Unsere Region ist in der Landesregierung notorisch untervertreten. Dafür gibt es nicht nur historische Gründe.
Kari Kälin
Vielleicht ringt sich der Nidwaldner SVP-Regierungsrat Res Schmid zu einer Kandidatur durch. Der Entscheid fällt heute Morgen. Oder die Zuger SVP portiert Nationalrat Thomas Aeschi. Als Favoriten für den Einzug in die Landesregierung kursieren indes andere Namen. Und wahrscheinlich lautet das Fazit am 9. Dezember bei den Gesamterneuerungswahlen aus Zentralschweizer Sicht: wieder kein Bundesrat.
Seit dem Rücktritt von Kaspar Villiger (FDP, Luzern) im Jahr 2003 hat unsere Region nie mehr einen Bundesrat gestellt. Eine Durststrecke von etwas mehr als zehn Jahren ist zwar nichts Aussergewöhnliches, doch im Herzen der Schweiz ist die Bundesratslosigkeit so was wie ein Dauerzustand. Seit der Gründung des Bundesstaates im Jahr 1848 entsandte die Zentralschweiz bloss acht Bundesräte: am meisten der Kanton Luzern (5), gefolgt von Zug (2) und Obwalden (1). Uri, Schwyz und Nidwalden teilen mit Schaffhausen und Jura das Schicksal, dass noch nie einer der Ihren an den Schalthebeln der eidgenössischen Macht sass. Nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch gemessen an der Bevölkerungszahl nimmt die Zentralschweiz eine Randstellung ein. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Die Zentralschweiz verfügt sicher nicht über weniger fähiges Politpersonal als andere Regionen. Bis kurz vor die Ziellinie schaffte es der frühere FDP-Präsident und Urner Nationalrat Franz Steinegger (72). Doch im Jahr 2003 schickte die FDP-Fraktion für die Nachfolge von Kaspar Villiger ein Zweierticket mit Hans-Rudolf Merz (AR) und Christine Beerli (BE) ins Rennen; gewählt wurde Merz. Für Steinegger bedeutete dies ein Déja-vu. 1989 war er in der parteiinternen Ausmarchung Kaspar Villiger, der damals die zum Rücktritt Gezwungene Elisabeth Kopp ersetzte. «Wenn er damals nicht kandidiert hätte, wäre ich wahrscheinlich Bundesrat geworden», sagt Steinegger. Als Luzerner habe Villiger über eine grössere Heimmacht verfügt. Steinegger trauert den verpassten Chancen nicht nach. «Sonst sollte man nicht politisieren», sagt er.
Doch bringt ein Bundesrat einer Region überhaupt einen konkreten Nutzen? «Man erhält einfacher Zugang zur Landesregierung», sagt Franz Steinegger. «Die anderen sechs Kollegen achten schon darauf, dass die Bäume für eine Region nicht in den Himmel wachsen.»
Für den Zuger CVP-Nationalrat Gerhard Pfister wäre es gar nicht wünschbar, dass ein Bundesrat seine Heimat privilegiert. «Er muss das Gesamtinteresse des Landes im Auge haben. Ansonsten hätte er nicht begriffen, was dieses Amt bedeutet.» Die Herkunft der Bundesräte habe an Bedeutung verloren. Die Zentralschweiz müsse sich in Bern anders Gehör verschaffen, zum Beispiel durch die Parlamentarier.
Nationalrat Louis Schelbert (Grüne, Luzern) ist derweil überzeugt: «Wenn eine Region einen Bundesrat stellt, ist am ehesten gewährleistet, dass sie nicht vergessen geht.» Schelbert denkt etwa an Verkehrsprojekte oder den Standort von Verwaltungseinheiten. Er denkt aber nicht, dass auch ein Zentralschweizer Bundesrat den Luzernern einen Durchgangsbahnhof herbeizaubern könnte.
Der Schwyzer Ständerat Peter Föhn (SVP) vermutet, dass ein «einheimischer» Magistrat gerade in der Verkehrspolitik einiges zu Gunsten der eigenen Region bewirken könnte. «Ohne den Kandersteger Adolf Ogi (SVP) wäre niemals ein Neat-Tunnel durch den Lötschberg gebohrt worden», sagt er. Und die Westschweiz sei verkehrstechnisch besser erschlossen als die Zentralschweiz. «Häufig besetzen die Bundesräte Schlüsselpositionen in der Verwaltung mit Leuten aus der Region», ergänzt Föhn. Für ihn wäre es an der Zeit, dass die Zentralschweiz endlich wieder einmal zu Bundesratsehren kommt. Dass dies so selten geschieht, erklärt der Muotathaler Möbelfabrikant mit der Mentalität. «Die Urschweizer sind bescheidene Chrampfer, die sich nicht in den Vordergrund drängen.» Wenn es dieses Mal auch nicht klappe, müsse die SVP in der Zentralschweiz bereits jetzt Kandidaten für eine nächste Vakanz aufbauen.
Nicht zuletzt erfüllt es Land und Leute mit Stolz, wenn ein Mitglied der Landesregierung aus ihrer Region stammt. Die Bundesräte seien dann quasi ein direktes Bindeglied zur eidgenössischen Politik, sagt Historiker Urs Altermatt. Gefeiert werden die Neobundesräte ohnehin in ihrem Heimatkanton. «Bei diesen Festlichkeiten werden Sozialdemokraten selbst von bürgerlichen Wählern als ‹ihre› Bundesräte betrachtet», sagt Historiker Altermatt. Er ist überzeugt, dass die Magistraten durchaus etwas für ihre Kantone und Regionen herausholen können. «Der Tessiner Flavio Cotti hat zum Beispiel die Italianita in der Bundesverwaltung stark gefördert.»
Rückblick kä. Ein Verzicht ermöglicht die erste Zentralschweizer Bundesratskarriere. Der Basler Nationalrat Johann Jakob Stehlin nahm die Wahl in die Landesregierung nicht an. Am 14. Juli 1855 erbte daher Josef Martin Knüsel (FDP) aus Luzern den Sitz. Er schaffte im 2. Wahlgang das absolute Mehr. Knüsel galt als gemässigter Liberaler und blieb 20 Jahre lang im Amt. In der Kulturkampfzeit distanzierte er sich gemäss dem Historischen Lexikon der Schweiz immer stärker von seinen einstigen freisinnigen Luzerner Gesinnungsgenossen.
Knüsel kam eher zufällig zu Bundesratsehren. Weit bedeutender war 1891 die Wahl des katholisch-konservativen Luzerners Joseph Zemp. Mit ihm zog erstmals ein Nicht-FDP-Mann in die Landesregierung ein. Nachdem die Katholisch-Konservativen die freisinnige Regierungsmaschinerie mit Referenden gestört hatten, übertrug die FDP der Opposition kurzerhand Regierungsverantwortung. Damit war die absolute Vormachtstellung der FDP vorüber.
Ein ganzes Vierteljahrhundert (1934 bis 1959) wirkte der Zuger Konservative Philipp Etter im Bundesrat – so lange wie kein anderer Zentralschweizer Magistrat. Am wenigsten lang (1982 bis 1986) übte Alphons Egli sein Amt aus. Der letzte Luzerner Bundesrat, der freisinnige Kaspar Villiger, trat 1989 die Nachfolge von Elisabeth Kopp an, die aufgrund der sogenannten Kopp-Affäre zum Rücktritt gezwungen wurde. Insgesamt stellte die CVP bis jetzt sechs und die FDP zwei Zentralschweizer Bundesräte.