GASTRONOMIE: Grosser Sprung in die Sterne

Nenad Mlinarevic vom Restaurant Focus im Park Hotel Vitznau ist in die Top- Liga der Köche aufgestiegen. Wir sassen mit dem 32-Jährigen, den alle Nenad nennen, zu Tisch. Für ein Interview.

Interview Hans Graber
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«Auch die Präsentation muss stimmen»: Küchenchef Nenad Mlinarevic vor dem Park Hotel Vitznau, Seeseite. (Bild Dominik Wunderli)

«Auch die Präsentation muss stimmen»: Küchenchef Nenad Mlinarevic vor dem Park Hotel Vitznau, Seeseite. (Bild Dominik Wunderli)

Es weihnachtet sehr hier im Park Hotel Vitznau. Bei Ihnen selber auch?

Nenad Mlinarevic: Nicht speziell. Ich muss betonen, dass ich in einer serbisch-orthodoxen Familie aufgewachsen bin, und diese Kirche feiert Heiligabend und Weihnachten erst am 6. und 7. Januar. Ich verbinde mit diesem Fest schon auch Erinnerungen, aber seit ich Koch bin, bedeuten der 24. und 25. Dezember wie auch Silvester vor allem Arbeit. Aber es hat auch was für sich, seinen Gästen einen schönen Abend bescheren zu können. Das beste Weihnachtsgeschenk ist für mich, wenn das Restaurant gefüllt ist und eine gute Stimmung herrscht.

Feiern Sie am 6. und 7. Januar?

Nenad: Ehrlich gesagt nein, im Gegensatz zu meiner Familie habe ich das nie gross zelebriert.

Sie haben ein «-ic» im Namen, damit hat man in der Schweiz nicht durchwegs gute Karten. Gab es schlechte Erfahrungen?

Nenad: Nein, ich bin in Zürich aufgewachsen, in einem guten Quartier. Ich bin seit früher Kindheit integriert, meine Kollegen waren immer grossmehrheitlich Schweizer, ich habe nach der RS im Militär weitergemacht, war Offiziersaspirant. Das alles hat wohl dazu beigetragen, dass ich eigentlich nie Probleme mit dem «-ic» hatte.

Keine dummen Sprüche, die Sie sich anhören müssen?

Nenad: Ach, Sprüche machen doch alle hin und wieder, auch ich, aber das muss man nicht so ernst nehmen.

Ihre Lehrstelle haben Sie offenbar dank Ihrem Vater gefunden.

Nenad: Ja, er war Bahnführer bei der Dolderbahn in Zürich und kannte den Küchenchef des Hotels Dolder Waldhaus. Dort konnte ich schnuppern gehen.

War Koch Ihr Berufswunsch?

Nenad: Nach der Schnupperlehre schon. Aber zuvor wusste ich nicht recht, was machen. Es geisterten die üblichen Verdächtigen herum, KV und so, aber nach der Woche im «Dolder» wusste ich, was ich werden will.

Weshalb?

Nenad: Mir gefiel die super Stimmung, die Energie in dieser Küche, die Kreativität, die da ausgelebt wurde.

Gab es schon Köche in der Familie?

Nenad: Ein Onkel übt diesen Beruf aus, und meine Mutter kocht auch gut, immer mit Frischprodukten. Und ich habe schon immer gern und gut gegessen (lacht).

Essen Sie alles?

Nenad: Nein, Schnecken nicht, gewisse Innereien wie Lammhirn auch nicht, und so Sachen wie Austern esse ich zwar, aber ich muss es nicht unbedingt bestellen.

Hatten Sie schon während der Lehre im «Dolder» eine grosse Karriere im Hinterkopf?

Nenad: Das nicht gerade, aber ich war effektiv immer sehr ehrgeizig, wollte immer der Beste sein und noch mehr aus mir herausholen. Auf die Sternegastronomie bin ich jedoch erst nach der Lehre gekommen. Ich wollte mir während Wanderjahren in 5-Sterne-Häusern eine gute Basis legen und super Referenzen holen, aber bis ich 21 oder 22 Jahre alt war, lief der Job dennoch eher nebenher, erst dann hat es mir den Ärmel hineingenommen.

Aus einem bestimmten Grund?

Nenad: Ich war damals in Zollikon in der Wirtschaft zur Höhe, einem gutem ­Restaurant mit einem österreichischen Küchenchef. Der hat erzählt von der Sternegastronomie, hat mir Bücher gezeigt und mir eine neue Welt eröffnet. Als ich ihm sagte, dass ich diesen Weg einschlagen möchte, hat er mich gewarnt: Da arbeitest du 16 Stunden pro Tag, hast keine Zeit für Freunde, verdienst nichts usw. Aber je mehr schlechte Aussichten er erwähnte, umso mehr interessierte mich das Ganze.

Um zu zeigen, dass alles ganz anders ist.

Nenad: So ganz anders ist es nicht. Es stimmt vieles, was er gesagt hat. Aber ich bin jetzt seit zehn Jahren dabei, und es macht mir ungemein Spass. Ich möchte nichts anderes.

Sie haben es ja auch vergleichsweise gut. Das Restaurant hier ist nur abends geöffnet und nur an fünf ­Tagen pro Woche.

Nenad: Ich kann dem nicht mal widersprechen, wir haben es gut und wissen das auch zu schätzen. Es ist die Luxusvariante, wenn man in einem Gourmetlokal arbeitet. Wir sind zu sechst in der Küche, haben geregelte Arbeitszeiten, es gibt zwar auch bei uns mal 12-Stunden-Tage oder noch mehr, aber geschlafen in der Küche habe ich noch nie.

Sie konnten sich Ihre Brigade selber zusammenstellen und haben lauter Copains ausgewählt. Bringt das keine Probleme mit sich?

Nenad: Wir pflegen einen kameradschaftlichen Umgang mit ganz klaren Regeln. Die Kollegen – im Alter zwischen 24 und 27 – haben auch alle in besten Häusern gearbeitet, und sie kennen mich, sie wissen, dass ich ein Perfektionist bin.

Sind Sie streng?

Nenad: Eigentlich ist das nicht zwingend notwendig, das Team ist perfekt eingespielt und weiss, worauf es ankommt. Klar, manchmal muss ich die Zügel schon etwas anziehen ...

... und laut fluchen?

Nenad: Auch das kann es geben, wie in fast allen Küchen. Aber wenn ich einem mal «Idiot» sage, ist das kein persönlicher Angriff und wird auch nicht so empfunden. Das passiert einfach in der Hitze des Gefechtes.

Wann konkret?

Nenad: Wenn einer 20 Mal etwas immer gleich und super gemacht hat und beim 21. Mal aus irgendeiner Laune heraus etwas völlig anderes. Das erträgt es nicht in einer Küche mit unseren Ansprüchen – und das akzeptiere ich nicht.

Kontrollieren Sie alles, was aus der Küche geht?

Nenad: Ja, wobei ich durchaus Vertrauen habe in meine Leute. Die wissen selber sehr genau, dass nichts geschickt werden darf, das nicht absolut auf dem Punkt ist. Wenn man an fünf Tagen jeweils abends geöffnet hat, kann man null Kompromisse dulden.

Und wenn Sie mal nicht da sind?

Nenad: Dann klappt alles wie gewohnt, mein Souschef Sven Wassmer hat das im Griff. Bei uns ist auch alles exakt aufs Gramm rezeptiert. Es ginge nicht, dass einer mal etwas weniger Salz oder etwas mehr Wein in eine Sauce gibt. Ein Geheimnis des Erfolges ist die Konstanz.

Was Sie machen, gefällt den Gastrokritikern. Das «Focus» hat 16 Punkte von Gault Millau und nun auf Anhieb 2 Sterne von Guide Michelin erhalten. Was bedeuten Ihnen die Punkte und Sterne?

Nenad: Anerkennung. Aber so genau kann ich das nicht umschreiben. Ich hatte noch gar keine Zeit, die zwei Michelin-Sterne zu verarbeiten, ich brauche glaube dringend Ferien. Sicher ist, dass sie für mich und das ganze Team überaus motivierend sind, und sie bringen auch sofort neue Gäste, die uns mit Neugier begegnen. Sicher ist auch, dass ich nicht abheben werde, ich bleibe mit beiden Beinen am Boden.

Das Höchste wären drei Michelin-Sterne. Auf Ihrem rechten Unterarm haben Sie eine Kochhaube und 3 Sterne tätowiert. Ein Omen?

Nenad: Ich habe dieses Tattoo vor über zehn Jahren machen lassen, das Sujet wählte ich so, weil es etwas mit Koch zu tun haben sollte, und schon auch deshalb, weil ich gewisse Ambitionen hegte. Bis anhin sind es ja nur Umrisse von Sternen, aber zwei lasse ich mir jetzt ausfüllen.

Aber dass der dritte folgt, ist schon Ihr Ziel?

Nenad: Es ist vermutlich schon so: Wer keinen Stern hat, will einen. Wer einen hat, will zwei. Der Mensch neigt dazu, immer mehr zu wollen, als er gerade hat. Ich schliesse mich da nicht aus, aber setze mich auch nicht unter Druck. Es ist schon eine Herausforderung, das Erreichte zu halten.

Wie wird man auf diesem Niveau noch besser?

Nenad: Weiterhin Konstanz, zudem noch raffinierter, noch feiner, noch besser werden und nicht stehen bleiben. Zweimal dieselbe Winterkarte, das finde ich Stillstand. Wir wechseln alle paar Wochen das Menü. Zudem gilt es die Präsentation der Gerichte und das Zusammenspiel mit dem Service zu vervollkommnen. Das Gesamterlebnis für den Gast soll noch spezieller werden.

Ich habe noch nie bei Ihnen gegessen, wäre aber glaub ein undankbarer Gast. In der Sternegastronomie fühle ich mich oft wie in einem Hochamt, manches wirkt so steif, zudem dauert es für mich viel zu lange, ich rege mich auf über das zuweilen aufgeblasene Gehabe anderer Gäste, und den Unterschied zwischen sehr gut und wahnsinnig gut würde ich vermutlich nicht einmal merken. Wie wollen Sie mich dazu bringen, dass ich trotzdem zu Ihnen komme und für 9 Gänge 215 Franken bezahle?

Nenad: Also ich kann Sie beruhigen, in unserem Restaurant geht es locker zu und her, es gibt keinen Dresscode, und man wird nicht durch den Service bedrängt, das Essen im «Focus» soll Spass machen.

Aber bis die 9 Gänge durch sind, ist Mitternacht.

Nenad: Überhaupt nicht, Sie bestimmen das Tempo. Kürzlich war Herr Bumann da, der selber 2 Michelin-Sterne hat. Er sagte, dass er nicht warten möge, 7 Minuten seien das Maximum für einen Gang. In gut einer Stunde war er durch mit den 9 Gängen. Für uns ist das kein Problem. Und übrigens: Ich warte auch nicht gern.

Und wo ist der Unterschied zwischen einem Essen für sagen wir 50 und einem für 215 Franken?

Nenad: Entscheidende Faktoren sind die Produkteauswahl, der ganze Aufwand, vom Einkauf über die Zubereitung und die Präsentation bis zum Service. Ferner gibt es zu den 9 Gängen noch 5 Amuse- bouches, vor dem Dessert gibt es ein Pre-Dessert, zum Kaffee eine Schoko-Komposition, wir machen das Brot selber und – ach, kommen Sie mal vorbei und lassen Sie sich überzeugen (lacht).

Dass das Menü seinen stolzen Preis wert ist, bezweifle ich nicht. Man hört aber trotzdem immer wieder sagen, dass sich gerade die Sternegastronomie kaum rechnet. Stimmt das?

Nenad: Man muss sicher gut kalkulieren, und es ist ein offenes Geheimnis, dass man am Wein einiges mehr verdienen kann als mit dem Essen.

Der Koch, der Sie einst gewarnt hat, hat auch mit dem angeblich bescheidenen Lohn argumentiert. Sind Sie zufrieden mit Ihrem Verdienst?

Nenad: Absolut, aber man muss schon untendurch, bis man auf einem gewissen Lohnniveau ankommt. Bis man als Koch einen gewissen Status hat und sich mit etwas Geschick auch vermarkten kann, braucht es effektiv viel Arbeit – und auch Glück, wie ich es hatte. Dass man in Vitznau an mich geglaubt hat und ich hier das «Focus» realisieren konnte, ist nicht die Regel. Ich schätze das sehr. Es gibt viele talentierte Köche, die leider nie eine solch tolle Unterstützung erfahren.

Sie haben für einen Spitzenkoch recht viel Freizeit. Was machen Sie?

Nenad: Puh, auch in meiner Freizeit drehen sich etwa 80 Prozent um den Job und ums Kochen. Auch auf Reisen. Ich will über ein spezielles asiatisches Gewürz nicht nur in einem Buch lesen, ich will es selber vor Ort riechen und alle Sinneseindrücke aufnehmen, die ich dann wieder in meiner Küche verwerten will.

Keine Zeit für Hobbys?

Nenad: Tennis zum Beispiel. Und ich bin viel mit dem Velo unterwegs, wenn es schön ist, fahre ich von meinem Wohnort oft mit dem Velo zur Arbeit.

Leben Sie in einer Beziehung?

Nenad: Nein.

Keinen Platz dafür?

Nenad (überlegt): Platz vielleicht schon, aber im Moment es ist okay so, wie es ist. Ich bin zufrieden mit der jetzigen Situation und fühle mich wohl, der Fokus liegt jetzt mal auf dem «Focus». Den Namen des Restaurants habe ich ja selber gewählt.

Im Globus Luzern

Zur Person. Nenad Mlinarevic, geboren am 2. April 1981, hat im Zürcher Hotel Dolder Waldhaus Koch gelernt. Danach arbeitete er unter anderem in den Spitzenhäusern «Zum Wiesengrund» in Zürich, in «Jöhri’s Talvo» St. Moritz und bei Andreas Caminada im Hotel Schloss Schauenstein in Fürstenau. Von 2011 bis 2012 war er Küchenchef in der «Neuen Blumenau» in Lömmenschwil, der Gault Millau feierte ihn 2011 als «Entdeckung des Jahres». Im Frühjahr 2013 wurde im Parkhotel Vitznau das Restaurant Focus mit Küchenchef Nenad Mlinarevic eröffnet. Es wurde auf Anhieb mit 16 Gault-Millau-Punkten und – offenbar nach sechs anonymen Testessen – mit 2 Sternen von Guide Michelin bewertet. 2 Michelin-Sterne hat in der Zentralschweiz neben dem «Focus» einzig Franz Wiget vom Restaurant Adelboden in Steinen SZ.