WEIHNACHTEN: Wenn Spielzeug böse wird

Morgen, Kinder, wird’s was geben. Doch knurrende Plüschtiere, dünne Barbies und kriegerische Legos sind mehr als nur Spielsachen. Sie prägen die Weltsicht unserer Kinder – im Guten wie im Schlechten.

Katja Fischer De Santi
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Katja Fischer De Santi

Weihnachten, das ist für alle jene, die Kinder und Kindeskinder haben vor allem eines, eine grosse Geschenkeschlacht. Die Schweizer Spielzeugbranche macht 45 Prozent ihres Jahresumsatzes von rund 460 Millionen Franken im letzten Quartal. Christi Geburt lässt Erwachsene spendabel werden. 100 Franken und mehr legen Eltern, Götti, Grossväter und Tanten pro Geschenk auf den Tisch. Denn Kinderaugen bringt man schon lange nicht mehr mit Schokolade und einem Holzauto zum Glänzen.

Jedes Jahr übertrumpfen sich die Hersteller gegenseitig mit ­Innovationen, die nicht wirklich welche sind, auf die Kinder aber wie Bienen auf Blüten fliegen. Dieses Jahr glaubt manch Fünfjähriger, Weihnachten nicht zu überleben, wenn er kein «Feisty Pet» geschenkt bekommt. Seine Erziehungsberechtigten glauben hingegen, jede Würde zu ver­lieren, wenn ihnen so ein Tier ins Haus kommt. Die Plüschgestalten sind nicht nur äusserst hässlich, auf Knopfdruck verwandeln sie sich auch in böse, knurrende und beissende Viecher; der blanke Horror im Plüschgewand – aber äusserst begehrt unter dem Weihnachtsbaum.

Mit Barbie gehen die Pferde durch

Auch Klassiker wie die Kugelbahn werden immer mal wieder neu aufgelegt. Heuer nennt sie sich «GraviTrax», ist aus Plastik, irgendwie «interaktiv» und seit Wochen ausgekauft. Barbie hingegen ist 2017 immer noch dünn und mag Rosa, aber diese Weihnachten gehen die Pferde mit ihr durch. Ihr Pferdchen kann wiehern, schmusen, sich drehen, rückwärtsgehen und sogar tanzen. Eltern und Verwandte stehen diesen «Innovationen» meist passiv-­ratlos gegenüber. Intuitiv glaubt man zu wissen, dass Holzkugelbahnen auch interaktiv sein ­können und Bücher schlauer wären. Aber das Kind will es und weil Weihnachten ist, soll es halt den zehnten Lego-«Star Wars»-Bausatz bekommen. Tränen unter dem Christbaum – das weiss die Industrie nur zu gut – will nun wirklich niemand ris­kieren.

Dabei würde es sich lohnen, einige Gedanken daran zu verlieren, was wir unseren Kindern und Kindeskinder unter den Weihnachtsbaum legen. Spielzeug ist mehr als ein paar bunte Plastikteile. Kinder spielen, weil es ihnen Spass macht. Sie lernen dabei aber die ganze Zeit. Sie ahmen die Erwachsenen nach und üben gesellschaftliche Rollen ein. Sie werden durchs Spielen beweglicher und geschickter. Sie verarbeiten, was sie erlebt haben. Sie lernen, besser zu kommunizieren und aufeinander Rücksicht zu nehmen. Kurz: Sie erfahren spielerisch unsere Welt.

Doch wenn ein Spielzeug immer auf die gleiche Weise wackelt, wiehert, blinkt oder beisst, ist das anfangs zwar spannend, weil das Kind auf Knopfdruck sofort den Effekt sieht. Es erlebt sich als «selbstwirksam», wie die Psychologen es ausdrücken. Deshalb wollen sie es auch haben. Aber wahrscheinlich werden Feisty Pet und Barbie-Pferd bald langweilig. Zum Glück sind dann meist auch die Batterien leer und das Kind kann wieder selber ­aktiv werden und das Rösslein wiehern lassen.

Spielzeugpuppen mit Blinden­stock und Brandmalen

Weil über Spielzeug Werte­haltungen (was ist schön, was ­gefährlich) vermittelt werden, ist politisch korrektes Spielzeug auch bei den Herstellern ein Thema. Wenn auch nicht ganz freiwillig. Der dänische Spielwarengigant Lego hat auf Druck der Behinderten-Initiative «Toy Like Me» eine erste Figur im Rollstuhl präsentiert. Auch der britische Hersteller Makie hat Puppen herausgegeben, die Kinder wahlweise mit Blindenstock, Hörgerät, Rollstuhl oder Brandmalen versehen können. Martel musste ­seine Barbie auch mit Normalmassen in die Regale stellen – ob sie sich auch verkauft, ist eine andere Frage.

Unter dem Christbaum werden sich morgen nicht nur die Geschenke stapeln, da wird die Welt auch in zwei Lager geteilt. Da Star Wars, dort Eisprinzessin, hier Chemiekasten, dort Schminkbox. In Spielwaren­abteilungen herrscht Geschlechtertrennung wie im katholischen Gottesdienst vor 100 Jahren. Eltern können sich gerne vornehmen, dem Hellblau-Rosa-Wahn der Spielzeugindustrie zu widerstehen. In der Praxis rotten sich auf dem Spielplatz die Buben, gerade erster Wörter mächtig, um ein Plastikdings zu­sammen und rufen: «Bagger! Bagger!» Daneben backen die Mädchen Sandkuchen in Glitzer-Schmetterling-Förmchen. Kann man nichts machen, liegt in der Natur der Geschlechter? Nicht ganz: Die Neurowissenschaftlerin Lise Eliot hat für ihr Buch «Pink Brain, Blue Brain» zahlreiche Studien zum Thema ausgewertet und kommt zu dem Schluss: Ja, es gibt bei der Geburt kleine Unterschiede zwischen den Geschlechtern – zum Beispiel, dass Jungen ein grösseres Bewegungsbedürfnis haben. Viel mehr Unterschied ist da aber nicht. Was ausserdem oft übersehen wird, ist, dass sich Jungen untereinander und Mädchen untereinander viel stärker unterscheiden als die beiden Gruppen voneinander. Gar für fragwürdig hält Christa Bins­wanger die Ansicht, die Vorliebe für Glitzersachen bei Mädchen sei genetisch festgemacht. Für die Leiterin des Fachbereich Gender und Diversity an der ­Universität St. Gallen sind es Erziehung und Sozialisation, welche die Differenzen immer weiter verstärken.

Spielsachen sind dabei ein nicht unwesentlicher Teil davon. Mädchen bekommen Puppen und Spielküchen geschenkt, Buben Rennbahnen und Werkzeug­koffer. Christa Binswanger rät dringend, solche stereotypen Annahmen zu hinterfragen. «Wir müssen stärker darauf achten, was ein Kind mitbringt, statt es primär durch eine Geschlechterbrille wahrzunehmen.»

Noch in den 1980er-Jahren warb der dänische Spielzeug­hersteller Lego mit einem Mädchen in Latzhose – hinter einer Eisenbahn. Erst um die Jahrtausendwende begannen Spielzeughersteller das Spiel mit den Geschlechtern auszureizen. Das Gendermarketing ist eine Erfolgsstory sondergleichen. Sogar Lego hat seine Bausteine-Welt streng nach Geschlecht sortiert. In der rosa «Lego Friends»-Welt gibt es Hundesalons, ein Schloss, eine Bäckerei. In «Lego City» wird dauernd geschossen oder gelöscht, die ganze Stadt besteht aus Polizei- und Feuerwehrstationen.

Eine Spielzeugwelt, die Mädchen suggeriert, dass Mädchensein vor allem daraus besteht, Pink zu mögen, schön auszu­sehen und Krankenschwester, Hausfrau oder Prinzessin zu spielen, engt die Perspektive der Kinder unnötig ein. Problematisch daran sei, dass viele typische Mädchenspielsachen betonen, wie wichtig es sei, hübsch zu sein, schreibt die Basler Sozialforscherin Dominique Grisard in ihrer Forschungsarbeit.

Zukünftige Ingenieurinnen spielen Lego-Technic

Die Hamburger Organisation Pinkstinks, die unter anderem gegen Sexismus in der Werbung antritt, fragt sich auf ihrer Webseite, wie es gelingen soll, mehr Ingenieurinnen auszubilden, wenn Buben mit Lego-Technic spielen, während Mädchen den perfekten Modelgang üben. Christa Binswanger rät Eltern, nicht speziell gender­gerechtes, sondern schlicht ­kindergerechtes Spielzeug zu schenken. «Wenn ein Junge gerne bäckt, so sollte er nicht mit Aussagen wie: aber das tut ein Junge doch nicht gerne, in seinen Vorlieben gebremst werden. Und dann soll er eben ein Back-Set zu Weihnachten kriegen. Ebenso sollte ein Mädchen, das gerne konstruiert, eine Lego-Welt geschenkt bekommen, in der es nicht nur glitzert und rosa leuchtet.»

Das Fazit: Eltern sollen weniger Spielzeugkataloge durchblättern, sondern ihre Kinder beobachten – und auch mal den Mut haben deren Wunschzettel zu ignorieren. Statt der Barbie mit Pferd könnte man ja den Chemiekasten für Mädchen schenken. Er ist zwar nicht rosa, aber man kann damit sein eigenes Parfüm kreieren. Und der Bub, der kriegt Lotti, eine Barbie mit Normalmassen, «ohne High Heel», aber mit Astronauten-Ausrüstung.