AUTOFAHREN: Verkehrsämter wehren sich gegen höheres Kontrollalter bei Senioren

Erst ab 75 Jahren sollen die Senioren regelmässig zum ärztlichen Fahreignungstest antraben, fordert das Parlament. Die kantonalen Verkehrsämter bekämpfen diese Idee. Sie befürchten negative Folgen für die Sicherheit.

Kari Kälin
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Ein 83-jähriger Mann ist mit seinem Auto unterwegs. (Symbolbild: Gaetan Bally/Keystone)

Ein 83-jähriger Mann ist mit seinem Auto unterwegs. (Symbolbild: Gaetan Bally/Keystone)

Kari Kälin

Erst mit 75 anstatt mit 70 Jahren sollen Autofahrer zum regelmässigen ärztlichen Fahreignungstest antraben müssen: Dies hat das Eidgenössische Parlament entschieden – zum Missfallen der Vereinigung der kantonalen Strassenverkehrsämter (ASA). Deren Geschäftsführer, Sven Britschgi, ist alarmiert. «Wollen die Politiker die Verantwortung übernehmen, wenn ein dementer Senior vor dem 75. Altersjahr anstatt auf die Bremse aufs Gas drückt und einen Unfall mit Toten oder Schwerverletzten verursacht?», fragt er sich.

Noch bis Anfang Februar läuft die Vernehmlassung für die Gesetzesänderung. Dabei spart die ASA nicht mit Kritik. «Es geht nicht um die Einschränkung der Mobilität, sondern um die Verkehrssicherheit», sagt Britschgi. Dank den Kontrolluntersuchungen seien auf den Strassen bedeutend weniger nicht mehr fahrtüchtige Automobilisten unterwegs. Britschgi verweist auf die Statistik. In der Tat haben 2015 die kantonalen Verkehrsämter schweizweit bei den Autofahrern im Alter von 70 bis 74 Jahren 836 Ausweisentzüge aus gesundheitlichen Gründen verfügt.

Uri schlägt kürzere Kontrollintervalle vor

Zudem würden sich zahlreiche Senioren nach der ersten Kon­trolluntersuchung freiwillig nicht mehr ans Steuer setzen. Im Kanton Zürich etwa gaben 2015 gut 1600 Autofahrer im Alter von 70 bis 75 Jahren das Permis ohne behördlichen Zwang ab. Bei 70 Jahren, nach dem ersten ärztlichen Pflichtcheck, fiel die Zahl mit knapp 900 Verzichten am höchsten aus. Britschgi interpretiert diese Zahlen so: «Bei der Erstuntersuchung ergibt sich ein Schwelleneffekt, da hier offensichtlich Personen erfasst werden, die seit längerem nicht mehr fahrgeeignet waren.»

Die Resultate der Vernehmlassung fallen bis jetzt unterschiedlich aus. Die Kantone St. Gallen und Schwyz zum Beispiel begrüssen ein höheres Kontrollalter. Andere teilen die Einwände der Strassenverkehrsämter, etwa Uri, Basel-Stadt und Aargau. Ein solcher Schritt gefährde das Ziel einer besseren Verkehrssicherheit. «Ältere Menschen ermüden schneller und brauchen mehr Erholungszeit. Verminderte Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit können Probleme schaffen», schreibt der Kanton Uri. Die Untersuchung leiste einen wichtigen präventiven Beitrag und schränke die Selbstverantwortung der Senioren nicht übermässig ein. Die Urner Regierung schlägt vor, die Kontrollen ab 84 im Jahresrhythmus durchzuführen anstatt nur alle zwei Jahre.

Unterstützung erhalten die Gegner des höheren Kontrollalters von Ärzten. «Demenzkranke registrieren nicht selber, dass sie nicht mehr Auto fahren sollten. Auch die Abnahme der Sehleistung nimmt man nicht ohne weiteres selber wahr», sagt der Zürcher Verkehrsmediziner Rolf Seeger. Auch die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) beurteilt die Heraufsetzung des Kontrollalters skeptisch. «Es fehlt eine wissenschaftlich-medizinische Begründung für die neuen Regeln», sagt SGAIM-Sprecher Bruno Schmucki. In der Tat kann die Verkehrskommission des Nationalrats, welche die Vernehmlassung durchführt, keine Angaben zu den Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit machen.

Von medizinischer Seite gibt es indes auch andere Stimmen. Die meisten Senioren zwischen 70 und 75 Jahren seien noch recht fit, sagte Philippe Luchsinger, Präsident des Verbandes Haus- und Kinderärzte, gegenüber dem «Blick». Die Kontrollpflicht mit 70 sei unverhältnismässig.

Nationalrat Reimann spricht von Diskriminierung

Diese Worte sind Musik in den Ohren von Maximilian Reimann. Der 74-jährige Aargauer SVP-Nationalrat war es, der mit einer parlamentarischen Initiative den Anstoss zur Erhöhung des Kontrollalters gab. Er hält die Schweizer Senioren für diskriminiert, weil deren Altersgenossen aus Deutschland, Österreich und Frankreich nicht zum obligatorischen Kontrolltest antraben müssen. «Wenn die Einwände der Bürokraten in den Strassenverkehrsämtern stimmen würden, dürfte die Schweiz keine über 70-jährigen Autofahrer aus unseren Nachbarländern mehr hereinlassen – oder nur noch, falls sie einen Gesundheitsausweis mit sich tragen», sagt Reimann.

Der Jurist weist darauf hin, dass in der Schweiz das Kontrollalter 70 in den 1970er-Jahren festgelegt wurde. «Mittlerweile sind die Menschen nachweislich im Durchschnitt sechs bis sieben Jahre älter sowie geistig und körperlich auch im fortgeschrittenen Alter fitter geblieben», so Reimann. Falls das Parlament die Erhöhung beschliesst, besitzt der Bund die Kompetenz, eine Sensibilisierungskampagne zum Beispiel nach dem Motto «Wer nicht mehr fit ist, fährt nicht mehr» in Auftrag zu geben. «Das entspräche meiner Vorstellung von Eigenverantwortung anstatt überbordender Bürokratie», sagt Reimann.