Die Diamantenhändler von Antwerpen haben Hunderte Millionen Euro auf Schweizer Konten versteckt. inzwischen setzt der grösste Handelsplatz der Welt auf Transparenz. Doch der Ärger über die Schweizer Banken ist gross.
Fabian Fellmann, Antwerpen
Ein gepanzerter Bus biegt in die enge Gasse ein, ein Polizist lässt Sperren runter. Vor einem schweren Stahltor laden zwei uniformierte Sicherheitsleute schwarze Plastikboxen aus dem Bus und verschwinden im Gebäude. Kaum sind sie wieder weggefahren, folgt der nächste Panzerwagen. Es herrscht stets emsiges Treiben in der Hoveniersstraat in Antwerpen, fünf Gehminuten vom Hauptbahnhof. Hier, in einer knapp 150 Meter langen Gasse, wuseln Inder, Araber, Belgier und orthodoxe Juden zwischen den Panzerwagen umher. Denn in dieser Gasse lassen sich die besten Rohdiamanten der Welt kaufen, rund 85 Prozent aller Rohdiamanten weltweit werden in Antwerpen gehandelt. An jedem Arbeitstag liefern die Panzerwagen Steine im Wert von rund 200 Millionen Euro an – unter den wachsamen Augen von 18 Steueraufsehern.
Das war nicht immer so. Noch vor knapp zehn Jahren besass fast die Hälfte der zirka 1700 Antwerpener Diamanthändler Konten bei HSBC Schweiz, auf denen sich Hunderte Millionen Euro befanden. Gegen die Privatbank laufen derzeit etwa in der Schweiz und Belgien Ermittlungen wegen des Verdachts, sie habe Kunden bei Steuerbetrug und Geldwäscherei geholfen. Damit die belgischen Steuerbehörden nicht misstrauisch wurden, soll die Bank Kontoauszüge an Tarnadressen geschickt haben. Und sie benutzte Codesprache: Ein Händler habe sich nach seinem Kontostand erkundigt, indem er nach dem «Preis von Kaviar» fragte. Solche Praktiken gehen aus den Unterlagen hervor, die unter dem Titel «SwissLeaks» veröffentlicht wurden und die Bank in die Schlagzeilen gerückt haben. Schlimmer noch: Die Indizien legen nahe, dass das Schwarzgeld teilweise aus dem Handel mit Blutdiamanten stammte.
Das alles sei längst Geschichte, sagt heute Margaux Donckier, Sprecherin der Stiftung Antwerp World Diamond Centre. Sie arbeitet für die Dachorganisation der Branche in den obersten Stockwerken eines stark gesicherten Hochhauses. «‹SwissLeaks› betrifft die Vergangenheit», sagt Donckier. «Inzwischen hat eine neue Generation von Händlern das Geschäftsmodell geändert. Und sie sind es satt, sich für etwas zu verteidigen, womit sie nichts zu tun hatten.»
In der selben Zeit, in der sich die Schweizer Banken vom Bankgeheimnis verabschieden und dem Schwarzgeld abschwören mussten, wurde auch der Diamantenhandelsplatz von Antwerpen von der Tendenz zu mehr Transparenz erfasst. Heute sei Antwerpen der transparenteste Handelsplatz der Welt, sagt Donckier, sowohl was die Herkunft der Diamanten als auch die Vorschriften gegen Geldwäscherei angeht. Branche und Gesetzgeber wollen damit vor allem Blutdiamanten fernhalten – Nachrichten über Verbindungen zu Krieg und Sklaverei könnten das glitzernde Geschäft trüben. Stammten früher 15 Prozent der Diamanten aus Konfliktgebieten, sind es heute laut Donckier nur noch 0,2 Prozent, und die würden ausgesondert.
Die Transparenz hat das Geschäft der Diamantenhändler aufwendiger gemacht und die Gewinne schrumpfen lassen. Viele Firmen haben Compliance-Spezialisten angestellt, die dafür sorgen, dass alle Auflagen eingehalten werden. «Kurzfristig erleidet Antwerpen einen Nachteil. Langfristig wird sich die Strategie aber auszahlen. Neue Minenbetreiber entscheiden sich zunehmend für Antwerpen als Handelsplatz – wegen der Transparenz», sagt Donckier. Die Industrie müsse aber auch ihre Effizienz steigern, um wieder profitabler zu werden.
Drei ältere jüdische Händler mögen an solche Zukunftsversprechen nicht recht glauben. Journalisten trauen sie eigentlich nicht über den Weg, doch als sie das Stichwort Schweiz hören, legt einer los: «Schreiben Sie ruhig, die Antwerpener Diamantenszene sei sauer auf die Schweizer, dass sie unter dem Druck der Amerikaner das Bankgeheimnis abgeschafft haben.» Vor zehn Jahren seien freitags die Schweizer Banker in Antwerpen eingefahren, wo sie das ganze Wochenende über Kunden angeworben hätten. Dabei sollen Berater den Händlern empfohlen haben, einen Teil des Geschäfts schwarz über die Schweiz zu führen, schimpft der Mann. «Und jetzt lassen die Banken ihre Kunden im Regen stehen. Sie schicken einen Brief, man müsse sein Konto innert dreier Monate räumen, und liefern unseren Steuerbehörden alle Kontoangaben.»
Eigentlich müssten die Schweizer Banken ihnen jetzt Geschäftskredite verleihen, findet einer der Händler, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Die belgischen Institute seien vorsichtig und knauserig geworden. Ohnehin laufe das Geschäft schlecht. Seit Jahren wandern Diamantschleifer aus Antwerpen ab, vor allem nach Mumbai, wo die langwierige Handarbeit mit den Rohdiamanten billiger zu haben ist. Die vielen Vorschriften setzten der Branche nun noch mehr zu. Wenn Kunden aus einem Schmuckgeschäft kommen, müssten sie damit rechnen, dass Zivilfahnder die Quittung kontrollieren wollen, klagt einer der Männer. «Früher war vor Feiertagen die ganze Strasse voller Kunden aus Deutschland, den Niederlanden und Frankreich. Heute ist sie meistens leer.»
Zwei junge flämische Diamantenhändler sehen das ganz anders. Auch sie diskutieren in der Rauchpause über das schleppende Geschäft. Und auch sie ärgern sich manchmal über den enormen administrativen Aufwand wegen Geldwäscherei- und anderen Vorschriften. Doch sie halten die Kontrollen für einen Vorteil: «Strenge Regeln vertreiben die schwarzen Schafe aus dem Geschäft.» Mit ihren schmucken Hornbrillen und adretter Businesskleidung könnten sie als junge Banker in der Zürcher Bahnhofstrasse durchgehen – die ebenfalls beteuern, nichts mehr mit den Schwarzgeldgeschäften ihrer Vorgänger zu tun haben zu wollen. «In jeder Firma gibt es eine neue Generation», sagt einer.
Zwei indische Händler prophezeien Antwerpen indes keine gute Zukunft. Die Politiker müssten die wuchernden Vorschriften im Zaun halten, schliesslich erwirtschafte der Sektor in der kleinen Gasse in Antwerpen ganze 8 Prozent der belgischen Wirtschaftsleistung. Selbst engagiere er sich nicht in der Politik, er verstehe sie nicht und spreche die Lokalsprache Flämisch zu schlecht, sagt einer. Die beiden Mittzwanziger sind in Belgien aufgewachsen, in der geschlossenen Welt der indischen Händlerfamilien. «Wir fühlen uns in Mumbai und London mehr zu Hause als hier», sagt einer. Bedränge Belgien den Diamantenhandel zu sehr, werde dieser abwandern. «Wir können unsere Steine auch in Dubai verkaufen. Dort geht alles schneller und einfacher.»
ff. Auf dem weltgrössten Diamanthandelsplatz Antwerpen ist die Schweiz omnipräsent: Die Schweizer Uhren- und Schmuckindustrie gehört zu einer wichtigen Abnehmerin von Rohdiamanten, die via Belgien importiert werden. Einen zweifelhaften Ruf hat die Schweiz in Antwerpen erlangt, weil der Bankenplatz der Branche bis 2006/07 im grossen Stil geholfen haben soll, Schwarzgeld vor den Behörden zu verstecken. Inzwischen fahren die Banken einen anderen Kurs: Diamanthändler beklagen, die Banken hätten ihre Konti kurzfristig gekündigt.
Gegen die in Antwerpen besonders aktive HSBC Schweiz führt die belgische Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren. Dafür hat sie in der Schweiz um Rechtshilfe ersucht; der Antrag ist noch hängig. Die Ermittlungen des Untersuchungsrichters begannen bereits 2009, basierend auf Kontoangaben aus der Schweiz, welche der Whistleblower Hervé Falciani den französischen Steuerbehörden übergeben hatte. Darauf beruht auch die derzeitige Berichterstattung über HSBC unter dem Titel «SwissLeaks».
Eine Sondereinheit des Finanzministeriums hat mit Hilfe der Falciani- Liste die Kontoinhaber unter die Lupe genommen. Aus knapp 200 abgeschlossenen Verfahren resultierten Steuer- und Busseneinnahmen von über 400 Millionen Euro. Insgesamt sollen Belgier 2006 und 2007 rund 6 Milliarden Euro in der Schweiz parkiert haben, wovon aber nur ein Teil nicht versteuert war.
Trotz dieser Probleme hat die Schweiz in der Antwerpener Diamantengasse immer noch ein hohes Ansehen – wegen ihrer Präzisionsinstrumente. Genaue Waagen sind für Diamanthändler essenziell. In den Schaufenstern der Zubehörläden werden Schweizer Produkte als besonders zuverlässig angepriesen. Und unter dem Namen «Swiss-Axe» sollen die besten Lupen und Pinzetten zu kaufen sein.