Ulrich Gygi, Verwaltungsratspräsident der SBB, tritt im Juni zurück. Der Berner über die Service-public-Initiative, das elektronische Ticket, die Zukunft des GA und die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels.
Interview Tobias Gafafer
Herr Gygi, funktioniert der Betrieb der SBB in diesen Tagen störungsfrei?
Ulrich Gygi: Auf unserem Netz mit 9000 Zügen pro Tag und einem dichten Fahrplan gibt es häufig kleinere Störungen. Aber im Grossen und Ganzen funktioniert der Betrieb gut. Wir müssen dafür sorgen, dass das System auch mit dem laufenden Angebotsausbau stabil bleibt.
Eine grosse Störung könnte die Service-public-Initiative befeuern.
Gygi: Das wünschen wir natürlich nicht.
Die Initiative ist laut Umfragen nicht chancenlos, auch wenn die Zustimmung bröckelt. Wie erklären Sie sich das?
Gygi: Die Öffentlichkeit hat die attraktiv verpackte Initiative lange nicht hinterfragt und erst jetzt die Argumente der Gegner wahrgenommen. Das läuft in vielen Abstimmungskämpfen so. Ich hoffe, dass die Zustimmung so weit bröckelt, dass es eine Nein-Mehrheit gibt.
Was hätte ein Ja zur Initiative zur Folge?
Gygi: Das hätte für die Unternehmen zunächst eine lähmende Ungewissheit über die Umsetzung zur Folge. Die unklar formulierte Initiative müsste interpretiert werden, es würde eine Diskussion über den Service public geben. Viel schlimmer ist jedoch die Idee, dass die Unternehmen nicht mehr nach Gewinn streben dürfen.
Laut den Initianten wären Gewinne in der Grundversorgung weiterhin möglich, aber nicht mehr zu Gunsten der Bundeskasse.
Gygi: Die Initianten haben die Gewinnablieferungen der Swisscom und der Post an den Bund im Auge. Die Ausfälle müsste der Bund, der bereits unter grossem Spardruck steht, kompensieren.
Aber die SBB wären nicht betroffen.
Gygi: In dieser Hinsicht sind wir nicht betroffen, weil wir die Gewinne bisher in das Unternehmen investiert haben.
Auch die Konzernspitze profitiert mit Boni von den Gewinnen. Haben Sie die Sensibilität von Lohnfragen unterschätzt?
Gygi: Bei diesem Thema gehen die Emotionen hoch. Unternehmen wie die SBB, die Post und die Swisscom sind aber komplexe Gebilde, die nicht einfach zu führen sind. Neben betriebswirtschaftlichen Anforderungen sind die Führungspersonen auch stark in der Öffentlichkeit exponiert. Das verlangt von den Kadern sehr viel. Gute Manager und Jungtalente wollen nicht in eine Firma einsteigen, in der Gewinne verboten und die Löhne gedeckelt sind. Unsere Attraktivität am Arbeitsmarkt würde sinken.
Mitten im Abstimmungskampf sorgten Sie mit Aussagen zur Zukunft des GA für Vielfahrer für Aufregung. Was haben Sie sich dabei gedacht?
Gygi: Meine Aussagen wurde aus dem Zusammenhang gerissen. Unser ÖV-System enthält zwei geniale Elemente, den Taktfahrplan und den sogenannten direkten Verkehr. Mit einem Billett können sie fast alle Verkehrsmittel benutzen. Doch der Zugang zum ÖV muss einfacher werden. Dafür haben wir mit der Branche einen Prozess in Gang gesetzt, der mit dem Swiss Pass erst am Anfang steht. Ich habe das Beispiel der Oyster-Karte aus London vor Augen. Dem Kunden stehen alle lokalen Transportmittel zur Verfügung, nachdem er Geld darauf geladen hat. So etwas schwebt mir für die Schweiz vor, auch wenn es mit 250 Verkehrsunternehmen komplizierter ist.
Wäre damit das GA in der heutigen Form am Ende?
Gygi: Nein. Aber es wird Anpassungen brauchen, damit das GA in das neue Preissystem passt.
Etwa für Kunden, die mit dem GA täglich von Zürich nach Bern pendeln?
Gygi: Das Oyster-Kartensystem basiert darauf, dass jemand, der mehr fährt, auch mehr bezahlt. Das Prinzip des GA steht dem natürlich entgegen. Aber es ist für einen Vielfahrer eine Belohnung, was auch in Ordnung ist.
Also wird es weiterhin eine Art Flat-Rate-Abo für den ÖV geben?
Gygi: Ja. Die Frage ist nur, wo die Schwelle für die Flat-Rate liegen wird. Sie muss ins neue Preissystem passen, damit dieses als fair empfunden wird.
Die Südostbahn macht mit einem E-Ticket-Projekt vorwärts. Warum entschieden sich die SBB mit dem Swiss Pass für einen Umweg?
Gygi: Der Swiss Pass ist der erste Schritt zu einer Art Oyster-Karte. Die Erfahrungen mit lokalen Versuchen helfen der ganzen Branche. Aber sinnvoll ist so eine Plattform erst, wenn das ganze System integriert werden kann. Der dritte Geniestreich im ÖV muss flächendeckend erfolgen. Das können wir nicht in einem Schritt machen. Wir müssen die Kunden daran gewöhnen, die Probleme beim Datenschutz und bei der Technik zu lösen. Das braucht einige Jahre.
Die SBB wollen Personal abbauen. Zuletzt stieg die Angestelltenzahl stetig. Warum reagieren Sie erst jetzt?
Gygi: Der Verwaltungsrat kam zum Schluss, dass eine Trendwende eingeläutet werden muss. Bis 2020 wollen wir unsere Betriebskosten senken und Personal abbauen. Es ist so, dass der Personalbestand auf 33 000 Mitarbeiter anstieg. Ein Grund ist das Verkehrswachstum, aber auch die Integration der Ausbildung und die Informatik, wo wir weniger Aufträge auslagern wollen.
Haben die SBB über die Jahre Fett angesetzt, weil der Wettbewerbsdruck bei der Bahn ungenügend war?
Gygi: Wir stehen mit der Strasse sehr wohl in einem harten Wettbewerb. Aber wir sind auf der Einnahmenseite bei den Tarifen in einem engen politischen Korsett. Deshalb müssen wir auf der Kostenseite handeln. So bereiten wir uns auf den zunehmenden Wettbewerbsdruck vor.
Abgesehen vom Güterverkehr gibt es in der Schweiz auf der Schiene heute kaum Wettbewerb. Wo rechnen Sie mit mehr Druck?
Gygi: Im internationalen Fernverkehr arbeiten wir in Kooperationen mit den deutschen, französischen, italienischen und österreichischen Bahnen. Aber die EU hat diese Verkehre bereits liberalisiert. Es ist also möglich, dass wir dereinst nicht mehr mit den Nachbarbahnen kooperieren, weil sie selber in die Schweiz fahren wollen.
Die SBB haben bei Stadler Rail 29 Hochgeschwindigkeitszüge für den Nord-Süd-Verkehr bestellt, mit Optionen für bis zu 92 weitere Züge. Wäre es möglich, dass sie damit in Eigenregie nach Frankfurt, Mailand und in andere Städte fahren?
Gygi: Ja, wenn die Kooperationen mit unseren Partnern nicht mehr zu Stande kommen. Dafür müsste sich auch die Schweiz der Liberalisierung des Fernverkehrs der EU anschliessen. Das ist heute nicht der Fall, aber nicht ausgeschlossen. Für dieses Szenario müssen wir beim Rollmaterial vorbereitet sein.
Die SBB haben international einen guten Ruf. Würden Sie den genannten Schritt deshalb begrüssen?
Gygi: Nein. Die Bahn wehrt sich mit internationalen Kooperationen gegen die Konkurrenz des Flugverkehrs. Im Umkreis von 600 Kilometern sollte die Schiene über nationale Grenzen hinweg über ein konkurrenzfähiges Angebot verfügen. Das ist heute leider immer noch nicht überall der Fall, weil die Infrastrukturen ungenügend ausgebaut sind und weil die Bahnsysteme in verschiedenen Ländern bis heute nationale Züge tragen.
Am Mittwoch eröffnet die Schweiz den Gotthard-Basistunnel. Warum spielt der Güterverkehr dabei nur eine Nebenrolle, obwohl die Neat primär für die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene gebaut wurde?
Gygi: Im Endausbau sollen pro Stunde und Richtung zwei Personen- und sechs Güterzüge durch den Tunnel fahren. Im Moment prüfen wir mit dem Bund, wie schwer die Güterzüge sein dürfen, damit der Verkehr einwandfrei funktioniert. Sie können aber nicht Staatschefs mit Güterwagen durch den Tunnel fahren, da nehmen wir den Salonwagen (lacht).
Gewinne machen die SBB heute primär mit dem Fernverkehr und den Immobilien. Wird die Neat je rentieren?
Gygi: Der Güterverkehr ist ein margenschwaches Geschäft. Wir sind froh, wenn wir SBB Cargo in die schwarzen Zahlen bringen. Das hatten wir bereits erreicht, aber dann kamen der Frankenschock und die Euro-Krise dazwischen. Im Fernverkehr hoffen wir, dass die Neat eine Rendite abwirft. Wir erwarten, dass die Nachfrage stark zunimmt. Die Infrastruktur finanziert primär der Bund. Die Kosten sind enorm.
Wie hoch sind die Folgekosten des Gotthard-Basistunnels in Unterhalt und Betrieb?
Gygi: Beim Unterhalt der Infrastruktur rechnen wir mit 50 Millionen Franken pro Jahr, beim Betrieb mit 24 Millionen.