KOMMUNIKATION: Sag doch mal was!

Ältere Ehepaare, die sich nur noch anschweigen, sind keine Ausnahme. Wie kommt es zu dieser Gesprächsblockade? Und wie kann man wieder in Dialog treten miteinander?

Annette Wirthlin
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Sprachlosigkeit eines Paares muss nicht zwingend auf eine erloschene Beziehung hindeuten. Oft ist das grosse Schweigen aber schon bedrückend, sowohl für das Paar selber wie für die nächste Umgebung. (Bild: Getty)

Sprachlosigkeit eines Paares muss nicht zwingend auf eine erloschene Beziehung hindeuten. Oft ist das grosse Schweigen aber schon bedrückend, sowohl für das Paar selber wie für die nächste Umgebung. (Bild: Getty)

Jeder hat sie schon gesehen, die Ehepaare, die sich im Restaurant oder im Zug gegenübersitzen und über längere Strecken «laut» anschweigen. Was vielleicht bei Jungen, frisch Verliebten noch als herziges «sich auch ohne Worte verstehen» durchginge, löst beim Betrachter doch eher Beklommenheit aus, wenn es sich um ältere Paare handelt, die sich überdies gegenseitig kaum eines Blickes würdigen. «Schau mal, wie die sich anschweigen. Furchtbar», raunt man sich dann zu und hofft insgeheim, dass einem selbst der Gesprächsstoff mit dem Liebsten niemals ausgehen wird.

Hohe «Dunkelziffer»

«Ich und mein Partner haben einander nichts mehr zu sagen.» Diesen Satz hört denn der Paar- und Familientherapeut Michael Weichselbraun von der Paar- und Einzelberatung leb in Zug ganz oft – insbesondere von Menschen, die entweder viele Lebensjahre oder zumindest viele gemeinsame Beziehungsjahre mit ihrem Partner auf dem Buckel haben. Viele seien sehr enttäuscht und hätten keine Lust mehr, sich anzustrengen, denn sie hätten es jahrelang probiert, wieder ins Gespräch zu kommen, doch sie seien immer gescheitert oder vom Partner abgewiesen worden. Der Psychologe vermutet, dass die «Dunkelziffer» kommunikativ blockierter Paare relativ hoch sei: «Wer das Problem in einer Therapie thematisiert, weil er oder sie sich bewusst ist, dass eine störende Situation vorliegt, ist nämlich schon einen Schritt weiter. Die anderen kommen erst gar nicht.»

Ein Grossteil der Paare mit dieser Problematik sind laut dem Psychologen vitale ältere Paare, die es eigentlich immer ganz gut miteinander konnten, jetzt aber von der Pensionierung «kalt erwischt» wurden. Weichselbraun: «Sie sind urplötzlich zu ‹Zeitmillionären› geworden. Sie sind nicht mehr durch einen Arbeitgeber ‹fremdbestimmt›, können – ja müssen – frei über ihre Zeit verfügen und sind plötzlich rund um die Uhr vom Partner umgeben und kontrolliert. Eine Umstellung, die nicht jedem leicht fällt.»

Beziehung auf dem Prüfstand

Die Thematik ist auch dem Sozialarbeiter und Leiter der Fachstelle für Gemeinwesenarbeit bei Pro Senectute Kanton Luzern Marcel Schuler wohlbekannt. Er leitet spezielle Vorbereitungskurse auf die Pensionierung und weiss: «Die Pensionierung ist eine klassische Umbruchsituation im Leben. Und wie andere Umbruchsituationen auch – wenn man etwa arbeitslos wird oder ein Baby bekommt –, stellt die Pensionierung eine Beziehung auf den Prüfstand.» Was bisher dem Leben eine klare Aufgabe verlieh und überdies jederzeit ein Gesprächsthema lieferte, die Arbeit, fällt plötzlich weg. Und womöglich sind noch keine Enkelkinder da, über deren tapsige erste Sätze man sich unterhalten könnte. Was will man jetzt überhaupt noch vom Leben? Was vom Partner? Marcel Schuler hat gerade von Frauen schon oft die Befürchtung gehört: «Wie soll das gehen, wenn mein Mann plötzlich 24 Stunden am Tag zu Hause ist und ständig etwas mit mir unternehmen will?»

Sich auf Ungewohntes einstellen

Nicht von ungefähr werden bei Pensions-Vorbereitungskursen oft auch die Partner mit eingeladen. Um das wichtige Lebensereignis mit all seinen Chancen und Gefahren gut zu bewältigen, sei miteinander reden nämlich zentral, sagt Schuler. «Wenn man schon so lange zusammen ist, denkt man fälschlicherweise, es sei alles klar, weil die Bedürfnisse oft viel zu wenig ausformuliert werden. Dabei können diese sehr unterschiedlich sein; er will vielleicht das Haus räumen, sie träumt heimlich von einer Weltreise.»

Nach der Pension, als eigentlich noch «junges» Paar, muss man sich mit viel selbst gestalteter Zeit neu definieren und auf Ungewohntes einstellen. «Wem da die gegenseitige Achtsamkeit abhanden kommt», so Schuler, «der läuft schnell Gefahr, dass auch die Kommunikation einschläft.»

Partnerschaft bedeute, das sagt auch Psychologe Weichselbraun, miteinander in Kontakt zu treten und sich gegenseitig Fragen zu stellen – und dies immer wieder, ein Leben lang. «Bei vielen Paaren hat man hingegen das Gefühl, sie sitzen etwas aus. Abzuspringen wäre zu kostspielig, also hat man sich arrangiert und den verbalen Austausch auf das Nötigste, das rein Organisatorische, beschränkt», so der Experte. Weil Schweigen eben das kleinere Übel ist.

Weichselbraun vermutet, dass dieses «sich Arrangieren» bei ganz viel Paaren der Generation 75 plus quasi Teil des «biografischen Zeitgeists» ist. Wer um 1935/40 geboren wurde, erlebte viele Entbehrungen und wusste sich mit seinem Schicksal zu arrangieren – teilweise um schlicht zu überleben. Diese Menschen hätten gelernt, dass es Vorteile hat, sich das eine oder andere nur zu denken, anstatt sich für ein persönliches Bedürfnis einzusetzen, es gegenüber dem Umfeld zu verbalisieren. «Neues bedeutet Veränderung, ein Risiko», so Weichselbraun. «Das Unveränderbare hingegen gibt Sicherheit. Die Existenz ist in der Paarverbindung zwar gesichert, doch der Alltag ist bequem geworden, etwas eintönig.» Das spiegle sich auch im Gesprächsverhalten.

Besonders die Männer dieser Generation würden oft in eine auffällige Wortkargheit verfallen. «Im Gegensatz zu ihren Ehefrauen haben sie nie gelernt, über Persönliches zu reden», so Weichselbraun. «Oft sieht man den Fall, dass sich Frauen mit den Kindern und Enkelkindern oder einer besten Freundin noch rege austauschen, der Mann jedoch schweigt sich aus, denn rein sachlich-organisatorische Themen, welche bisher seine Spezialität waren, bieten sich nach Abschluss des Arbeitslebens im Alter naturgemäss etwas weniger an.»

Eigene Projektionen

Trotz allem: Die Tatsache allein, dass zwei Menschen gerade wenig bis nichts miteinander reden, muss nicht auf eine verhärtete Beziehung oder gar erloschene Liebe hinweisen. «Wenn man nicht ständig plappern muss, kann das auch auf eine hohe Beziehungsqualität hinweisen», sagt Michael Weichselbraun. «Beim sogenannt ‹guten, wohlwollenden Schweigen› gibt man dem anderen bloss Raum; es ist dann kein ‹Schweigen mangels anderer Möglichkeiten›.»

Auch Marcel Schuler plädiert dafür, dass man einem Paar nicht gleich ein schlechtes Kommunikationsverhalten unterstellt, nur weil von aussen gesehen wenig gesagt wird. «Oft sind eigene Projektionen im Spiel – weil es unser persönlicher Horror ist, angeschwiegen zu werden.» Und: «Da Älterwerden auch bedeutet, dass alles etwas beschwerlicher und man selber etwas müder wird, wird man automatisch etwas stiller, ohne dies als Problem zu empfinden.» Nicht auszuschliessen sei auch, dass der eine Partner an einer Demenz leide – oder schlicht und einfach an diesem Tag mit dem linken Bein aufgestanden sei.

Hinweis:

Informationen über die Pensionierungs-Vorbereitungskurse und das weitere Freizeitangebot finden Sie bei der Pro-Senectute-Organisation Ihres Wohnkantons.

Wie man nicht in die Falle des Schweigens tappt

Tipps wia. Angenommen, Sie leiden darunter, dass Sie und Ihr Partner sich «nichts mehr zu sagen haben». Wie können Sie das unangenehme Schweigen durchbrechen?

  • Anstatt dem Partner Vorwürfe zu machen, zeigen Sie von Ihrer Seite neues Interesse an ihm und seinen Dingen. Fragen Sie nach, woran er gerade denkt oder welche Lebensträume er noch verwirklichen möchte.
  • Lassen Sie durch gegenseitiges Erzählen alte Erinnerungen hochleben à la: «Weisst du noch damals in der Bretagne, als wir auf dem Campingplatz verregnet wurden?» Das verbindet und liefert Gesprächsstoff. Oder schlagen Sie vor, eine alte, fallen gelassene Tradition (zusammen im Garten arbeiten, den Fussballmatch besuchen etc.) wieder aufleben zu lassen.
  • Überhaupt, gemeinsame Projekte verbinden. «Egal, ob Sie gemeinsam Ferien planen, einen Baum pflanzen, das Auto waschen oder – gemeinsame Erlebnisse bringen oft automatisch ein Gespräch darüber in Gang», sagt Paartherapeut Michael Weichselbraun. Aber lassen Sie es nicht bei einer einzigen Unternehmung bleiben, versuchen Sie eine Regelmässigkeit in die gemeinsamen Aktivitäten reinzubringen.
  • Seien Sie mutig, auch schon lange vor der Pensionierung. Wieso nicht endlich mal den Tanzkurs besuchen, von dem die Frau schon so lange träumt? «Es braucht zwar Überwindung, sich aus der eingespielten Komfortzone zu begeben, aber die Freude darüber, es nur schon gewagt zu haben, stellt auf und macht potenziell mitteilungsfreudiger», sagt Sozialarbeiter Marcel Schuler. Die immer gleiche Routine funktioniert auch ohne Worte.
  • Mut für neue Tätigkeiten zahlt sich auch aus, wenn man sie alleine ausführt. «Wenn sie den Malkurs in der Toskana alleine besuchen, haben sie danach zu Hause etwas zu erzählen», so Schuler. Und stecken mit Ihrem Enthusiasmus vielleicht auch den Partner an.
  • Fragen Sie sich: Wo liegen meine persönlichen Leidenschaften, mein Herzblut? Was mache ich wirklich gerne? Schuler: «Damit Beziehungen lebendig bleiben, ist es extrem wichtig, dass jeder auch eigene Interessen hat und diese pflegt.»
  • Veränderung passiert in kleinen Schritten. Nehmen Sie einfach mal einen anderen Weg zum Bäcker. Sie werden andere Dinge sehen, sich dabei anders fühlen und danach anderes zu berichten wissen. Oder noch banaler: falten Sie die Serviette ihres Partners einfach mal in Schwänchen-Form. Schuler weiss: «Irritationen führen garantiert zu Gesprächsstoff.»
  • Pflegen Sie den Humor und das Lachen – auch und gerade im Alter. Denn Lachen ist ansteckend. Überhaupt: Menschen, die gelernt haben, das Glas als halbvoll zu sehen, haben es leichter im Leben – und finden auch in den kleinen Dingen des Alltags Sachen, die es wert sind, einander zu erzählen.
  • Wenn Sie eine eingerostete Kommunikation überhaupt bemerken, sind Sie schon weit. Doch Sie können nicht alles selber lösen – auch nicht als Mann! Reden Sie mit einer vertrauten Person darüber oder nehmen Sie eine Beratung bei einer psychologischen Fachstelle (wie etwa der Paar- und Einzelberatung leb in Zug) oder zum Beispiel bei Pro Senectute in Anspruch. Vielleicht gibt das neue Impulse fürs nächste Gespräch mit dem Partner.