ITALIEN: Das gerupfte Huhn von Rom

Der offizielle Weihnachtsbaum Roms ist von etwas trauriger Gestalt – schon wieder. Noch trauriger ist aber die politische Schmähkampagne gegen Bürgermeisterin Virginia Raggi, für die der Baum nun herhalten muss.

Dominik Straub, Rom
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Die Römer haben ihrem Weihnachtsbaum den Schmähnamen «gerupftes Huhn» verpasst. (Bild: Massimo Percossi/EPA (19. Dezember 2017))

Die Römer haben ihrem Weihnachtsbaum den Schmähnamen «gerupftes Huhn» verpasst. (Bild: Massimo Percossi/EPA (19. Dezember 2017))

Dominik Straub, Rom

Manche erinnert der zentrale Weihnachtsbaum in der italienischen Hauptstadt an eine Klobürste, andere an ein gerupftes Huhn. Und so nennen ihn die Römer dieser Tage nur «spelacchio» – gerupft. Tatsächlich kann man das Nadelkleid der 21 Meter hohen Tanne auf der Piazza Venezia mit ihren 3000 Lichtern und 600 Kugeln nicht anders als stark gelichtet bezeichnen. Das Manko fällt umso mehr auf, wenn man gerade vom Petersplatz kommt, auf dem die vatikanische Konkurrenz steht: Der Baum des Papstes ist einiges besser in Form. Hinzu kommt: Schon der kommunale Weihnachtsbaum des letzten Jahres hatte Anlass zu Beanstandungen gegeben – der Vorgänger des «spelacchio» hatte ebenfalls stark genadelt.

Wegen des erneuten Tannen-Fauxpas ist Bürgermeisterin Virginia Raggi in den vergangenen Tagen mit kübelweise Spott und Häme eingedeckt worden. Die Opposition rechnete der 39-Jährigen vor, dass der Baum inklusive Transport aus dem Val di Fiemme im Trentino die Steuerzahler Roms fast 50 000 Euro gekostet habe. Witzbolde haben sogar ­einen Hashtag #jesuisspelacchio («ich bin spelacchio») ins Leben gerufen. Der Baum wurde zum Symbol für das Versagen der Fünf-Sterne-Stadtregierung stilisiert, zu einem Emblem für den Niedergang der Ewigen Stadt unter den unfähigen «Grillini».

Nach dem tagelangen Trommelfeuer hat sich Raggi diese ­Woche zur Wehr gesetzt. «Als wir den Baum ausgewählt haben, war er noch dicht und buschig gewesen. Irgendetwas muss beim Fällen oder beim Transport schiefgegangen sein. Das wird nun ­abgeklärt, damit es nicht wieder vorkommt», erklärte Raggi.

Drei Politikerinnen unter Dauerbeschuss

Im Übrigen scheine es ihr, dass es wichtigere Probleme gebe. Und: «Wir nehmen das mit einem ­Lächeln: Inzwischen haben alle ‹spelacchio› ins Herz geschlossen.» In der Tat wurden in den letzten Tagen an dessen dürren Zweigen zahlreiche Zettelchen mit liebevollen Weihnachtsgrüssen befestigt. Und es gibt auch ­einen neuen Hashtag: #iostoconspelacchio – «ich stehe auf der Seite von ‹spelacchio›».

Sinnbildlich steht der Römer Weihnachtsbaum in Wahrheit denn auch nicht für den Niedergang der Stadt, sondern für jenen der politischen Kultur in Italien. Die etwas traurige Gestalt der Tanne auf der Piazza Venezia ist zweieinhalb Monate vor den Parlamentswahlen von den traditionellen Parteien, die bei den Kommunalwahlen 2016 von Raggi gedemütigt worden waren, gezielt für eine Diffamierungskampagne missbraucht worden. Und Raggi ist in Italiens Politik nicht das einzige weibliche Opfer. Auch gegen die Präsidentin der Abgeordnetenkammer, Laura Boldrini, und Staatssekretärin Maria Elena Bos­chi von der Regierungspartei PD wird seit Monaten hemmungslos gehetzt. Die drei Politikerinnen wehren sich zwar – aber zumindest die Römer Bürgermeisterin hat vor dem Dauerbeschuss durch ihre Gegner und die Medien kapituliert. Sie will bei den nächsten Wahlen nicht mehr antreten.