Nach «Minecraft» und «Pokémon Go» ist es die Game-Sensation: «Fortnite» erobert Kinderzimmer weltweit. Das bereitet Eltern und Lehrern Sorgen.
Federico Gagliano
Letztes Jahr sorgte ein neues Videospielgenre für Furore: In «Battle Royale»-Spielen landet man ohne Ausrüstung mit 99 Kontrahenten auf einer Insel. In den nächsten Minuten muss man möglichst rasch Waffen und Materialien sammeln, um gegen die anderen Spieler zu bestehen. Eine immer kleiner werdende Zone zwingt die Spieler, aufeinanderzutreffen und Kämpfe auszutragen.
Der Platzhirsch im Genre war bisher der selbsternannte Begründer des «Battle Royale», Playerunknown’s Battlegrounds (PUBG). Doch seit Anfang Jahr hat ein anderes Spiel PUBG vom Thron gestossen: Der Shooter Fortnite ist zurzeit in aller Munde. Im Gegensatz zu PUBG setzt Fortnite nicht auf einen realistischen Look und authentische Waffensysteme, sondern kommt im Comic-Look daher, die Waffen sind überzeichnete Modelle. Auch ist in Fortnite kein Blut zu sehen. Das Spiel ist deswegen schon ab 12 Jahren freigegeben, während PUBG aufgrund der expliziten Gewaltdarstellung erst ab 18 Jahren zugänglich ist. Speziell an Fortnite ist, dass man die Rohstoffe Holz, Stein und Eisen abbauen und damit Türme zur Deckung oder Treppen zum Erklimmen von Felsen bauen kann.
Fortnite hat mehrere Rekorde gebrochen. Weltweit spielen über 45 Millionen Spieler das Game auf PC, Playstation 4, Xbox One und inzwischen auch auf Smartphones. Die Mobile-Version des Spiels startete im März mit begrenztem Zutritt und hat bereits über eine Million US-Dollar eingenommen. Dabei kostet das Spiel im Gegensatz zu PUBG nichts: Fortnite finanziert sich nur durch das Verkaufen von Skins. Das sind Kostüme und Gegenstände, welche das Aussehen der Spieler verändern, aber ansonsten im Spiel keine Vorteile bringen. PUBG liess nicht lange auf sich warten und veröffentlichte kürzlich ebenfalls eine Mobile-Version – im Gegensatz zu Fortnite aber nicht nur für iOS, sondern auch für Android.
Die beiden Spiele liefern sich auch an anderen Fronten Duelle: Auf der Streaming-Seite Twitch von Amazon, auf der man anderen Spielern live beim Gamen zuschauen kann, ist Fortnite seit Wochen das meistgestreamte und meistgeschaute Spiel. Fortnite brach zuletzt gleich zwei Rekorde: Das erste Mal, als ein populärer Fortnite-Spieler namens Ninja zusammen mit dem bekannten Rapper Drake über 600 000 Zuschauer anlockte – eine Zahl, die bisher nur Videospiel-Turniere oder grössere Anlässe auf Twitch erreicht hatten. Ein zweites Mal am vergangenen Wochenende, als 100 spanische Youtuber gegeneinander antraten und die Millionenmarke knackten.
Dabei startete Fortnite als ganz anderes Spiel, in dem man eine Festung bauen und diese vor Zombie-Horden beschützen muss. Als das Entwicklerstudio Epic die Popularität des «Battle Royale»-Genres erkannte, wurde kurzerhand ein solcher Modus entwickelt und kostenlos veröffentlicht. Dieser überschattet inzwischen nicht nur den ursprünglichen Teil des Spiels, die Mehrheit der Epic-Entwickler wurde von anderen Projekten abgezogen und arbeitet nun an «Battle Royale»-Modus von Fortnite. Das südkoreanische PUBG-Entwicklerstudio Bluehole war zunächst nicht gut auf seine Konkurrenz zu sprechen: Es handle sich bei Fortnite um eine Kopie ihres Spiels, hiess es. Da PUBG selbst einige Elemente aus anderen Spielen übernommen hat, rückte man von diesem Vorwurf ab. PUBG-Schöpfer Brendan Greene schlägt inzwischen konziliante Töne an: «Es ist grossartig, dass sich das ‹Battle Royale›-Genre ausweitet, und der ‹Battle Royale›-Spielmodus von Fortnite bringt es in die Hände vieler neuer Leute.»
Dass Fortnite auf der Überholspur ist, überrascht Videospiel-Experte Marc Bodmer nicht: «PUBG ist nicht so geschliffen wie Fortnite und spricht den harten Kern der Gamer an. Fortnite ist auch wegen seiner Cartoon-Ästhetik zugänglicher. Es spricht ein jüngeres und damit breiteres Publikum an.» Die Popularität des Spiels ist aber für andere ein Grund zur Sorge, allen voran Eltern und Lehrer. In den USA ist die Mobile-Version des Spiels scheinbar so beliebt, dass einige Schulen mit überlasteten Netzwerken zu kämpfen haben. Mehrere Lehrer beschwerten sich auf Twitter über das Problem. Einer beschwerte sich gegenüber der amerikanischen Videospiel-Seite Kotaku darüber, dass viele sogar nach der Pause während des Unterrichts weiterspielen, da eine Spielrunde manchmal länger als 15 Minuten dauern kann.
Auch Eltern stehen Fortnite skeptisch gegenüber, besonders, da nach dem Schulmassaker in Florida vom 14. Februar die totgeglaubte Killerspiel-Diskussion zumindest in den USA wieder kurz aufflammte. Medienpsychologe Stefan Caduff winkt ab: «Der comichafte Look des Spiels sorgt dafür, dass das ‹Töten› nicht als solches wahrgenommen wird. Das Spiel erinnert eher an ‹Räuber und Poli›» – man fange die Mitspieler, die dann ein neues Spiel beginnen müssten. Natürlich sei trotzdem Waffengewalt involviert, was ein Bezug zu Waffen steigern könne, sagt Caduff. Dieser Effekt sei aber «vernachlässigbar». Der wichtigste Punkt sei, die Altersfreigabe nicht zu unterschätzen. Unter 12 Jahren sei das Spiel nicht zu empfehlen, selbst wenn Eltern denken, ihr Kind sei dafür bereit.
In der Schule werde das Spiel hierzulande kaum zum Problem werden: «Der Mediengebrauch an Schweizer Schulen ist viel restriktiver», sagt Caduff. Auch Bodmer macht sich kaum Sorgen: «Es gibt weit ärgere Spiele auf dem Markt. Hinzu kommt, dass eine kürzlich veröffentlichte Langzeitstudie des Max-Planck-Instituts wiederum keinen Zusammenhang zwischen Gewalt in Spielen und aggressivem Verhalten der Spielenden nachweisen konnte – zumindest bei Erwachsenen.»
Der Erfolg von Fortnite ist auch für Caduff einfach erklärbar: «Fortnite ist zugänglich, kostenlos und hat einen grossen Wettkampfcharakter.» Man wolle sich mit anderen messen – besonders im Team. Dies habe sogar einen positiven Effekt: «Durch die Zusammenarbeit wird der Teamgeist gefördert. Es entwickelt sich auch eine Rollenzuteilung.» Durch das Beobachten anderer Spieler auf Twitch und Youtube würden Kinder und Jugendliche auch Strategien lernen, die sie dann im Spiel umsetzen könnten. So sei beispielsweise eine gewisse Zurückhaltung im Spiel von Vorteil, da jede Auseinandersetzung eine Niederlage bedeuten kann. Zusätzlich fördert Fortnite laut Caduff wie andere Videospiele die Augen-Hand-Koordination und das räumliche Vorstellungsvermögen – Letzteres dank des Bauelements im Spiel.
Onlinespiele könnten die Frustrationstoleranz steigern, sagt der Psychologe. Eltern sollten aber beobachten, wie das Kind mit dem Spiel umgeht. «Manche können problemlos mehrere Stunden spielen, andere sollten nach 20 Minuten aufhören, da sie sich zu stark emotional beteiligen», so Caduff. Um dies besser einschätzen zu können, sollten Eltern sich einfach mal dazusetzen und mit dem Kind über das Spiel reden – auch wenn sie es zu Beginn nicht verstehen. «Das schafft Offenheit zwischen Kind und Eltern. Das Kind meldet sich dann eher, wenn etwas nicht stimmt», erklärt er. Das sei auch im Zusammenhang mit dem Chat im Spiel wichtig. Wie in vielen Onlinespielen kann auch in Fortnite mit anderen Spielern kommuniziert werden – auch mit unbekannten. Besteht ein offener Dialog zwischen Kind und Eltern, wird sich dieses melden, wenn etwas nicht stimmt. «Das gilt für alle Bereiche, nicht nur für Videospiele», so Caduff.