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Schweiz (Newsticker)
Die erste Welle von billigen Nachahmerprodukten hat der Pharmariese Roche geradezu meisterhaft pariert. Er wächst 2018 wie versprochen und hebt die Dividende deutlich an.
Roche-Chef Severin Schwan ist ein Mann der leisen Worte. Der Österreicher zeigt sich in seinen öffentlichen Auftritten jeweils mit vornehmer Zurückhaltung, so wie sie der Kultur des familienbeherrschten Pharmagiganten eben entspricht. Doch als der CEO am Donnerstag in Basel vor die Presse trat, um über das abgelaufene Geschäftsjahr zu berichten, war ihm die Freude oder vielmehr die Erleichterung über das «sehr gute Jahresergebnis» leicht anzumerken.
Fast sieben Prozent mehr Umsatz und fast 22 Prozent mehr Gewinn – von einem solchen Resultat dürfte Schwan vor Jahresfrist nur geträumt haben. Denn für den erfolgsgewohnten Medikamentenhersteller war gerade eine neue und schwierige Zeit angebrochen. Die drei umsatzstärksten Präparate, die dem Unternehmen 2017 noch Einnahmen von rund 21 Milliarden Franken oder 40 Prozent des gesamten Konzernumsatzes eingebracht hatten, müssen sich nach vielen Jahren des Patentschutzes gegen die ersten billigen Nachahmerprodukte wehren.
Was das bedeutet, zeigen die folgenden Zahlen: Die Krebstherapie Rituxan hat im zweiten Quartal 2017 den Kopierschutz in Europa verloren. In der Folge sind die Verkaufszahlen auf dem alten Kontinent um nahezu die Hälfte auf 916 Millionen Franken eingebrochen. Der Umsatzrückgang sei hauptsächlich auf Volumenverluste zurückzuführen, erklärte Schwan. Die Nachahmerpräparate seien zwischen 50 Prozent und 30 Prozent unter dem alten Preis des Originals verkauft worden. Zu den Nutzniessern des Patentablaufs gehört Novartis. Dessen Rituxan-Kopie hat einen wesentlichen Anteil daran, dass die Novartis-Divison Sandoz ihren Umsatz mit biologischen Generika (Biosimilars) 2018 um ein Viertel steigern konnte.
Eine ähnliche Entwicklung wie bei Rituxan hätten auch die Verkäufe von Herceptin, einem zweiten Roche-Verkaufsschlager im Onkologie-Bereich, genommen, wenn sich Roche mit einer neuen, patentgeschützten Darreichungsform nicht noch eine Schonfrist hätte sichern können. Für Avastin, dem dritten Roche-Blockbuster, der ebenfalls zur Behandlung von Krebspatienten eingesetzt wird, geht die Schonfrist im laufenden Jahr zu Ende. Noch sind die Erfahrungen des vergangenen Jahres erst ein Vorgeschmack auf das, was Roche noch blühen könnte. Schwan erwartet die Zulassung von ersten Konkurrenzprodukten in dem gegenüber Europa rund dreimal grösseren US-Markt in der zweiten Hälfte des laufenden Jahres.
Doch die soliden Wachstumsraten im zurückliegenden Jahr zeigen: Roche hat den Absturz an der ersten Patent-Klippe nicht nur vermieden, sondern sogar zum Höhenflug angesetzt. Hauptgrund dafür ist der Erfolg von Ocrevus. Das Mittel zur Behandlung von Multipler Sklerose im schnell fortschreitenden Stadium, das im April 2017 in den USA und gegen Ende Jahr auch in Europa zum Verkauf zugelassen wurde, ist in dieser kurzen Zeit zum Medikament mit dem fünftgrössten Umsatz (2,4 Milliarden Franken) im Roche-Sortiment aufgestiegen. Allein 2018 haben die Verkäufe des Produktes um 1,5 Milliarden Franken zugenommen. Ein wahrlich spektakulärer Erfolg in einem Markt, auf dem die Patienten immerhin 13 verschiedene Therapiemöglichkeiten zur Auswahl haben. Finanzanalysten hatten das Marktpotenzial von Ocrevus vor Jahresfrist mit bis zu fünf Milliarden Franken beziffert. Inzwischen dürften die Schätzungen noch deutlich höher gehen.
Kritiker meinten, das Präparat basiere bloss auf einer Neuformulierung eines bestehenden Produktes und sei deshalb gar nicht so innovativ, wie es daherkomme. Der Erfolg sei auch eine Marketingleistung und das Gesellenstück von William Anderson, der Anfang 2018 den zur Konkurrenz abgewanderten Daniel O’Day als Pharmachef beerbt hatte. So gesehen ist es auch ein Erfolg für Schwan, der Anderson in die Konzernleitung nach Basel geholt hatte. Während der CEO sein hohes Jahresgehalt von 11,8 Millionen Franken gut halten konnte, winkt den Aktionären die 32. Dividendenerhöhung in Folge.