Den Rudeln von Plastikrentieren und dem Gedudel von Christmassongs zum Trotz– die meisten freuen sich auf Weihnachten. Die einen etwas mehr, die andern etwas weniger. Sechs kurze Festgeschichten aus der Redaktion.
Geschenke lassen sich nicht zweimal öffnen. Diese Lektion hat mich meine Grossmutter auf die harte Tour gelehrt. Eigentlich steckte meine Grossmutter übers Jahr ihre Nase am liebsten in die Angelegenheiten ihrer Nachbarn. Zu Weihnachten aber steckte sie ihre Nase am liebsten in die Weihnachtspakete ihrer Enkel. Wenn Schenken soziales Handeln ist, dann war Grossmutters Versuch, uns Beschenkten zuvorzukommen, ziemlich asozial. Klar, empfand ich als Kind da die rohe Wut der Betrogenen. Denn die Päckchen, die Tante und Onkel unter Grossmutters Weihnachtsbaum legten, wirkten jedes Mal ziemlich verbraucht. Das zerknitterte Geschenkpapier und die schlecht sitzenden Klebstreifen setzten einen unchristlichen Indizienprozess in Gang. Meine Grossmutter hat die Tat aus unkontrollierter Neugier schliesslich zugegeben. Für mich steht seither fest: Zur Kultivierung der Vorfreude versucht man sich am besten in neugieriger Zurückhaltung. Weshalb ich als Kind neben harmlosem Teigklau aus dem Kühlschrank nur noch einmal meine Neugierde nicht in den Griff bekam. Das Geschenk war riesig und deshalb bedeutungsvoll, so glaubte ich in meiner Kinderlogik. Also kratzte ich mit einer Büroklammer am Geschenkpapier. Am Ende war’s dann ein Bürostuhl. Man kann einem Kind nichts Traurigeres schenken als etwas Zweckgebundenes. Ich habe es nie mehr gewagt, die Aura eines Geschenks vor Heiligabend zu zerstören. (Julia Stephan)
Die Crux am Weihnachtsfest ist: Es soll gleichzeitig besinnlich, friedlich, gemütlich und glanzvoll sein. Gefragt ist also viel Attitüde. Und Attitüde verkommt nun mal leicht zur Farce. Kein Wunder, hat alle Jahre wieder die Selbstironie Konjunktur – leider nur im Kino. Ich bin ein Fan dieser Weihnachtskomödien – genauso wie ich keine gute Köchin, keine versierte Gastgeberin und kein Freund von Tafelsilber bin. Dafür mag ich traute Zweisamkeit – die man rund um den Christbaum selten findet. Aus all diesen Gründen hatte ich dieses Jahr mein bestes Weihnachtserlebnis vermutlich schon: Zusammen mit meinen Kindern schaute ich im kleinen Kino Lux in unserer Strasse den Weihnachtsspass «Daddy’s Home 2» an. Ja, diese Komödie mit viel Slapstick und wenig guten Kritiken. Wir haben sehr gelacht. Vor allem meine Achtjährige neben mir. Wenn sie lacht, beben ihre Nasenflügel. Ich bin mir sicher: Denke ich später mal an schöne Weihnachten zurück, dann habe ich vor Augen, wie dieser blöde Mel Gibson die Nase meiner kleinen Tochter zum Zittern bringt. Erinnere ich mich heute an frühere Weihnachten, dann kommt mir viel Stress mit Verwandten und Terminen in den Sinn – einerseits. Andererseits: Wie ich mit meiner Mutter einmal spätabends zur Kirche ging. Die lärmende Familie hatten wir zuhause gelassen. Und der Mond hatte einen Hof. Ob Kino oder Kirchgang in der Nacht: Entspannt sind die Festtage schöner. (Susanne Holz)
Aufgewachsen bin ich in einer Bäckerei. Damit andere feiern konnten, wurde gearbeitet. Feststimmung wollte da nicht gross aufkeimen, ausser vielleicht, wenn die abgekämpften Eltern am Abend des 24.12. in die Kasse schauten. Um auch uns Kinder mit einem Spitzengeschenk am Segen teilhaben zu lassen, war es um diese Zeit zu spät. Ich habe mir zusammengereimt, dass das der liebe Gott halt so eingerichtet hat für Bäckerei-Kinder: Sie kommen an Weihnachten etwas zu kurz, haben dafür ganzjährig Süssigkeiten und anderes Gebäck zur ziemlich freien Verfügung. Ach was, ich habe mir natürlich keine so gescheiten Gedanken gemacht. Aber: Mit Weihnachten bin ich nie ganz warm geworden. Mein Verhältnis dazu ist bis heute recht ambivalent. Was mir prima gefällt: «Stille Nacht». Heiligabend bei Niedermanns. Mailänderli. Geöffnete Wirtshäuser, samt dort verweilenden Menschen, die leicht einen sitzen haben. Gottes Sohn Owi. Den lückenlosen Familienauflauf am Stephanstag. Fondue chinoise. «D Zäller Wiehnacht». Panettone. Loriots «Weihnachten bei Hoppenstedts». Den Kalender mit Fotos der vier Enkelkinder auf dem Gabentisch. «Leise rieselt der Schnee» in der Version von Element of Crime. Portwein. Urbi et orbi in über 100 Sprachen. Mandarinenglace. Rührselige Geschichten von früher. Tröstlich sich hinziehende Bierrunden an den Abenden zwischen den Jahren. Die berechtigte Hoffnung auf länger werdende Tage. Das Negative? Geschenkt! ‘s ist schliesslich Weihnachten. (Hans Graber)
Ich habe mich versöhnt. Päckliwettkampf, Konsumskepsis und Familienstress? Solche Kritik ist bloss Zeichen unseres Luxuslebens. Davon lasse ich mir Weihnachten nicht mehr verderben. Versöhnt bin ich, seit meine Mutter, die gegen die 90 zugeht, von den tristen Weihnachten in ihrer Kindheit erzählte: Frühe 1940er-Jahre in einem kleinen Dorf in der Ostschweiz. Keine Deko, keine Musik, als Geschenk bekam das kleine Mädchen Socken – deshalb holen wir erwachsenen Kinder das nun für sie nach. Jahr für Jahr. Mit Geschenken unter dem Christbaum. Und mit kulinarischer Harmonie: Was nicht auf Anhieb gelang. Weihnachtliches Familienidyll musste erkämpft werden. Zwei Schwestern, die partout beim alljährlichen Weihnachtsbraten die Nase rümpften und damit der mütterlichen Köchin die Enttäuschungstränen auf die Wangen trieben. Ein unhaltbarer Zustand. Wenn Idealismus (zwei Vegetarierinnen) auf mütterlichen Stolz prallt («Zum Festessen gehört doch ein gutes Stück Fleisch!»), sind praktische Lösungen gefragt. Zum Versöhnungsmenu versammeln wir uns nun Jahr für Jahr ums Racletteöfeli. Nichtvegis dürfen auch mal eine Scheibe Speck ins Pfännli legen – oder Öfeli-Pizza belegen. Spätestens nach 50 ist ablehnende Aufmüpfigkeit als Haltung verbraucht. Mein Hauptgrund für die traditionelle Familien-Weihnachten ist Wiedergutmachung. Dass das nicht zeitgeistig cool und ironisch tönt, sondern pathetisch und rührselig, ist mir egal. (Hansruedi Kugler)
Wenn man in einem religiös gemischten Elternhaus aufwächst, lernt man relativ früh durch ökumenische Anstrengungen den Hausfrieden zu wahren. In meinem Fall etwa trotz dem Besuchen des katholischen Religionsunterrichts, auch christlich-orthodoxe Gepflogenheiten zu erlernen. Eine etwas knifflige Angelegenheit, zumal statt wöchentlichem Unterricht nur die Sommerferien bei den Grosseltern als Lerngrundlage dienen. Und die Riten im ländlichen Serbien erfordern doch etwas mehr Choreografie – vor allem bei häuslichen Bräuchen ausserhalb der Messe (ich bin mir bis heute nicht sicher, ob das festliche Eucharistie-Brot zuerst geküsst oder mit Wein übergossen werden muss). Doch wie so oft, gehen höhere Verpflichtungen auch mit gewissen Entschädigungen überein. Bei der Kombination von Katholiken und Orthodoxen kommen diese in Form des alten, julianischen Kalenders daher. Durch die Abweichungen wird Weihnachten bei Letzteren erst im Januar gefeiert. Wenn man es also schlau anstellt, kann man in den Genuss von zwei Festessen kommen. Weniger schlau ist es jedoch, wenn man die Daten nicht im Kopf hat. Besonders unangenehm ist es naiverweise nach den stressigen Festtagen Anfang Januar endlich den lange aufgeschobenen Besuch bei Verwandten in Angriff zu nehmen. Und dabei statt zum Kaffee-Plausch völlig unvorbereitet und ohne Geschenke in die Weihnachtsfeierlichkeiten reinzuplatzen. (Sasa Rasic)
Wer ursprünglich das Drehbuch geschrieben hat? Keine Ahnung. Und wer die Regieanweisungen gibt, ist auch nicht eindeutig. Die Heiligabendrunde ist jedenfalls eingespielt, der Ablauf «heilig». Einzig die Dauer der einzelnen Sequenzen gilt es im Auge zu behalten. Denn schon kurz nach der Ankunft – beim festlichen Apéro also – ist’s, als ob die Zeit stehen bliebe. Auch dann, wenn wir entweder bis kurz zuvor arbeiteten, schnell die letzten Päckli machten (wo sind die Kleberli?) und dabei mit einem Auge «Kleiner Lord» schauten oder Kressnadeln aufsaugten. Schnell sind jetzt nur noch die Hirten – vor lauter Kerzenwärme legen sie einen Spurt hin in der Weihnachtspyramide. Wir hingegen sind einfach da, die Programmpunkte sind klar. Es rumpelt in der Küche, wo die erste Generation kleine Wunder vollbringt. Dann kommt doch etwas Betriebsamkeit auf. Wein probieren, schöpfen – dem Alter nach – die Sitzordnung ist eh gegeben. Und wieder fallen wir etwas aus der Zeit. Wir müssen beschleunigen. Nein, das ist kein Weihnachtsstress. Im Gegenteil: Froh und munter ist das. Die ehrenvollen Rollen sind verteilt. Gschenkliträgerin, Kerzenanzünder, Einsingerin/Gitarrenstimmerin, Glockenläuter... Die nun anstehende Musiksequenz folgt lockeren Regeln. Die Lieder werden auf Zuruf angestimmt. Alle Jahre wieder stellen sich jetzt die einzigen und immergleichen Fragen: Mit Wiederholungen? Wie viele Strophen? Ist das Singtempo nicht zu langsam? Herrlich!(Yvonne Stadler)