Hurrikan Irma steuert auf Florida zu und könnte in den Touristenstädten Miami, Fort Lauderdale und West Palm Beach katastrophale Zustände verursachen. Er soll am Sonntagmorgen das Festland erreichen.
Renzo Ruf, Washington
Im Süden von Florida herrscht heute die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm – herrlich warmes Sommerwetter, das an den Sandstränden zwischen West Palm Beach und Miami Beach zum Bad im (lauwarmen) Atlantik einlädt. Allein: Weder den Touristen noch den Einheimischen ist nach einer Erfrischung zu Mute. Stattdessen bereiten sich die sechs Millionen Menschen, die an der äussersten Südspitze des Bundesstaates wohnen, auf einen historischen Tropensturm vor.
Am frühen Sonntagmorgen soll der Hurrikan Irma, der gestern über den Jungferninseln wütete, irgendwo in der Nähe von Miami auf Land treffen und mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 230 Kilometern pro Stunde für katastrophale Verhältnisse und grossflächige Überschwemmungen in Florida sorgen.
Zwar zerbrechen sich die Meteorologen noch den Kopf darüber, welchen Weg der Sturm genau einschlagen wird. Aber die lokalen Katastrophenschützer sind sich sicher: «Irma» werde «grösser und stärker» sein als der Hurrikan Andrew, der im Jahr 1992 im Grossraum Miami für Schäden in zweistelliger Milliardenhöhe gesorgt hatte, wie der republikanische Gouverneur Rick Scott sagte. Mehr als 40 Menschen starben damals wegen der Auswirkungen des Sturms.
Im Süden Floridas wurden derweil der Notstand ausgerufen und Zwangsevakuierungen angeordnet. So mussten Touristen den bevölkerungsschwachen Verwaltungsbezirk Monroe County, zu dem auch die beliebten Florida Keys gehören, bereits gestern Vormittag verlassen. Später folgten die Einheimischen, die aufgefordert wurden, die Inselkette zwischen Kuba und dem amerikanischen Festland möglichst schnell zu evakuieren. Wer dieser Anordnung nicht Folge leiste, sagte Gouverneur Scott, tue dies auf eigenes Risiko; sämtliche Ladengeschäfte, Tankstellen, Banken, Restaurants und Flughäfen werden in den kommenden Tagen geschlossen sein.
Von diesen düsteren Prognosen liessen sich aber nicht alle Einheimischen beeindrucken. «Ich halte mir alle Optionen offen», sagte der Immobilienhändler Chris Clauss aus Marathon im Interview mit einem lokalen Fernsehsender.
Auch im Verwaltungsbezirk Broward County, zu dem Fort Lauderdale gehört, ordnete die demokratische Bürgermeisterin Barbara Sharief die Evakuierung der Touristenzone am Atlantik an. Ihr Amtskollege Carlos Giménez, der dem Bezirk Miami-Dade vorsteht, verzichtete derweil auf eine solche Direktive. «Der Sturm wird langsamer», sagte der Republikaner, «das verschafft uns ein wenig mehr Zeit.» Giménez rief die Bevölkerung in Küstennähe allerdings dazu auf, sich aufs Schlimmste vorzubereiten. Wer vorhabe, Südflorida zu verlassen, solle dies jetzt tun, lautete der gutgemeinte Ratschlag lokaler Polizisten – denn spätestens am Freitag sei auf den Nord-Süd-Autobahnen mit chaotischen Zuständen zu rechnen.
In Washington hiess es derweil, dass die Katastrophenschutzbehörde Fema (Federal Emergency Management Agency) über genügend Ressourcen verfüge, um sich mit zwei Naturkatastrophen zur gleichen Zeit zu beschäftigen – obwohl sich immer noch gegen 4500 Fema-Angestellte an der Golfküste in Texas und Louisiana befinden, um bei den Aufräumarbeiten im Nachgang zum Tropensturm Harvey zu helfen.
Das Repräsentantenhaus bewilligte gestern eine erste Nothilfe-Tranche in der Höhe von 7,85 Milliarden Dollar. Das Resultat der Abstimmung lautete 419 Ja zu 3 Nein. (Sämtliche Nein-Stimmen kamen aus dem Lager der Republikanischen Partei.) Die Vorlage geht nun an den Senat, wo sie wohl auch im Schnellzugstempo bewilligt wird.
Falls Hurrikan Irma allerdings ebenfalls Milliardenschäden verursachen würde, dann würden die Finanzpolitiker wohl noch einmal über die Bücher gehen müssen.