Evergrande
«Chinas Lehman Brothers»: Werden die Schweizer Grossbanken erneut in eine Immobilienkrise hineingezogen?

In China steht der Immobiliengigant Evergrande bedenklich schief, und mit ihm zig Immobilien-Entwickler. In einem Echo der US-Finanzkrise von 2008 geht wieder die Angst um vor einem Crash an einem riesigen Immobilienmarkt.

Niklaus Vontobel
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Schöne Evergrande-Welt: Die Nachfrage war zuletzt nicht mehr da.

Schöne Evergrande-Welt: Die Nachfrage war zuletzt nicht mehr da.

Jerome Favre / EPA

Sippenhaft: Das Wort machte in der Finanzkrise von 2008 die Runde, als verängstigte und orientierungslose Investoren einfach alle Banken-Aktien kollektiv abstraften. Nun flüchten die Investoren abermals aus allen Bankentiteln. Angst eingejagt hat ihnen die Schieflage von Evergrande. Schon diese Woche kann der chinesische Immobiliengigant womöglich seine Schuldzinsen nicht mehr zahlen. Danach gilt gar ein Konkurs als wahrscheinlich. Evergrande könnte womöglich das werden, was der Untergang der Bank Lehman Brothers in der amerikanischen Finanzkrise war: Der Stein, der alles ins Rollen bringt.

Der Schreck ist jedenfalls gross. Die Schweizer Grossbank UBS hatte bei Börsenschluss 6,6 Prozent verloren. Die Credit Suisse büsste gar 7,6 Prozent ein. Bei Julius Bär waren es 5,7 Prozent. Und selbst die Lebensversicherung Swiss Life wurde mitgerissen, die Aktie verzeichnete ein Minus von 3,8 Prozent. Und so ging das weiter und weiter, quer durch Europa sackten Bankentitel ab: die spanische Banco Sabadell, die französische Société Générale oder Deutsche Bank. Allesamt wurden sie in Sippenhaft genommen. Dabei wird derzeit noch wild spekuliert, über so ziemlich alles.

Ist die UBS bei Evergrande «am Haken», fragt Bloomberg

Welche Bank könnte es treffen und wie schwer? Auf dem Finanzportal «Inside Paradeplatz» wird die UBS genannt, ihr Name tauche rund um Evergrande überall auf. Der Finanzdienstleister Bloomberg fragt ebenso, ob UBS bei Evergrande «am Haken» sei. Im Juli habe die UBS dort noch Schulden ausstehen gehabt. Über allem steht die Frage, ob der gesamte chinesische Immobilienmarkt crashen wird. Und wenn ja, ob er ähnlich zerstörerische Kraft entfaltet, wie es im Jahr 2008 der amerikanische tat.

Da hilft es wenig, wenn Experten wie Michael Pettis entwarnen. Evergrande werde kein zweites Lehman Brothers, sagt der amerikanische China-Kenner. Der chinesische Staat werde sich einer Ausbreitung der Krise entschlossen entgegenstellen. Doch auch im Falle des amerikanischen Immobilien-Crashs hatten vorweg selbst die grössten Warner die späteren Folgen unterschätzt. Und schon länger wird auf eine staatliche Rettung von Evergrande gewartet. Verzweifelte Kleinanleger und Mitarbeitende protestieren vor Evergrande-Büros. Derweil haben zwei chinesische Grossaktionäre längst grosse Pakete verkauft.

An Evergrande ist so ziemlich alles gigantisch

Evergrande ist das zweitgrösste Immobilienunternehmen Chinas. Es soll über 200'000 Mitarbeitende zählen. Wenn man noch Lieferanten und Kundenfirmen dazu zählt, hat es jedes Jahr an die 3,8 Millionen Jobs geschaffen. Gemäss Schätzungen hat das Unternehmen aktuell 1,6 Millionen Wohnungen bereits verkauft, aber noch nicht erstellt. Bei 120 Banken habe es Schulden ausstehen. Total seien es über 300 Milliarden Dollar, was 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts von China entspricht. Und sein Börsencrash ist ebenso eindrücklich. In Hongkong hat die Aktie derzeit noch einen Zehntel des Wertes von Anfang 2020.

Evergrande lieferte sich einen Wettlauf mit der Zeit, zwei Jahrzehnte lang. Die Firma lancierte ein Projekt nach dem anderen, rasend schnell. Ihre Appartements verkaufte sie oftmals Jahre, ehe sie gebaut waren. Die Kleinanleger kamen in Massen. Auf diese Weise kratzte Evergrande gerade genug Geld zusammen, um die Zinsen zahlen zu können. Wie das «Wall Street Journal» schreibt, «verwandelte» das Unternehmen «so Milliarden von Dollar in hübsche Eigenheimträume». Doch dann verstärkte Peking einmal mehr seine Kampagne gegen schuldengetriebene Spekulationen, es wurden strikte Verschuldungskriterien eingeführt. Ab Juni gingen die Verkaufszahlen bei Evergrande stark zurück. Es kam weniger Cash rein, neue Schulden durfte die Firma nicht machen. Und so geriet die Schuldenmaschine ins Stocken und steht womöglich bald still.

Und Evergrande ist bei weitem nicht der einzige überschuldete Immobilienentwickler. Laut Analysten bekamen zu Jahresanfang rund 20 Prozent der Immobilienentwickler von der chinesischen Zentralbank den Code «Red» verpasst: Von drei Verschuldungskriterien erfüllten sie kein einziges und durften sich ein Jahr lang keine neuen Schulden machen. Das waren damals schon handfeste Warnsignale. Jetzt ist die Krise vielleicht da. Und Krisen auf dem Immobilienmarkt schlagen mit Wucht auf die Banken durch. Darum werden die Banken nun wieder in Sippenhaft genommen wie einst in der Finanzkrise.