Das FBI jagt mit einem Kopfgeld von 3 Millionen Dollar einen russischen Hacker, der nicht nur Bankkonten leerräumte, sondern womöglich auch bei der Beschaffung brisanter Informationen half. War er ein Spion Putins?
Adrian Lobe
Die grösste Gefahr für Amerikas Demokratie liegt zwischen Badestränden und Hotelketten. In Anapa, einem beliebten Ferienort an der Schwarzmeerküste, residiert der russische Hacker Evgeniy Mikhailovich Bogachew, der am meisten gesuchte Cyberkriminelle der Welt. Bogachew, der unter dem Nickname «lucky12345» und «slavik» operiert, wird für eine Reihe von Hackerangriffen verantwortlich gemacht. Unter anderem soll er als Administrator das Botnetz «GameOver Zeus» betrieben haben, ein Trojaner, mit dem er fremde Konten plündern, Computer sperren und Server lahmlegen konnte. Die Opfer: Banken, Versicherungen, Privatleute.
Nach Erkenntnissen des FBI haben Bogatschew und seine rund 20 Helfer mit der Schadsoftware 1 Million Computer in aller Welt infiziert. Eine Bank in Florida wurde um fast 7 Millionen Dollar erleichtert, eine Plastikfirma in Pennsylvania verlor an einem Tag 375 000 Dollar. Der Gesamtschaden wird auf über 100 Millionen Dollar beziffert.
Cybergefahren sind heute global. Es macht keinen Unterschied, ob eine Attacke im Herzen Washingtons oder in einem russischen Bade-Idyll lanciert wird – die Auswirkungen sind in jedem Fall verheerend. Deshalb macht die US-Bundespolizei Jagd auf Bogatschew. Das FBI hat ein Kopfgeld von 3 Millionen Dollar auf ihn ausgesetzt.
Auf seiner Internetseite («Most Wanted») hat das FBI einen Steckbrief veröffentlicht. Geburtsdatum: 28. Oktober 1983. Haarfarbe: braun. Augenfarbe: braun. Grösse: ca. 1,80 Meter. Gewicht: 81 Kilogramm. Mehr ist über den Hacker nicht bekannt.
Doch Bogatschew ist kein Nerd, so wie man sich einen Hacker vorstellt, der im stillen Kämmerlein Programmierbefehle in den Computer hackt – er führt ein veritables Jetset-Leben. Bilder zeigen den kahlköpfigen Hacker in Putin-Pose mit nacktem Oberkörper am Steuerruder seiner Luxusjacht, mit teurer Armbanduhr und einer brünetten Schönheit im Arm und in einem Nerzmantel mit Sonnenbrille. Müsste sich ein Drehbuchautor einen Charakter schnitzen, würde das Ergebnis vermutlich so ausschauen wie Bogachew. Der «Dr. Evil»-Lookalike hat es durch Betrügereien zu einem beträchtlichen Vermögen gebracht – in seiner Heimat geniesst er Kultstatus. Der Multimillionär besitzt Apartments, Villen, Penthäuser sowie einen Fuhrpark von Luxuskarossen (unter anderen ein Grand Cherokee, BMW und Lincoln samt Chauffeur). Der Hacker agiert im Verborgenen, seine Nachbarn nennen ihn «Fantomas» (in Anspielung auf die französische Filmfigur). Bogachew ist ein Phantom. Im sechsten Stock eines schmucklosen Wohnturms in Anapa dirigiert er in seinem Apartment ein diskretes Netzwerk, das die Cyberfahnder in den Wahnsinn treibt. Seit Mai 2015 fehlt von ihm jede Spur.
Doch Bogachew ist nicht nur in Wirtschaftskriminalität involviert. Er agiert auch auf politischem Terrain. Wie die «New York Times» berichtet, soll sich ab 2011 auch die russische Regierung für seine Hackeraktivitäten interessiert haben. Laut einer Analyse des IT-Sicherheitsdienstleisters Fox-IT sollen die kontrollierten Computer Bogachews – zu Hochzeiten waren dies zwischen 500 000 und 1 Million – Anfragen über geopolitische Entwicklungen erhalten haben. 2013, als der damalige US-Präsident Barack Obama bekanntgab, Waffen an die syrischen Rebellen zu liefern, wurden auf türkischen Rechnern, die von dem Botnetz infiziert waren, Suchanfragen wie «Waffenlieferung» oder «russische Söldner» registriert. Nach der russischen Annexion der Krim und der Invasion im Donbass wurden auf den infizierten Rechnern geheime Ordner des ukrainischen Inlandsgeheimdiensts SBU gesucht. War das Botnetz ein trojanisches Pferd, um brisante geopolitische Informationen abzuschöpfen? Zu jener Zeit forcierte Russlands Präsident Putin den Aufbau einer Cyberdivision. Ein Zufall? War Bogachew die Vorhut von Putins Hackerarmee?
Laut Dokumenten des ukrainischen Innenministeriums, das bei der Verfolgung mit dem FBI kooperiert, arbeitete Bogachew unter Aufsicht einer Spezialeinheit des russischen Geheimdiensts FSB. Damit hätte der Fall auch eine geopolitische Dimension. Seit der Attacke auf den demokratischen Konvent ist das Thema Cybersicherheit in den USA eine hochsensible Angelegenheit. Es geht um die nationale Sicherheit. Im vergangenen Dezember verhängte Präsident Barack Obama als eine seiner letzten Amtshandlungen wegen der mutmasslichen Eingriffe im Wahlkampf Sanktionen gegen Russland. Auf der Liste steht auch Bogachew.
Die Journalisten der «New York Times», die mit ukrainischen Geheimdienstlern sprachen, äussern den Verdacht, dass Bogachew für Spionageaktivitäten eingespannt wurde. «Während Bogachew Bankkonten leerräumte, scheint es, dass die russischen Behörden über seine Schultern schauten und dieselben Computer nach Ordnern und Mails durchforsteten», sind die Journalisten überzeugt. Bogachews Hackerfähigkeiten könnten für Moskau ein wichtiges Geheimdienstwerkzeug sein. Welche Rolle der Hacker im Konzert der Grossmächte spielt, ist unklar. Doch es spricht viel dafür, dass vom Badeort Anapa aus die amerikanische Demokratie attackiert wird.