Lugano
Trümmer des geräumten Kulturzentrums lassen Wogen im Tessin hoch gehen

Die Stadt Lugano hat das Autonome Zentrum (CSOA) am Wochenende nicht nur räumen, sondern gleich auch abreissen lassen. Das hat eine veritable politische Krise ausgelöst. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Gerhard Lob, Lugano
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Kaum waren die Besetzer weg, fuhren auf dem ehemaligen Schlachthof schon die Bagger auf.

Kaum waren die Besetzer weg, fuhren auf dem ehemaligen Schlachthof schon die Bagger auf.

Gerhard Lob

Die Bagger fuhren mitten in der Nacht auf. Zwischen Samstag und Sonntag rissen sie mehrere Gebäude des ehemaligen Schlachthofs von Lugano ab. Sie legten diejenigen Teile des Areals in Trümmer, welche die autonome und selbstverwaltete Szene seit bald zehn Jahren als Begegnungs- und Kulturzentrum nutzte, bekannt als Centro Sociale Autogestito (CSOA).

Damals hatten der Kanton Tessin und die Stadt Lugano diese nicht mehr genutzte Lokalität im Zentrum angeboten, nachdem Autonome aus einem verwaisten Grotto im Vorort Canobbio vertrieben worden waren. Ein selbstverwaltetes Zentrum an bester Lage, zwischen Gymnasium und Universität, dessen Betrieb über einen Nutzungsvertrag geregelt war, ein wenig nach Art der selbstverwalteten Reitschule in Bern aufgezogen.

Auch wer keine besonderen Sympathien für die autonome Szene pflegte, war in diesen Tagen schockiert von den nächtlichen Abrissbildern. «Das ist ein Stil wie Netanjahu in der Palästinensergebieten», kommentierte der ehemalige Gemeinderat Martino Rossi auf Facebook. Dass eine Räumung bevorstand, war seit Wochen klar, nachdem der Stadtrat ein Ultimatum zum Verlassen des Geländes gestellt hatte. Doch niemand hatte damit gerechnet, dass die Stadt gleich auch Tabula rasa machen würde. «Von einem Abriss war nie die Rede», sagte der Tessiner Regierungspräsident Manuele Bertoli (SP).

Polizei soll Abriss vorgeschlagen haben

Wie konnte es nun aber zum Räumungsentscheid kommen? Dieser fiel am späten Samstagabend, nachdem die zuständige Sicherheitsdirektorin der Stadt Lugano, Karin Valenzano Rossi (FDP), informiert worden war, dass die Autonomen bei einer Demonstration ein leerstehendes Gebäude (das ehemalige Institut Vanoni) besetzt hätten. Für die Autonomen war es eine symbolische Aktion, mit der sie darauf aufmerksam machen wollten, dass es ungenutzte Immobilien in der Südschweizer Bankenstadt gibt.

Für die Polizei war es hingegen ein Anlass, nicht nur das neu besetzte Gebäude zu räumen, sondern auch den ehemaligen Schlachthof des CSOA. «Und aus Sicherheitsgründen haben wir dann den Vorschlag der Polizei gut geheissen, den Ehemaligen Schlachthof gleich abzureissen», räumt Valenzano Rossi ein. Es hätte die Gefahr bestanden, hiess es, dass die Autonomen zurückkehrten und es auf dem Gelände zu Auseinandersetzungen gekommen wäre. Dieses Risiko habe man nicht eingehen wollen.

Doch die Version, dass plötzlich in der Nacht ein Abriss entschieden wurde, ohne dass der Stadtrat vorab über diese Möglichkeit diskutiert hatte, stösst im Tessin in weiten Kreisen auf Unglauben. Denn die riesigen Baumaschinen können nicht vom Himmel gefallen sein. «Wir wurden erst in der Nacht von der Polizei informiert, aber ich kann verstehen, dass ein schaler Nachgeschmack bleibt», sagt Luganos Stadtpräsident Marco Borradori (Lega) gegenüber CH Media.

Ehemaliger Staatsanwalt sieht Amtsmissbrauch

Sicher ist: Borradori gehört zur Mitte-Rechts-Mehrheit in der Stadtregierung, die den nächtlichen Abriss absegnete. Politisch heikel: Zwei Stadträte wurde gar nicht einbezogen: FDP-Stadtrat Roberto Badaracco und SP-Stadträtin Cristina Zanini Barzaghi. Sie hatten sich bereits im Vorfeld gegen Interventionen ausgesprochen und eine Weiterführung von Verhandlungen gefordert. Die Mehrheit im Municipio fand es daher nicht nötig, sie überhaupt erst ins Bild zu setzen.

Erzürnt über den Abriss ist der bekannte Anwalt und ehemalige Staatsanwalt Paolo Bernasconi. Er bemängelt, dass kein richterlicher Entscheid vorlag: «Es handelt sich eindeutig um Amtsmissbrauch durch das Municipio.» In die gleiche Richtung stossen die Grünen von Lugano, die inzwischen bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen den Stadtrat eingereicht haben. Die Baugesetzgebung sei missachtet worden, argumentieren sie. Vor einem Abriss müsse eine Immobilie etwa auf das Vorhandensein von Asbest geprüft worden.

Die Tessiner Staatsanwaltschaft teilte derweil am Dienstag mit, eine Strafuntersuchung eröffnet zu haben. Zu diesem Zwecke sei das Gelände mit dem Abbruchmaterial vorläufig beschlagnahmt worden. Stadträtin Valenzano Rossi nannte den Vorwurf der Illegalität wiederum absurd, nachdem die Autonomen sich jahrelang um Gesetze foutiert hätten. Im Übrigen werde man die Abrissbewilligung «im Nachhinein einholen», so Rossi, um das geräumte Areal zu sanieren.

Proteste und Demos angekündigt

Mit dieser Argumentation vermochte sie aber nicht einmal ihre eigene Partei zu überzeugen. Die städtische FDP teilte zwar den Entscheid zur Räumung des ehemaligen Schlachthofs, sprach in Bezug auf den Abriss aber von einem «unverhältnissmässigen Vorgehen». Allerdings gibt es durchaus auch Applaus für die Stadtregierung, was nicht erstaunt in einer Stadt, die mehrheitlich von der Lega dei Ticinesi regiert wird. «Endlich sind diese Sozialschmarotzer vertrieben», schrieb sinngemäss Lorenz Quadri, Lega-Nationalrat und Chef der Sonntagszeitung «Mattino». Quadri sitzt selbst im Stadtrat von Lugano und trug den Abrissentscheid mit. Beifall gibt es zudem von Seiten der SVP.

Die politische Situation ist jedenfalls hochexplosiv derzeit im Tessin. Und dies nur wenige Wochen nach Amtsantritt der neuen Stadtregierung, in welcher auch alt Ständerat Filippo Lombardi für die CVP sitzen wird. Und auch wie es mit der autonomen Szene in der Südschweiz weitergeht, ist unklar. Die Autonomen haben für die kommenden Tage Proteste und Demonstrationen angekündigt. Die Stadt ihrerseits will offenbar eine ausrangierte Kläranlage am Stadtrand in Cadro als Standort anbieten. Unverständlich bleibt, dass sich die Parteien nicht früher einigen konnten.

Die Eskalation hatte sich allerdings abgezeichnet. Beide Seiten werfen sich seit Wochen mangelnde Kommunikation vor. Denn dass das CSOA nicht ewig im Ex-Schlachthof wird bleiben können, war schon länger klar. Die Stadt hatte einen Projektwettbewerb für eine Überbauung ausgeschrieben, den 2020 das Architekturbüro Durisch+Nolli mit dem Projekt «Campus Matrix» gewonnen hatte. In diesem Projekt soll ein Teil der Gebäude nach einer Totalrestauration wieder verwendet werden. Diese Gebäude sind den Baggern am Wochenende nun denn auch nicht zum Opfer gefallen.