Frauen sind produktiver

In vielen Ländern der Erde haben Frauen keinen Anspruch auf Landbesitz. Die indische Ökonomin Bina Agarwal beweist, dass das schädlich ist für alle.

Rolf App
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Die Bauern der Zukunft werden Frauen sein, sagt Bina Agarwal. (Bild: Frank Bienewald/Getty (Kalkutta, 2. Mai 2017))

Die Bauern der Zukunft werden Frauen sein, sagt Bina Agarwal. (Bild: Frank Bienewald/Getty (Kalkutta, 2. Mai 2017))

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Zur Verleihung der Balzan-Preise im Nationalratssaal erscheint Bina Agarwal in einem wunderschönen grünen Sari. Die Inderin setzt einen farbigen Akzent an der männerdominierten Wissenschaftspreis-Vergabe, und das nicht nur mit ihrem Sari.

Denn Bina Agarwal hat mit den Ungleichheiten zwischen Mann und Frau ein höchst politisches Thema zu ihrer Lebensaufgabe gemacht. Und sie ist durchaus zufrieden mit dem, was sie mit ihren Forschungen, aber auch mit Hilfe von Zeitungsartikeln und Fernsehauftritten zur Verbesserung der Lage vieler Frauen beigetragen hat. «Es hat sich viel verändert zu ihren Gunsten, in Indien und in vielen anderen Ländern», sagt sie im Gespräch.

Ins Auge gefallen sind ihr diese Ungleichheiten schon in der Kindheit, wenn sie in Rajasthan ihre Grossmutter besuchte. «Dort war man zwar sehr nett zu mir», erzählt sie. «Aber mir ist aufgefallen, wie unterschiedlich Mädchen und Buben gefördert wurden.» Das mag dazu beigetragen haben, dass sie nicht Ärztin wurde wie andere Frauen in ihrer Familie, sondern in Neu-Delhi Ökonomie studiert hat.

Pendeln zwischen England und Indien

Für den zweiten Teil des Studiums wechselte sie nach Cambridge. Eine Pendelbewegung zwischen Grossbritannien und Indien setzte ein, die das Leben der 66-jährigen, erstaunlich jung wirkenden Wissenschafterin bis heute bestimmt. Einen Teil des Jahres verbringt sie in Manchester, wo sie an der Universität arbeitet, einen Teil in Indien. Oder in jenen Ländern, deren ökonomische und soziale Verhältnisse sie gerade erforscht.Bina Agarwal ist dabei weit herumgekommen. Ihre 1983 veröffentlichte Doktorarbeit über die Auswirkungen der «Grünen Revolution» auf die indische Landbevölkerung hat dabei als eine Art Auslöser gewirkt. Sie hat gezeigt, dass Traktoren nicht unbedingt produktiver sind als Menschen und dass den Frauen eine bis dahin unterschätzte Bedeutung zukommt. «Die Bauern der Zukunft werden Frauen sein», sagt sie. «In Südasien liegt ihr Anteil schon heute bei 50 Prozent und mehr.» Was im Umkehrschluss bedeutet: Will man die Produktivität der Landwirtschaft erhöhen, dann gilt es, die Frauen den Männern gleichzustellen.

Davon aber sind viele Länder Asiens und Afrikas weit entfernt. Bina Agarwal zitiert, was schon 1978 Frauen im indischen Westbengalen ihrem Dorfrat auf den Weg gegeben haben: «Geht und fragt die Regierung, warum wir bei der Verteilung von Land nicht berücksichtigt werden. Sind wir denn keine Bauern? Wenn unsere Ehemänner uns hinauswerfen, wo sind dann unsere Sicherheiten?»

Die Fragen bleiben aktuell, etwa in Afrika, wo es, wie Bina Agarwal sagt, «keinen gesicherten Anspruch für Frauen auf Land» gebe. «In Kenia etwa sind nur fünf Prozent der registrierten Landbesitzer Frauen, obwohl Frauen fünfzig Prozent und mehr der Arbeit auf den Feldern vollbringen.» Nicht nur in Kenia, rund um den Globus sei eine «Feminisierung der Landwirtschaft» festzustellen, sagt Bina Agarwal. In einer breit angelegten Untersuchung hat sie die Vorzüge dieser Entwicklung herausgearbeitet. Frauen arbeiten effizienter als Männer, wenn man ihnen den gleichen Zugang zu Land, Wasser, Technologie und Märkten verschafft. Und: Gibt man ihnen mehr Rechte, dann geht auch die häusliche Gewalt zurück.

Zu tun bleibt vieles. Dennoch ist Bina Agarwal zuversichtlich. «Die Menschen wollen immer Schranken überwinden», sagt sie. Und sie arbeitet mit. «Jetzt gerade befasse ich mich mit Gruppenlandwirtschaft», erzählt sie. «In zwei Projekten beobachten wir Frauen, die sich zusammenschliessen und ihr Land gemeinsam bewirtschaften. Dabei zeigt sich: In der Gruppe sind diese Frauen viel produktiver, als sie es allein wären.»