Angelika Milster (64) wurde 1983 als Grizabella in «Cats» berühmt. Heute lebt die Künstlerin in Brunnen. Uns erzählt sie, warum sie gut in die Schweiz passt, wovon sie Gänsehaut bekommt und wie sie einst die Wiener Feuerwehr ziemlich sprachlos machte.
Interview Susanne Holz
Angelika Milster, Sie sind in Hamburg gross geworden, lebten bis 2006 in Berlin und wohnen heute im beschaulichen Brunnen am Vierwaldstättersee. Wie geht das zusammen?
Angelika Milster: So ein Wechsel fällt mir nicht schwer. In der Hauptsache möchte ich frei sein – ich könnte morgen auch nach Thailand ziehen. Seit meiner Heirat mit André Bauer 1987 bin ich übrigens Schweizerin. Und meine erste grosse Musicalrolle als Sally Bowles in «Cabaret» hat mich in den 70ern an die Oper nach Zürich geführt.
Sie sind also sozusagen eine Weltbürgerin, die sich überall wohl fühlt. Aber wo fühlen Sie sich zu Hause?
Milster: In Hamburg habe ich studiert, in Berlin habe ich immer einen Koffer stehen – in Berlin kann man überleben. Mein Zuhause ist immer da, wo meine Familie und meine Freunde sind. Neues macht mir nichts aus – ich war schon immer neugierig.
Und wie gefällt es Ihnen in Brunnen?
Milster: Ich lebe seit einem Jahr in Brunnen, zuvor habe ich jahrelang in meinem geliebten Gersau gewohnt. Hier wie dort fühle ich mich sehr wohl. Es hat überall tolle Menschen. Nur meinen Garten, den ich in Gersau hatte, vermisse ich in Brunnen. Ich liebe Kochen, Gartenarbeit, Natur, Tiere. Ich denke, da passe ich ganz gut in die Schweiz.
Was mögen Sie an diesem Land?
Milster: Ich mag die Menschen sehr. Sie sind zu Beginn reserviert, aber im Grunde ihres Herzens sehr zuverlässig. Man muss auf die Leute hier zugehen. In Gersau habe ich zu meinem Einstand ein Kirchenkonzert gegeben, ein Benefizkonzert. Ich habe mich in diesem kleinen Dorf nur ganz zu Beginn gefühlt wie ein seltsames kleines Tier. (lacht)
Und was gefällt Ihnen noch an der Schweiz?
Milster: Die Ordnung, ich bin selbst sehr ordentlich. Und dass man auf die Natur achtet und mit Tieren human umgeht. Nach vielen Jahren in der Grossstadt kann ich hier durchatmen. Und am allerliebsten mag ich Rösti. (schmunzelt)
Als ganz kleines Mädchen sind Sie mit Ihrer Familie vom ostdeutschen Neustrelitz ins westdeutsche Hamburg gezogen. Können Sie sich daran noch erinnern?
Milster: Das war 1953, ich war noch sehr klein. In Hamburg kamen wir zunächst ins Auffanglager, kurz darauf ging die Grenze zu. An den Bohnerwachsgeruch im Auffanglager erinnere ich mich noch gut – da wurde sehr geputzt.
Viel später haben Sie in Berlin den Mauerfall erlebt. Wie hat sich das angefühlt?
Milster: Ich bekomme heute noch die gleiche Gänsehaut wie damals, wenn ich daran denke. Am 9. November 1989 waren mein Mann und ich in Berlin auf der Geburtstagsparty von Uli Schamoni (deutscher Filmregisseur, 1939–1998; Anm. der Red.). Plötzlich sagte ein anwesender Journalist zu mir: ‹Du, Angelika, die Mauer ist gefallen.› Ich konnte das zunächst nicht glauben. Mein Mann und ich sind nach Hause, haben Nachrichten geschaut, und ich wurde fast verrückt vor Freude. Dann zogen wir Jogginghosen und Turnschuhe an und machten uns auf zum Brandenburger Tor. Wir nahmen schliesslich ein paar Studenten aus dem Osten mit nach Hause und liessen sie bei uns übernachten. Es war eine wunderbare Nacht und eine wunderbare Zeit. Aufbruchstimmung. Natürlich waren diese Flitterwochen irgendwann vorbei, und es begann der Alltag mit allen grösseren und kleineren Problemen der Wiedervereinigung.
Zurück nach Hamburg, in die 50er-Jahre. Wie sind Sie eigentlich zum Gesang gekommen?
Milster: Ich habe von klein auf gesungen. Schon als Kind im Kirchenchor. Ich komme aus einer sehr musikalischen Handwerkerfamilie. Bei uns spielte man Geige, Mundharmonika – mein Vater war Hobbytenor, hatte er ein Gläschen Wein getrunken, sang er uns vor. Bei familiären Kaffeetafeln musste ich, das Mäuschen, singen. Ich habe es genossen, wenn dann geklatscht wurde. Applaus finde ich heute noch schön, er ist ein Geschenk.
Sind Applaus und Erfolg Ihnen wichtig?
Milster: Ich habe keine Pokale in der Vitrine stehen. Und es hängen keine Bilder von mir auf der Bühne in meiner Wohnung. Ich lebe immer im Moment. Ich bin neugierig, aber nicht von Ehrgeiz zerfressen. Berühmt zu sein, ist mir nicht wichtig – es geht mir um die Sache, um die Kunst, die Musik. Schöne Rollen zu spielen, empfinde ich als Geschenk. Das schönste Geschenk ist, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die Kunst und Kultur verstehen.
Sie sind sehr vielseitig: Sie singen, schauspielern, und das in verschiedenen Sparten. Gibt es etwas, das Sie am liebsten tun? Mögen Sie das eine lieber als das andere?
Milster: Nein, alles, was ich mache, gehört zusammen. Ich bin keine grosse Tänzerin, aber ich kann mich gut bewegen. Was die Musik betrifft, so bin ich «crossover». Denken Sie an Barbra Streisand oder Bette Middler. Ich liebe ganz einfach Musik, sei es Jazz, Pop, Rock oder Klassik. Und ich bin ein komödiantischer Mensch. Man kann mich in keine Schublade stecken. Erst wenn ich irgendwann nicht mehr neugierig bin, höre ich auf. Doch bis dahin ist es für mich das Grösste, beim Singen Geschichten zu erzählen.
Man kennt Sie auch aus Fernsehserien, so haben Sie von 1990 bis 2004 in 50 Folgen des Dauerläufers «Der Landarzt» mitgespielt. Macht Ihnen Fernsehen Spass?
Milster: Ja, sonst würde ich es nicht machen. Ich liebe alles, was mit Schauspiel zu tun hat.
Zu Ihrem Repertoire gehören die Lieder von Bertolt Brecht. Sind Sie auch ein politisch aktiver Mensch?
Milster: Nein, in der Politik engagiere ich mich nicht. Man kann nicht auf allen Hochzeiten tanzen.
Sie erwähnten gerade, ein komödiantischer Mensch zu sein. 1975 erhielten Sie mit gerade mal 24 Jahren den Ernst-Lubitsch-Preis für die beste komödiantische Leistung im deutschen Film (siehe Box). Ein tolles Gefühl, oder?
Milster: Ich war eine der jüngsten Preisträgerinnen, und ich sollte eine Rede halten, meine erste Rede. Ich hatte keinen Manager und habe das ganz naiv erledigt. Ich ging also in meinem Hosenanzug von C & A zum Kurfürstendamm, um den Preis entgegenzunehmen. Für einen Fotografen sollte ich ihn dann hochhalten: Der redete die ganze Zeit davon, den Preis zu zeigen – und ich dachte, der wolle das Preisschild sehen. (lacht) Die Leute bei der Verleihung gingen davon aus, das sei eine Inszenierung meinerseits. Da hat der liebe Gott mir geholfen. (schmunzelt)
Sie traten danach am Düsseldorfer Kom(m)ödchen auf oder brachten 1995 in der Fernsehkomödie «Club Las Piranjas» zusammen mit Hape Kerkeling die Zuschauer zum Lachen. Wie wichtig ist Ihnen Humor?
Milster: Humor ist ein Geschenk. Ich kann weinen und lachen. Wenn ich wütend bin, weine ich. Und ich liebe es, wenn die Leute über mich lachen. Andere zum Lachen zu bringen, ist höchste Kunst. Die Komödie ist mein Fach – Musical hat viel mit Komödie zu tun. Was ich nicht mag, ist Zirkus. Ich mag keine angezogenen Affen. Das muss ich nicht haben. Das müsste der Tierschutz untersagen.
Sie sind sehr tierlieb. Darf Ihr Hund Chico mit auf Tournee?
Milster: Ja, Chico kommt immer mit – ich bin auf Tournee im eigenen Auto unterwegs. Chico ist neun Jahre alt, er ist ein Geschenk von Dieter Thomas Heck (ehemaliger Moderator der legendären ZDF-«Hitparade», Anm. der Red.). Ich habe ihn bekommen, als er etwa vier Jahre alt war – Dieter Thomas Heck hat ihn in Alicante auf der Strasse aufgelesen und aufgepäppelt. Chico ist ein «Senfhund», bei ihm sind alle Zutaten drin. Er liebt Kinder. Nur wenn ich mit dem Regenschirm unterwegs bin, hält er Abstand. Er hat Angst vor Stöcken, da ist er traumatisiert. Eigentlich hätte ich ihn gerne Ludwig genannt, weil das so hoheitsvoll klingt – aber er hiess nun mal schon Chico.
Ist Chico Ihr erster Hund?
Milster: Nein, ich hatte immer schon Hunde. Als Kind habe ich meinen Mittagsschlaf in der Hundehütte gemacht. Ich bin mit Tieren aufgewachsen. Ich liebe Hunde. Wie Kinder sind sie unschuldig und lieben einen bedingungslos zurück.
Und da wurden Sie ausgerechnet in der Rolle einer Katze berühmt. Als Grizabella im Musical «Cats» (siehe Box). Würden Sie heute gerne noch mal in diesem Musical mitwirken?
Milster: Nein, man kann einen so schönen Erfolg nicht toppen. Aber «Memory» ist fester Bestandteil meines Repertoires. Mit «Cats» habe ich mich in den 80ern etabliert. Es war eine anstrengende Produktion, der musikalische Leiter hat uns allen sehr viel abverlangt. Wir haben viel gelernt. Es war eine wunderschöne Zeit.
Ist «Cats» heute noch aktuell?
Milster: Ja, es trifft immer noch den Zeitgeist – wer möchte nicht ein zweites Leben geschenkt bekommen wie die Katze Grizabella. Und: Die Katzen unterstützen einander, halten zusammen. Ich denke schon, dass wir in unserer Gesellschaft verpflichtet sind, aufeinander aufzupassen – nur wird das leider manchmal vergessen.
Grizabella ist die Glamour-Katze im Stück. Sind Sie eine Diva?
Milster: Eine Diva zu sein, ist für mich ein Kompliment. Es gibt auch nette Diven – eine Diva muss nicht zickig sein. Auf der Bühne kann eine Diva etwas Besonderes aussagen, ohne etwas zu sagen.
Wie geht es Ihnen mit dem Älterwerden? Schmerzt das einen Bühnenstar wie Sie nicht ein bisschen?
Milster: Ich habe damit keine Mühe. Natürlich würden wir Frauen immer gerne wie 30 aussehen. Aber ich denke nie: Huch, jetzt habe ich nicht mehr lange zu leben. Ich lebe jeden Tag.
Was würden Sie jungen Menschen, die heute zum Musical wollen, raten?
Milster: Nicht ans Musical, sondern ans Singen zu denken. Das Schauspiel und das Ballett nicht zu vernachlässigen. Sich nicht verbiegen zu lassen, seine Identität zu behalten. Fleissig zu sein.
Das ist eine ganze Menge.
Milster: Meine Ausbildung umschloss schon 24 Fächer, inklusive Fechten. Heute sind es womöglich noch mehr. Was ich nach wie vor wichtig finde: Den Mut zu haben, seinem Instinkt zu folgen. Zu sagen: Das bin ich, und das mach ich. Ich will Typen haben, Charaktere. Ich wäre vielleicht auch gerne mal gross und schlank gewesen – aber das war ich nie.
Wie halten Sie eigentlich Ihre Stimme geschmeidig?
Milster: Ich übe und gehe zum Gesangsunterricht. Ich habe eine Lehrerin in Berlin. Ich trinke viel Wasser, gehe an die frische Luft und rauche nicht. Vor Konzerten singe ich mich nur rund zehn Minuten ein.
Erteilen Sie sich vor Konzerten Redeverbot?
Milster: Nein, das ist nicht nötig.
Zu guter Letzt: Hätten Sie noch eine Anekdote aus Ihrer «Cats»-Zeit für uns auf Lager?
Milster: (überlegt und schmunzelt) Ja, da fällt mir schon was ein. Es muss so um die 500. Vorstellung gewesen sein. Kurz vor einem Auftritt, ich war hinter der Bühne. Etwas klappte mit dem Kostüm nicht. Und ich hatte noch ein Bonbon im Mund. Ich wusste nicht, wohin damit. Da habe ich es dem Feuerwehrmann neben mir in den Mund gesteckt. Der hat geschaut. Und dann trocken in seinem Wiener Dialekt gesagt: «Danke schön.»
Zur Person sh. Angelika Milster kommt am 9. Dezember 1951 in Neustrelitz zur Welt. Sie wächst in Hamburg auf und nimmt mit zwölf Jahren erstmals Gesangsunterricht. Von 1968 bis 1971 studiert sie an der Schauspielschule von Margot Höpfner Gesang, Schauspiel, Tanz und Pantomime. Gleich für ihre erste Filmrolle in «Meine Sorgen möcht ich haben» erhält sie 1975 den Ernst-Lubitsch-Preis für die beste komödiantische Leistung im deutschen Film. Nach einem Ausflug in die Welt des Kabaretts am Düsseldorfer Kom(m)ödchen wird sie 1983 als Grizabella in der deutschsprachigen Erstaufführung des Webber-Musicals «Cats» berühmt. Der Song «Erinnerung» macht Milster zum Musicalstar Nummer eins im deutschsprachigen Raum. Doch die vielseitige Künstlerin ist mehr als das: Angelika Milster ist präsent auf Theaterbühnen sowie in Film und Fernsehen. Seit 2002 begeistert sie mit geistlichen und klassischen Liedern bei Kirchenkonzerten, mit denen sie auch derzeit auf Tour ist. In Berlin spielt sie seit Jahren beim Ensemblestück «Ewig jung» mit und wird zudem am 11. September als Doris Day Premiere feiern. Milster hat einen Sohn und ist in zweiter Ehe mit dem Schweizer Komponisten André Bauer verheiratet.
Leseraktion Wir verlosen für die englischsprachige Originalversion von «Cats», die vom 19. April bis zum 22. Mai im Musical Theater Basel – übrigens mit zwei neuen Liedern – aufgeführt wird, 3-mal 2 Tickets. Die Tickets sind gültig für die Vorstellung vom kommenden Mittwoch, 20. April – die Aufführung beginnt um 18.30 Uhr.
Und so sind Sie dabei: Wählen Sie bis Montag, 24 Uhr, die Telefonnummer 0901 83 30 23 (Fr. 1.50 pro Anruf), oder nehmen Sie unter www.luzernerzeitung.ch/wettbewerbe an der Verlosung teil. Die Gewinner werden unter allen Teilnehmern ermittelt und informiert.
Das Musical «Cats», eine der am längsten laufenden Shows am Londoner West End und am Broadway, feierte 1981 in London seine Weltpremiere. «Cats» hat im Laufe der Jahre mehr als 73 Millionen Zuschauer in über 300 Städten und über 30 Ländern in seinen Bann gezogen und wurde in 15 Sprachen übersetzt. Das Musical wurde mit sieben «Tony Awards», drei «Drama Desk Awards» und zwei «Olivier Awards» ausgezeichnet. Seine Songs schrieben Musikgeschichte. Alle Showinfos zu «Cats» in Basel unter www.musical.ch/cats