Startseite Newsticker International
Nach bald vier Tagen wird das Ausmass der Tsunami-Katastrophe in Indonesien langsam deutlich: mehr als 1200 Menschen sind tot. Aber es wird wohl noch schlimmer. Auf der Insel Sulawesi wächst das Chaos - und mit ihm die Kriminalität.
Bei den Erdbeben und dem folgenden Tsunami in Indonesien kamen nach einer neuen offiziellen Zwischenbilanz mindestens 1234 Menschen ums Leben. Das gab die Katastrophenschutzbehörde am Dienstag bekannt. Bislang war man von mehr als 840 Toten auf der Insel Sulawesi ausgegangen.
Unter den Trümmern von Häusern und im Schlamm werden noch viele weitere Leichen vermutet. Immer noch gibt es Nachbeben. Wahrscheinlich wird es noch Tage dauern, bis das ganze Ausmass der Katastrophe klar ist. Der Sprecher der Behörde, Sutopo Nugroho, berichtete von mehr als 800 Verletzten. Mindestens 99 Menschen werden noch vermisst. 61 000 haben ihre Häuser verloren. Immer noch gibt es Nachbeben. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind mindestens 191 000 Menschen auf Nothilfe angewiesen.
Mehr als 72 Stunden nach den Beben und der Flutwelle wird die Lage auf der Insel immer chaotischer. Bei den Überlebenden wachsen Verzweiflung und Zorn, weil es an den wichtigsten Dingen wie Wasser, Nahrung und Treibstoff fehlt. An den Strassen stehen Leute mit Schildern wie «Wir brauchen Essen» und «Wir brauchen Unterstützung».
«Wir brauchen Essen und Unterstützung.»
Aufruf auf Schildern der Bevölkerung
In der besonders schlimm betroffenen Stadt Palu kam es zu Plünderungen. Sicherheitskräfte gaben nach einem Bericht des Senders BBC Warnschüsse ab. Indonesien hat das Ausland inzwischen auch offiziell um Unterstützung gebeten.
Mancherorts hatten die Helfer auch Erfolg. Mehr als 72 Stunden nach dem Tsunami zogen sie aus den Trümmern eines Verwaltungsgebäudes in Palu einen Überlebenden. Der Mann namens Sapri Nusin konnte gleich wieder laufen, klagte aber: «Ich bin sehr durstig.» Die Zeit, um Verschüttete noch retten zu können, wird allerdings immer knapper.
Das Rote Kreuz verglich die Lage auf der Insel Sulawesi am Dienstag mit einem Alptraum. Sorge bereitete den Helfern zunehmend die 300'000-Einwohner-Region Donggala, die auch vier Tage nach dem Unglück immer noch weitgehend von der Aussenwelt abgeschnitten war. Vereinzelte Berichte deuteten daraufhin, dass das Gebiet «extrem hart» betroffen sein dürfte.
Laut dem für Sicherheit zuständigen Minister Wiranto würden Nahrungsmittel mittlerweile auf dem Luft- und Landweg gebracht. Nach und nach würden auch Stromanschlüsse und Mobilfunkverbindungen wieder hergestellt.
Sutopo Nugroho gab zu, vielen Vertriebenen sei bisher nicht ausreichend Hilfe zuteil geworden. "Essen gibt es nur begrenzt, Treibstoff gibt es nur begrenzt, sauberes Wasser und Kleidung gibt es nicht genügend."
In der besonders schlimm betroffenen Stadt Palu kam es zu Plünderungen. Nach Polizeiangaben wurden 45 Menschen festgenommen. Sie versuchen in Einkaufszentren unter anderem Flachbildfernseher, Schuhe, Kleidung und einen Geldautomaten zu stehlen, wie Polizeisprecher Dedi Prasetyo mitteilte.
Ihnen drohten demnach bis zu sieben Jahren Haft. Sicherheitskräfte gaben nach einem Bericht des Senders BBC Warnschüsse ab. Indonesien hat das Ausland inzwischen auch offiziell um Unterstützung gebeten.
Bewohner von umliegenden Dörfern beklagten sich über fehlende Hilfe von aussen. "Ich hoffe, die Medien können der Regierung sagen, sie soll auch in unser Dorf kommen", sagte Sukri, ein Bewohner des Dorfes Wani II. "Achtet nicht nur auf Palu."
Unterdessen wurde eine weitere indonesische Insel von einem heftigen Erdbeben erschüttert: die Insel Sumba weiter im Süden. Das Beben um 7.16 Uhr Ortszeit (2.16 Uhr MESZ) hatte die Stärke 6,3. Das Zentrum lag etwa zehn Kilometer tief im Meer, rund 66 Kilometer südwestlich der Insel. Augenzeugen berichteten, dass Panik ausgebrochen sei. Über grössere Schäden oder Opfer wurde zunächst nichts bekannt.
Auf Sulawesi - Indonesiens viertgrösster Insel - kommen die Einsatzkräfte erst nach und nach in die Gebiete weiter im Norden vor, in denen das Zentrum des schlimmsten Bebens von Freitagabend war. Es hatte eine Stärke von 7,4.
Auf einem Kirchengelände nahe Palu wurden nach Angaben des Roten Kreuzes die Leichen von 34 Schülern entdeckt, die dort an Bibelunterricht teilgenommen hatten. Mehr als 50 weitere Bibelschüler werden noch vermisst.
Viele Opfer sind noch unter Trümmern und im Schlamm begraben. Eine Sprecherin des indonesischen Roten Kreuzes sagte: «Das Schlimmste ist, anderthalb Stunden durch den Schlamm zu waten und Leichen zu tragen.» In der 350'000-Einwohner-Stadt Palu hat man damit begonnen, die ersten Toten in Massengräbern beizusetzen.
«Das Schlimmste ist, anderthalb Stunden durch den Schlamm zu waten und Leichen zu tragen»
Sprecherin des indonesischen Roten
Kreuzes
Indonesien liegt auf dem Pazifischen Feuerring, der geologisch aktivsten Zone der Erde. Für die 260 Millionen Einwohner sind Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüche keine neue Erfahrung. In diesem Sommer hatte es bereits auf der Insel Lombok eine Serie von schweren Erdbeben mit mehr als 500 Toten gegeben. Beim Mega-Tsunami an Weihnachten 2004 starben in Indonesien mehr als 160'000 Menschen - so viele wie in keinem anderen Land der Region.