Economiesuisse und Co.
Versorgungssicherheit vor Naturschutz: Wirtschaft präsentiert einen 5-Punkte-Plan gegen die Stromlücke

Weniger Restriktionen, längere AKW-Laufzeiten: Die Wirtschaftsverbände präsentieren Ideen gegen die drohende Stromlücke.

Florence Vuichard
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Die Wirtschaftsverbände wollen die AKW länger laufen lassen. Im Bild das Kernkraftwerk in Gösgen.

Die Wirtschaftsverbände wollen die AKW länger laufen lassen. Im Bild das Kernkraftwerk in Gösgen.

Keystone

Ohne Strom bleiben die Rädchen stehen. Das ist das grösste Horrorszenario der Wirtschaft. Oder wie es Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder formuliert: «Eine Strommangellage wäre ein Desaster.» Und weiter: «Fehlender oder zu teurer Strom kann zu Energiearmut für Haushalte führen und würde auch die Wirtschaft gewaltig schädigen.» Mäder zitiert die Risikoberichte des Bundesamts für Bevölkerungsschutz, welche die die Kosten eines einzelnen Stromausfalls mit 1 bis 10 Milliarden Franken beziffern - und jene eines Blackouts auf über 100 Milliarden Franken.

Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder.

Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder.

Anthony Anex / KEYSTONE

Soweit dürfe es nicht kommen. Deshalb haben der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, der Industrieverband Swissmem und der Interessensverband der pharmazeutischen und chemischen Industrie Scienceindustries am Mittwoch in Bern gemeinsam einen 5-Punkte-Plan gegen die drohende Stromlücke präsentiert:

Der 5-Punkte-Plan der Wirtschaft

  1. Die Verbände fordern, dass ein maximaler Schwellenwert für den winterlichen Stromimport von 10 Terawattstunden (TWh) definiert wird. Sollte der Wert dauerhaft überschritten werden, müssten die Kapazitäten zur Stromproduktion «prioritär, frühzeitig und unbürokratisch» erweitert werden. Die entsprechenden Spielregeln sollen im Vorfeld «verbindlich» festgelegt werden. Heute liegt der durchschnittliche Importwert bei rund 4 TWh.
  2. Die drei Ziele Versorgungssicherheit mit Strom, Klimaschutz sowie Natur- und Heimatschutz sollen in ebendiese Reihenfolge gestellt werden. Aktuell gebe es ein Übergewicht am Interesse des Natur- und Heimatschutzes, monieren die Verbände. Konkret fordern sie, dass etwa das generelle Bauverbot für die Nutzung der Wasserkraft bei Gletschervorfeldern gestrichen werde.
  3. Zudem plädieren die Wirtschaftsverbände für eine «Technologieoffenheit in der Stromproduktion». Das heisst: Die zusätzlichen Fördermittel müssten nicht ausschliesslich für die Wasserkraft reserviert werden, das sei eine unnötige Einschränkung. Es brauche technologieneutrale Ausschreibungen, bei denen alle klimaneutralen Technologien zugelassen seien. Dazu gehören gemäss Swissmem-Präsident Martin Hirzel auch allfällige Nachrüstungsverpflichtungen bei den bestehenden AKW. Denn diese sollen länger als 50 Jahre am Netz bleiben – wobei diese Forderung der Wirtschaft den Plänen der Energiekonzerne entspricht.
  4. Weiter fordern die Verbände, dass die Kosten für den nötigen Zubau keine zusätzlichen Kosten für die Endkundinnen und Endkunden verursachen. Das heisst: Die Wirtschaft lehnt die Verlängerung des Netzzuschlags von 2,3 Rappen pro Kilowattstunde ab ebenso wie die jetzt besprochene Erhöhung um 0,2 Rappen. Im Gegenzug soll der kalkulatorische Zinssatz für das im Stromnetz gebundene Kapital gesenkt werden, den die Stromkonzerne berechnen dürfen, gesenkt werden. Dieser ist heute bei - gemessen am tiefen Zinsniveau - bei doch hohen 3,83 Prozent festgeschrieben.
  5. Und zuletzt ruft die Wirtschaft zu mehr Stromeffizienz auf. Das wiederum brauche «die richtigen Rahmenbedingungen». Die Verbände plädieren dafür, dass das Modell zur Reduktion des CO2-Ausstosses, bei dem Firmen verbindliche Ziele festlegen und bei Erreichen die CO2-Abgabe rückerstattet bekommen, auch beim Stromverbrauch zu verwenden. So könnten Unternehmen den Netzzuschlag rückerstattet erhalten.

Das 5-Punkte-Programm der Verbände ist auch eine Kritik am sogenannten Mantelerlass von Energieministerin Simonetta Sommaruga, mit dem das Energiegesetz und das Stromversorgungsgesetz revidiert werden sollen. Mit diesem sollen die Stromproduktionskapazitäten mit Speicherwasserkraftwerken um 2 TWh erhöht werden. «Dieser Ansatz ist zu starr, zu wenig ambitioniert, schwer realisierbar und in der Planung bis 2040 viel zu langfristig», heisst es von Seiten der Wirtschaft.

Swissmem-Präsident Martin Hirzel.

Swissmem-Präsident Martin Hirzel.

Gaetan Bally / KEYSTONE

Die Offensive der Wirtschaftsverbände ist eine Reaktion auf die Ansage von Guy Parmelin vom letzten Herbst. Der Wirtschaftsminister hatte den Grossverbrauchern, also letztlich der Industrie, erklärt, sie müssten sich im Sinne einer Krisenvorsorge auf eine Kontingentierung des Stroms vorbereiten müssen. «Das war ein Schock», sagt Swissmem-Präsident Hirzel. «Dass die lückenlose Stromversorgung auch in der Schweiz nicht mehr sicher sein soll, war bisher schlicht undenkbar.»