Arbon
«Es ist ein grosses Rätsel»: Anfang 1980 stellte Saurer seine Fahrzeugproduktion ein – doch Jahre später wurden noch etliche Militärfahrzeuge ausgeliefert

Eine Frage beschäftigt in Arbon. Wer hat die letzten Saurer-Lastwagen hergestellt, und vor allem wo? Offiziell lief die Produktion Anfang der 80er Jahre aus. Doch Ende 1980 lieferte Saurer noch über Tausend Fahrzeuge aus.

Remo Fischbacher
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Der letzte Militär-Lastwagen, welcher an die Armee ausgeliefert wurde.

Der letzte Militär-Lastwagen, welcher an die Armee ausgeliefert wurde.

Bild: Museumsgesellschaft Arbon

Das Arboner Unternehmen Saurer liefert 1983 offiziell den letzten zivilen Lastwagen aus. Die Führung sagte damals: «Die Aktiengesellschaft Adolph Saurer Arbon wird die eigene Produktion von Nutzfahrzeugen aufgeben. In einer neuen Gesellschaft, an der Saurer, Oerlikon-Bührle und die deutsche Daimler-Benz beteiligt sind, sollen künftig in Arbon Nutzfahrzeuge der Marken Mercedes-Benz, Saurer und FBW unter Verwendung von Mercedes-Bestandteilen montiert werden» (unsere Zeitung berichtete). Innert kürzester Zeit wurden rund Eintausend Arbeitsplätze abgebaut.

Der letzte, zivile Saurer-Lastwagen geht an die Firma Zumbühl. Chef Philipp Zumbühl und Chauffeur Alfred «Fredu» Bitzi posieren vor dem D-330-Modell. Der Lastwagen gehörte zum Sortiment 77, der letzten Saurer-Typenreihe vor der Einstellung des Fahrzeugbaus.

Der letzte, zivile Saurer-Lastwagen geht an die Firma Zumbühl. Chef Philipp Zumbühl und Chauffeur Alfred «Fredu» Bitzi posieren vor dem D-330-Modell. Der Lastwagen gehörte zum Sortiment 77, der letzten Saurer-Typenreihe vor der Einstellung des Fahrzeugbaus.

Bild: PD

Entschuldigung, wie geht das?

Doch: Gegen Ende der 80er-Jahre lieferte Saurer noch etliche weitere Fahrzeuge aus. Wie sich zeigt, handelte es sich vor allem um Militärfahrzeuge. In Zusammenhang mit der kürzlichen Berichterstattung unserer Zeitung, der Saurer-Saga in vier Teilen, fragen sich aufmerksame Leserinnen und Leser nun: Wie kann das gehen? Auch Ruedi Baer, Leiter des Saurer-Museums in Arbon, sagt rückblickend: «Es ist ein grosses Rätsel.»

Der Blick in die Geschichte zeigt: Der Nutzfahrzeughersteller hatte über längere Zeit rote Zahlen insbesondere wegen des Exportgeschäfts zu beklagen. Eine HSG-Studie kommt zum Schluss:

«Die langfristige Strategie von Saurer hat versagt.»

Es folgten einschneidende Konsequenzen. Die in Arbon ausgeführten Aktivitäten musste Saurer somit 1982 einstellen (TZ vom 29. Januar).

Zusammenschluss und Übernahme

So hatte die Firma Saurer, namentlich der damalige Generaldirektor Walter Roost, keine andere Wahl, als sich einer grösseren Nutzfahrzeugfirma anzuschliessen. Wegen der laut Robert Holzach, damals Saurer-Verwaltungsratspräsident, «brillanten Ertragslage» von Daimler-Benz ging man eine Kooperation mit dieser deutschen Grossfirma ein. Die Italienische IVECO (Fiat Gruppe) zeigte indes Interesse an der Saurer Motorenentwicklung und übernahm diese als DERECO Motoren AG.

Einige Jahre später entstand unter der Leitung des damaligen Verwaltungsrats-Präsidenten Walter Hess die Nutzfahrzeuggesellschaft Arbon und Wetzikon AG (NAW). Die Vorgängerfirma der heutigen Mercedes-Group AG zeichnete für das Management der zwei Schweizer Lastwagenfabriken von Saurer in Arbon und FBW, Franz Brozincevic Wetzikon, in Wetzikon verantwortlich.

Die Schweizer Armee hielt an Saurer fest

Die Gruppe für Rüstungsdienste der Schweizer Armee hatte die Saurer-Prototypen über Jahre intensiv evaluiert und wollte an einer Auslieferung durch Saurer festhalten. Kurzfristig das Modell zu wechseln kam ohnehin nicht infrage. Der damalige Produktionsleiter Hans Jäger sagte:

«1'200 Stück können wir für das Schweizer Militär in Arbon bauen.»

Er pochte darauf, dass die Abwicklung innert drei Jahren erfolgen müsste – und nicht wie ursprünglich vorgesehen innert fünf Jahren.

«Die Entlassungswelle haben wir nicht mitbekommen»

Jäger mag sich nicht an den grossen Stellenabbau erinnern. «Die Montage und die Produktion der Fahrzeuge sind über lange Zeit mit demselben Team vonstatten gegangen.»

Die zivile Produktion wurde bereits vorher beendet. Laut Jäger wollte Saurer trotzdem am Militär-Auftrag festhalten – in Zusammenarbeit mit der NAW.

«Die Planung der Armee-Auslieferung war ein über Jahre entwickelter Prozess. Wir konnten nicht einfach unterbrechen.»

Die Rechnung sei schliesslich aufgegangen. Auch wenn sich die Zahlung der Armee über zwei weitere Jahre erstreckte, so Jäger.

«Saurer hat von diesem Auftrag enorm profitiert und erstmals wieder schwarze Zahlen geschrieben.»

Es waren jetzt in der Tat die letzten, gefertigten Saurer-Lastwagen. 1986 lief die Produktion aus.