TREND: Fleisch am Knochen

«Dry Aged Beef», am Knochen gereiftes Rindfleisch, ist mittlerweile auch bei Grossverteilern erhältlich. Wir sagen, was man zu dieser Neuheit wissen muss. Auch, dass sie gar nicht neu ist.

Herbert Huber
Drucken
Perfekt am Knochen gereift: Côte de Bœuf am Stück. (Bild: Proviande «Schweizer Fleisch»)

Perfekt am Knochen gereift: Côte de Bœuf am Stück. (Bild: Proviande «Schweizer Fleisch»)

Herbert Huber

Vor wenigen Jahren war von knochengereiftem Fleisch fast nur in gehobenen Gourmetkreisen zu hören. Heute stehen transparente Kühlschränke, in denen stattliche Rindfleischstücke am Knochen heranreifen, in jeder grösseren Migros- und Coop-Filiale.

So mancher fragt sich wohl, was es mit diesem neuen Trend auf sich hat. Die Älteren unter uns, zu welchen ich auch gehöre, wissen aber womöglich, dass dieses heute sogenannte Dry Aged Beef zwar schon ein Trend ist – aber alles andere als neu, vielmehr eine Renaissance.

Die Nobelherberge und der Meisterkoch

Ich erinnere mich an meine erste Stelle nach der Kochlehre – im Prominentenhotel Gstaad Palace. Als junger Koch kam ich unter die Fittiche des damals wohl berühmtesten Küchenchefs Otto Schlegel aus Altstätten SG. Nur dank Beziehungen meiner Mutter – auch sie Altstätterin – wurde ich Teil der 35-köpfigen Küchenbrigade des «Meisters» in Gstaad. Das war vor 55 Jahren.

Riesige Fleischmengen wurden ins «Palace» geliefert, ganze Rindsnierstücke, ausschliesslich von Jungtieren und mit einer weissen Fettdecke belegt. Wie dieses Rindfleisch liess Schlegel auch Teile vom Kalb oder vom Lamm, welche einer besonderen Lagerung bedurften, bis zu fünf Wochen am Knochen reifen.

Die edlen Stücke kamen in einen riesigen Fleischlagerraum mit einer Temperatur knapp über dem Gefrierpunkt (2 Grad) und einer Luftfeuchtigkeit von 80 Prozent. Gar eigentümlich roch es in diesem Kühlraum. Nicht nur angenehm. Auf einer deutschen Internetseite ( www.der-ludwig.de ) habe ich von einer Geruchskombination «Schinken, Moschus, Raureif, frisch gebackener Hefezopf und verschwitzte Wollsocken» gelesen. Das trifft es ziemlich gut, wobei meiner Nase auch noch ein Geruch von Pferdesattel in Erinnerung ist.

Gewichtsverlust erhöht den Preis

Vor der Verwendung in der Küche musste der Hotelmetzger die äussere Schicht des so gelagerten Fleisches wegschneiden, weil dieses durch die Luft hart und schimmlig, ja sogar ungeniessbar geworden war. Wir nannten den Schimmel Bart, und der Metzger parierte so lange alles Unansehnliche weg, bis das herrlich rote Fleisch sichtbar wurde. Der Gewichtsverlust bei dieser Lagerung betrug gegen 30 Prozent, was logischerweise zu einem höheren Preis führte. Für die Klientel in Gstaad war das aber kein so gewichtiges Problem…

Dass die Trockenreifung des Fleisches am Knochen etwas in Vergessenheit geraten war, hat mit dem Aufkommen der Va­kuumverpackung im Fleischhandel zu tun. Auch in einer solchen kann das Rindfleisch heranreifen (Nassreifung), ohne nennenswerten Gewichtsverlust. Weil dank Vakuum manches etwas einfacher und kostengünstiger wurde, wurde zunehmend auf Knochenreifung verzichtet.

Jetzt aber gibt es ein starkes und immer breitere Kreise erfassendes Comeback. Einige Faktoren dürften dabei mitgespielt haben: zurück zum Bewährten, gleichzeitig der verbreitete Hang zum Exklusiveren, verbunden mit mehr Genuss.

Der andere Geschmack ist nicht jedermanns Sache

Genuss? Wissen muss man, dass die Reifung am Knochen das Fleisch besonders zart und mürbe machen kann. Sie dient aber nicht primär dazu, sondern der Entwicklung eines speziellen Geschmacks, der sich durch Enzymaktivitäten ergibt. Dry Aged Beef schmeckt anders, als wir es uns von Rindfleisch mittlerweile gewohnt sind. Während die einen auf das spezielle nussige und intensive Aroma schwören, tun sich andere auf Anhieb aber eher etwas schwer damit.

Aber womöglich ist auch das nur reine Gewohnheitssache, ebenso wie die Tatsache, dass das edle Fleisch in diesen Kühlkästen bei den Grossverteilern gar nicht so appetitlich aussieht. Und obendrein erst noch einiges teurer ist (rund 20 Franken pro Kilo), da durch die Trocknung weiterhin Gewicht verloren geht.

Besonderes Fleisch verlangt besondere Behandlung

Um den Genuss zu steigern, ist es wichtig, dass man das Fleisch zu Hause richtig behandelt. Vor dem Braten sollten die vom Metzger fixfertig zurechtgeschnittenen Stücke wie etwa ein Entrecôte ein bis zwei Stunden bei Zimmertemperatur ruhen, zugedeckt mit Haushaltspapier. Mindestens zwei Finger hoch sollten die Fleischstücke schon sein, denn ein zu dünner Fleischlappen wäre schnell einmal durchgebraten.

Gebraten werden die Stücke klassisch in einer Eisen- oder Edelstahlpfanne. Ich würze immer vorher mit Salz und Pfeffer. Aber man kann dies auch am Schluss tun. Fürs Anbraten nehme ich das gut erhitzbare Schweizer Holl-Rapsöl, rauchheiss muss es sein. Als Variante geht auch Bratbutter. Jedenfalls: Beidseitig je eine gute Minute scharf anbraten, bis das Fleisch eine rehbraune Kruste hat. Nach dem Anbraten lasse ich das Fleisch noch zirka 5 bis 10 Minuten bei 120 Grad im vorgeheizten Ofen nachgaren, wobei für die Zeitdauer die Dicke des Fleisches ebenso entscheidend ist wie die gewünschte Garstufe (bleu, saignant, à point).

Fragen Sie Ihren Metzger nach den Garzeiten, zum Teil gibt es zum Fleischkauf auch genaue Anleitungen. Um auf Nummer sicher zu gehen, hilft ein Kerntemperaturmesser. Als Koch dient mir das Gefühl. Wer dieses Gefühl nicht hat, dem fällt deswegen noch kein Stein aus der Krone. Wenn es ums Fleischbraten geht, gibt es einen alten Kochspruch: «On est né rôtisseur – mais on devient saucier.» Übersetzt: Fürs Fleischbraten muss man geboren sein, Saucier kann man werden …

Welche Sauce man zum Fleisch reicht, ist Geschmackssache. Mit einer klassischen Béarnaise oder einer hausgemachten Kräuterbutter geht man kaum fehl. Als Beilage passen Ofenkartoffeln mit Sauerrahm, selbstgemachte Kartoffelschnitze mit Rosmarin oder Maiskroketten. Weinempfehlung? Ein kräftiger Roter.

Knochenreifung für den Heimgebrauch

Wer ganz auf das am Knochen gereifte Fleisch steht, kann zu Hause aufrüsten: Es gibt auch für den Privatgebrauch «Dry Ager» oder Reifekühlschränke, inklusive Anleitung und Zubehör, ab 2190 Franken ( www.dryagerschweiz.ch ), laut dem Magazin «Beef» ist dies «das beste Männergeschenk der Welt».

Ich glaube aber trotz des gegenwärtigen Booms nicht, dass am Knochen gereiftes Fleisch in schöner Regelmässigkeit in Schweizer Pfannen landen wird. Auch bei mir nicht. Aber zwischenhinein als ganz spezieller Fleischgenuss mit einem Hauch von Luxus – das kann ich mir sehr gut vorstellen.