Klimawandel
Aarau so heiss wie Ascona: So warm wird es in den 2202 Gemeinden

Eine neue Studie zeigt für alle Gemeinden der Schweiz, wie viele zusätzliche Hitzetage auf uns zukommen. Und sie erklärt, weshalb Schweizer Wohnungen nicht gewappnet sind für den Klimawandel.

Niklaus Vontobel
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Tessiner Sommer: Das gibt es künftig auch nördlich des Gotthards.

Tessiner Sommer: Das gibt es künftig auch nördlich des Gotthards.

Bild: Alessandro Crinari/ Keystone/TI-Press

Der globale Klimawandel ist längst angekommen in den Millionen von Wohnungen in der Schweiz. Zuletzt wurden deshalb bereits doppelt so viele Ventilatoren verkauft wie fünf Jahre zuvor. Doch eine neue Studie des Beratungsbüros Wüest Partner führt nun in aller Deutlichkeit vor Augen: Mit Ventilatoren ist es nicht getan, auch nicht mit mehr konventionellen Klimaanlagen.

«Der Schweizer Immobilienpark ist für den anhaltenden Klimawandel noch bei weitem nicht gewappnet», heisst es in der Studie. Um all die Wohnungen tauglich zu machen für den noch bevorstehenden Anstieg der Temperaturen, braucht es gemäss Studie ein Umdenken: «Wir werden anders bauen, planen und renovieren müssen.»

Schweiz vom Klimawandel besonders betroffen

Die Schweiz wird keine wohltemperierte Insel sein, wenn die Welt auf dem aktuellen Weg bleibt. Dieser führt hin zu einer Wärme, wie es sie laut Internationalem Währungsfonds seit Millionen von Jahren nicht gegeben hat. In der Schweiz wird es eher heisser als im globalen Mittel. Von 1864 bis 2017 gingen hierzulande die Jahrestemperaturen um 2 Grad hoch – im globalen Mittel war es halb so viel. Geht die Entwicklung so weiter, wird zum Beispiel das Zürich des Jahres 2050 ein Klima haben wie das heutige Mailand.

Die Schweiz ist betroffen, vorbereitet ist sie nicht. Die Wohnungen sind nicht für den Klimawandel geplant, gebaut und renoviert worden. Ein Grossteil wird deshalb nicht richtig gekühlt. Die Wände speichern gar tagsüber Wärme, um sie nachts wieder abzugeben, was Abkühlung verhindert. Am Ende wird es in heissen Sommermonaten in Hunderttausenden von Wohnungen wärmer, als es der Gesundheit noch guttun würde.

Wohnungen sind nicht für den Klimawandel gebaut

Beispielhaft wird dies in der Studie anhand einer einzelnen Wohnung im Kanton Zürich illustriert. Zu Studienzwecken wurden dort durchgehend die Temperaturen gemessen. In einer typischen Wohnung ging die Temperatur im heissen Juli 2019 in nur fünf Tagen um drei Grade in die Höhe. Fast 29 Grad waren es dann. Gesund wären 18 bis 24 Grad. Darüber arbeitet es sich schlechter, der Schlaf leidet – und zuletzt die Gesundheit.

Und diese Wohnung im Kanton Zürich war mit Baujahr 1970 noch recht modern. Denn wie die Volkszählung von 2019 zeigte, wurden 51 Prozent aller Wohnungen in den Jahren vor 1970 gebaut – also schweizweit 1,9 Millionen Wohnungen.

Heute schon wird es also in heissen Sommern in zig Wohnungen zu warm. Von 1980 bis 2010 wurden in Dörfern und Städten jährlich fünf Hitzetage gezählt. Wobei sich hinter diesem landesweiten Mittel grosse Gegensätze verbergen. In den Höhen gab es keine Hitzetage, die Temperaturen blieben immer unter 30 Grad. Im Kanton Genf hingegen gab es da schon an die 20 Hitzetage.

Im Jahr 2060 wird es noch wärmer sein. Wie viel wärmer es genau wird – das hängt davon ab, wie viel die Menschheit gegen den Klimawandel tut. Im besten Falle bliebe es in der Schweiz bei einer Zunahme von 1 Grad, im schlimmsten Fall wären es 4,4 Grad. Wüest Partner geht für die Studie von der goldenen Mitte aus: plus 2,3 Grad. Dieses «moderate Szenario» reicht jedoch: Damit gibt es fast dreimal mehr Hitzetage als heute. Im landesweiten Mittel wären das 14 Hitzetage.

Wo am meisten Hitzetage dazukommen

Auch in der Schweiz des Jahres 2060 kann die Hitze von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich sein. In der Studie ist die Schweiz aufgeteilt in rund 10'000 Quadrate. Für jedes davon gibt es aus verschiedenen Datenquellen Szenarien, wie sich die Temperaturen entwickeln könnten. Von den Quadraten her wird dann wieder hochgerechnet bis zu den Gemeinden. Damit hat man für jede Gemeinde eine Schätzung, wie viele zusätzliche Hitzetage es in den Jahren von 2045 bis 2070 durchschnittlich geben wird. Es lässt sich vergleichen: Von den 2202 Gemeinden kommt Ardon auf die meisten zusätzlichen Hitzetage. In diesem Walliser Weinbauort sind es nicht mehr 12, sondern neu 36 Hitzetage.

Luzern hätte fast so viele Hitzetage wie sie heute Ascona im Tessin hat, in Aarau wären es sogar mehr. In Liestal kommen 12 Hitzetage dazu, in Solothurn ebenfalls. In Olten sind es 13 zusätzliche Hitzetage. St.Gallen hatte im Schnitt bloss 1 Hitzetag, künftig werden es an die 6 Hitzetage sein (siehe Tabelle). Um Genf herum kämen einige Gemeinden schon auf 32 Hitzetage. Die meisten Hitzetage gibt es dann in Ascona, nämlich 42.

Die Hitze aus den Wohnungen zu vertreiben, wird Geld kosten. Zwar muss weniger geheizt werden. Die Heizkosten dürften deutlich sinken. Doch zugleich muss in Kühlsysteme investiert werden. Einer Schätzung von Wüest Partner zufolge müssen dafür jährlich 400 Millionen bis 2.5 Milliarden Franken ausgeben werden. Unter dem Strich dürften die Kosten überwiegen. Wie teuer es wird, hängt von der Technik ab. Niemand weiss, was die nächsten Jahrzehnte an technologischen Durchbrüchen bringen.