am 24. Juni statt.