US-Soldat Charles Jenkins ist in den 1960er-Jahren aus Furcht vor dem Vietnamkrieg nach Nordkorea geflohen. Der Mann, welcher für die nach eigenen Angaben «grösste Eselei» seines Lebens mit vier Jahrzehnten Isolation bezahlt hat, ist nun gestorben.
Angela Köhler, Tokio
Er war der wohl berühmteste Deserteur des Korea-Konfliktes, wenn auch ein tragisch-komischer: Charles Jenkins. Den US-Gefreiten hatte 1965 die Panik gepackt, als er das Gerücht hörte, seine in Südkorea stationierte Einheit würde nach Vietnam verlegt. Hals über Kopf und in voller Uniform türmte der damals 25-Jährige über die demilitarisierte Zone nach Nordkorea. Dort wollte er eigentlich in der UdSSR-Botschaft Asyl suchen. Das war naiv, denn Moskaus Abgesandte hatten nicht die Absicht, sich einen amerikanischen Deserteur als «Laus in den Pelz» zu setzen.
Stattdessen kassierte der nordkoreanische Geheimdienst Jenkins und hatte 39 lange Jahre lang Verwendung als Englischlehrer für die eigenen Spione, gelegentlich auch als US-Bösewicht in Propagandafilmen.
Leute wie er wurden von dem Regime in einem geheimen Ghetto nahe Pjöngjang vor der internationalen Öffentlichkeit versteckt. Schätzungsweise zwei Dutzend solcher amtlich nicht existierender Personen waren dort jahrelang interniert, zumeist japanischer Nationalität. So auch Jenkins’ spätere Frau Hitomi Soga, die 1978 als Teenager beim Strandspaziergang von nordkoreanischen Agenten aus ihrer Heimat verschleppt wurde. Soga gehörte zu den fünf Japanern, die 2002 besuchsweise ausreisen konnten, aber nicht wieder nach Nordkorea zurückkehrten. Zwar hatte sich der damalige Machthaber Kim Jong Il bei Premierminister Junichiro Koizumi für die Entführungen japanischer Staatsbürger entschuldigt. Weitere japanische Verschleppte hat das Kim-Regime aber nicht mehr freigelassen. Für die Tokioter Regierung besitzt dieser Völkerrechtsbruch nach wie vor höchste politische Priorität. Selbst US-Präsident Donald Trump musste unlängst beim Staatsbesuch den betroffenen Familien seine Aufwartung machen.
Japan listet mindestens siebzehn noch lebende Verschleppte auf, Pjöngjang jedoch behauptet, acht von ihnen seien bereits verstorben, vier weitere niemals in Nordkorea angekommen. «Die Familien warten noch heute auf die Rückkehr oder wenigstens ein Lebenszeichen ihrer Lieben», klagt Shigeo Iizuka, der für die Gruppe der Hinterbliebenen spricht. Durch die Repatriierung von Frau Soga erfuhr auch alle Welt von der Existenz Jenkins’. 2004 entliessen die Nordkoreaner den Deserteur mit den beiden in Pjöngjang geborenen Töchtern über Indonesien nach Japan.
Jetzt hatten allerdings die Amerikaner den Schwarzen Peter. Eigentlich müssen sie den Deserteur vor ein Militärgericht stellen. Aber für die Verbündeten in Tokio war Jenkins ein Held und zudem auch noch mit einer Japanerin verheiratet. Auf höchster politischer Ebene wurde der Kompromiss ausgehandelt, den Überläufer wegen Fahnenflucht symbolisch zu 30 Tagen Arrest zu verurteilen, aber das Urteil nie zu vollstrecken. Stattdessen siedelte man Jenkins auf dem kleinen Eiland Sado vor der Küste von Niigata im Japanischen Meer an, wo auch seine Frau zu Hause ist. Jenkins hat seine Fahnenflucht stets als «grösste Eselei meines Lebens» bedauert und dafür mit beinahe vier Jahrzehnten Isolationshaft teuer bezahlt. Aber das Leben mit seiner 19 Jahre jüngeren Frau habe sein Schicksal dann doch noch zum Besseren gewendet. Auf Sado gab er gern und oft als Dauergast in den japanischen Fernsehprogrammen, für Besucher und Schülergruppen den tragisch-komischen Helden des Nordkorea-Konfliktes. In Japan kennt deshalb jedes Kind den stets fröhlichen Mann mit dem verschmitzten Lächeln und den «Segelfliegerohren». Diese Woche ist Charles Jenkins mit 77 Jahren in seiner Wahlheimat an Herzversagen gestorben.