SWISSNESS: «Ich bin nur Koch»

Nenad Mlinarevic (35) ist Gault-Millau-Koch des Jahres. Er kocht meist im «Focus» im Parkhotel Vitznau – nahezu ausschliesslich mit Schweizer Produkten. Hier spricht er über Arbeitszeiten, Vorbilder und Allergien.

Interview Nina Kobelt
Drucken
Herr der Töpfe. In einer optimalen Küche könne man alles auf einer Fläche machen, sagt Nenad Mlinarevic. (Bild Nadia Schärli)

Herr der Töpfe. In einer optimalen Küche könne man alles auf einer Fläche machen, sagt Nenad Mlinarevic. (Bild Nadia Schärli)

Interview Nina Kobelt

Nenad Mlinarevic, Sie haben kürzlich in verschiedenen Schweizer Restaurants gekocht. Was ist das Schwierigste in einer fremden Küche?

Nenad Mlinarevic: Die meisten Küchen sind ja gleich konzipiert. Es gibt einen Herd, links die Beilagen, rechts Fleisch und Fisch, und es gibt einen Bereich für kalte Gerichte. Klar, es gibt Küchen, die grösser sind oder kleiner und verwinkelter als andere. Manchmal stehen die Kühlschränke zwei Stockwerke weiter unten, so werden die Wege länger. In einer optimalen Küche hat es genug Platz dafür, alles auf einer Fläche zu machen.

Sie kochen ausschliesslich mit Schweizer Produkten?

Mlinarevic: Ja. Ich mache zwei kleine Kompromisse: Wir servieren im Restaurant Kaffee. Gäste würden es nicht verstehen, wenn sie keinen Kaffee trinken könnten. Und Schokolade bekommen sie auch – im Land der Schokolade.

Auf mehr müssen Sie nicht verzichten?

Mlinarevic: Nein, Fisch, Fleisch und Gemüse gibt es in sehr guter Qualität. Wir verzichten aber beim Würzen auf Olivenöl und Kapern. Dass Curry oder Pfeffer nicht in der Küche herumstehen, ist tatsächlich manchmal eine Herausforderung.

Es gibt doch Maggia-Pfeffer?

Mlinarevic: Der kommt aus Vietnam und wird im Valle Maggia aromatisiert.

Warum tun Sie sich diese anstrengende Swissness an?

Mlinarevic: Ich bin seit neunzehn Jahren in diesem Beruf. Es machte für mich plötzlich keinen Sinn mehr, immer das gleiche zu kochen, was alle kochen: Foie gras, Hummer, Steinbutt. Ich musste mich entscheiden: Will ich weiter Edelprodukte aus dem Ausland auftischen, oder will ich etwas bewegen? Unsere Gäste profitieren ja auch von diesem Entscheid für regionale Produkte: Sie erleben ein Stück Schweiz. Wenn Sie nach Bangkok reisen, essen Sie auch nicht in einer Pizzeria Znacht. Das ist ja nicht die Idee des Reisens. Und: Wir haben so viele gute Produkte in der Schweiz. Wir müssen uns nicht verstecken.

Wie viel Vitznau liegt denn konkret auf dem Teller in Vitznau?

Mlinarevic: Vor allem Gemüse und Früchte, Essig und Öl kommen aus der nächsten Umgebung. Auch einer unserer Fischer lebt in der Nähe.

Wie muss man sich das vorstellen? Fahren Sie in Ihrer Freizeit durch die Gegend und suchen neue Hoflädeli?

Mlinarevic: Ja, fast. Manche Produzenten besuche ich immer wieder oder rufe an, weil ich inzwischen weiss, wer was anbietet. Bei Fredy Christandl, einem Bergkartoffelproduzenten aus dem Albulatal, muss ich die Ware vorbestellen. Sie kommt dann mit dem Kartoffeltaxi. Auch das Wetter bestimmt unseren Menüplan. Ich serviere Spargeln, wenn sie hier in der Schweiz geerntet werden, nicht drei Wochen vorher.

Das klingt vorbildlich, aber auch ein bisschen anstrengend.

Mlinarevic: Vielleicht, aber diese selbst auferlegte Beschränkung fördert die Kreativität. Bei den Fischen zum Beispiel. Immer nur Forelle, Lachsforelle, Egli ... Da muss man sich etwas einfallen lassen. Und Hecht ist jetzt auch nicht so der Burner (lacht). Selbst Gemüse gibt es nicht unendlich in der Schweiz. Trotzdem verstehe ich nicht, warum man Tomaten aus Spanien servieren muss.

Die nordische Küche basiert auf ähnlichen Prinzipien. Das «Noma» in Kopenhagen etwa pflegte Ameisen über den Teller laufen zu lassen. Können Sie sich das auch vorstellen?

Mlinarevic: Nein, wir haben nicht diese Art von Konzeptküche. Meine Gäste bekommen das, was dort, wo sie sind, wächst und gedeiht. Ich will mir ja auch nicht eine Stunde lang überlegen, wie der Koch jetzt auf eine Idee gekommen ist. Was ich will, sind Topprodukte, die richtig gekocht werden, deshalb lautet mein Motto: Farm to table – vom Bauernhof ins Restaurant.

Wie steht es bei den Getränken?

Mlinarevic: Es gibt hervorragende Schweizer Weine. Und: Wir servieren Vivi-Kola statt Cola und machen eigene Sodas. Zum Apéro gibt es Schweizer Gin, nachher «Alte Öpfel» oder Birnenschnaps.

Sie sind Schweizer Koch des Jahres. Und Sie haben ein -ic im Namen. War das je ein Problem?

Mlinarevic: Nein, nie. Ich bin in Zürich aufgewachsen und war im Militär – ich habe sogar weitergemacht (lacht)! Es geht ja darum, dass jemand etwas mit Leidenschaft macht. So bin ich erzogen worden: Wer etwas erreichen will, muss etwas dafür tun.

Sie arbeiten zehn bis zwölf Stunden am Tag.

Mlinarevic: Das tun manche im Büro doch auch ... Ich glaube, ich habe die richtige Balance gefunden zwischen Job und Privatleben und spüre sehr gut, wenn mir etwas zu viel wird. Das ist sehr wichtig, auch für meine Umgebung. Ein gestresster, müder Koch bringt niemandem etwas.

Sie haben früher nebst Ihrem Job als Koch in einem Restaurant auch bei McDonald’s gearbeitet.

Mlinarevic: Ja, ich musste mein Budget aufbessern. Am Sonntag ging ich Burger braten und roch am Abend wie eine Fritteuse.

Womit wir bei den Löhnen im Gastgewerbe sind.

Mlinarevic: Die Situation hat sich verbessert in den letzten Jahren. Trotzdem müsste mehr drinliegen, bei dieser Intensität, dem Stress, den vielen Stunden, die Gastronomiemitarbeiter täglich ver­richten.

Was ist mit den ganzen Punkten und Sternen? Üben diese einen Druck auf Sie aus?

Mlinarevic: Nein. Ich mag mich nicht stressen lassen. Kann sein, dass die Luft ein bisschen dünner wird. Aber ich bin ja sozusagen immer noch am Aufsteigen. Hoffentlich (lacht). Manche Gäste sagen: Sie sind ein Künstler! Ich antworte: Nein, ich bin nur Koch! Wenn wir sehr gut sind, ist es Kunsthandwerk. In erster Linie aber habe ich einen Knochenjob.

Vor einigen Wochen hat sich Benoît Violier, ein Sternekoch, das Leben genommen. Macht Ihnen das keine Angst?

Mlinarevic: Ich möchte mich aus Respekt gegenüber seiner Familie und seinen Mitarbeitern nicht dazu äussern. Ich kannte ihn, es hat mich sehr getroffen.

Haben Sie ein Vorbild?

Mlinarevic: Ich hänge keine Poster in meinem Zimmer auf, wenn Sie das meinen. Es gibt natürlich Köche, die ich respektiere für das, was sie machen. René (Redzepi vom «Noma» in Kopenhagen, Anm. d. Red.) zum Beispiel. Mich beeindruckt, was er bewegt hat. Solche Figuren gibt es nur alle zwanzig, dreissig Jahre. Es war ein Weckruf an Köche: Schaut, was vor eurer Haustüre wächst! Das ist kein Trend, sondern ein zeitloses Konzept, das man in jedem Land umsetzen kann.

Kochen Sie bei sich zu Hause?

Mlinarevic: Selten, mein Kühlschrank ist meistens leer. Wenn, dann muss es schnell gehen: Ich mache einen Salat mit frischem Gemüse, Fisch, Poulet oder ein Brötli. Ehrlich gesagt gehe ich lieber auswärts essen. Ich räume nicht gerne auf (lacht). Ich gehe immer in die gleichen, simplen Restaurants und mag es, wenn ich weiss, was ich bekomme.

Es kommt immer mehr vor, dass Gäste Lebensmittelallergien haben. Wie gehen Sie damit um?

Mlinarevic: Ich ignoriere es (lacht). Nein, ernsthaft, ich koche, was der Gast wünscht, laktosefreie Desserts, glutenfreies Brot, egal was, es ist nur eine Frage der Organisation: Ich bin froh, wenn ich mich vorbereiten kann. Ich will keine Unruhe in der Küche, das heisst, ich beuge lieber vor, als auf die Schnelle etwas hinzuwursteln. Was ich nicht ausstehen kann, sind Leute, die sich mit ihrer angeblichen Allergie wichtig machen wollen. Pseudoveganer zum Beispiel, die dann am Schluss doch noch den Käseteller bestellen. Da fühle ich mich als Koch verarscht.

Zum Schluss bitteschön noch einen Tipp. Welches Restaurant möchten Sie denn unbedingt irgendwann einmal besuchen?

Mlinarevic: Das von Jonnie Boer in Holland. «De Librije» heisst es und war mal ein Gefängnis.

Eines, das Sie wieder besuchen möchten?

Mlinarevic: Die «Blue Hill Farm» von Dan Barber, ausserhalb von New York gelegen. Alles, was bei ihm auf den Tisch kommt, stammt von seinem Bauernhof. Ich war da einmal zum Mittagessen. Es dauerte fünf Stunden. Ein Gang wurde im Stall serviert. In der Mitte standen Holztisch und Holzbänke, mit der Aussicht aufs Feld. Noch nie habe ich so gutes Gemüse gegessen! Barber ist ein Freak. Er hat keinen Stern, und doch ist er der Grösste.

Herr der Töpfe. In einer optimalen Küche könne man alles auf einer Fläche machen, sagt Nenad Mlinarevic. (Bild Nadia Schärli)

Herr der Töpfe. In einer optimalen Küche könne man alles auf einer Fläche machen, sagt Nenad Mlinarevic. (Bild Nadia Schärli)