Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann will alles dafür tun, um den Werkplatz zu erhalten. Den Bundesrat sieht er gut aufgestellt. Es werde hart, aber konstruktiv gestritten.
Herr Bundesrat, die Industrie leidet unter dem starken Franken. Mancherorts kommt es zu Auslagerungen und Arbeitsplatzabbau. Stimmt Sie das nachdenklich?
Johann Schneider-Ammann: Ja selbstverständlich. Ich komme ja aus dieser Industrie. Und ich weiss, was es bedeutet, wenn Firmen die Marge opfern, um keine Stellen abbauen zu müssen. Das Geld fehlt ihnen später, um zu investieren. Wir werden daher erst mit einem zeitlichen Verzug von zwei, drei Jahren merken, was der starke Franken wirklich anrichtet. Das Risiko, dass weitere Firmen Stellen ins Ausland verlagern, besteht.
Droht der Schweiz eine Deindustrialisierung?
Schneider-Ammann: Die Gefahr, dass jetzt zu wenig in Innovation investiert wird und wir damit an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, ist beträchtlich. Es gibt aber viele Beispiele von Firmen, die die Herausforderung des starken Frankens meistern, die Effizienz und Produktivität noch weiter antreiben und die sich sagen: Wenn wir Teile der Produktion nach Tschechien oder China auslagern, dann nur darum, um die Unternehmenszentrale in die Schweiz und damit auch die Arbeitsplätze hier abzusichern.
Müssen wir damit rechnen, dass die 45-Stunden-Woche in der Industrie zur Regel wird, damit die Unternehmen wegen des starken Frankens günstiger exportieren können?
Schneider-Ammann: Ich mische mich hier als Wirtschaftsminister nicht ein, das müssen die Sozialpartner unter sich regeln. Aber meine Erfahrung als früherer Industrieller zeigt: Wenn es mehr Stunden braucht, um die Chancen am Markt zu packen und die Arbeitsplätze zu sichern, dann ist das eine geschickte sozialpartnerschaftliche Vereinbarung. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das genau unser Erfolgsgeheimnis ist: das liberale Arbeitsgesetz, gepaart mit einer intakten Sozialpartnerschaft und der exzellenten dualen Bildung.
Um die Rahmenbedingungen zu verbessern, könnte der Bund die Kurzarbeit verlängern.
Schneider-Ammann: Wir haben im Januar nach der Aufhebung des Euro-Mindestkurses die Einführung der Kurzarbeit für zwölf Monate beschlossen. Nun kommen die ersten Unternehmen im Februar nächsten Jahres an diese Limite. Ich werde darum dem Bundesrat beantragen, die Unterstützung für Kurzarbeit auf 18 Monate auszudehnen.
Ist Kurzarbeit schon so verbreitet, dass die Verlängerung nötig ist?
Schneider-Ammann: Bis Ende Oktober waren rund 5300 Beschäftigte in knapp 400 Firmen von Kurzarbeit betroffen. Nach dem Entscheid der Nationalbank schien auch mehr denkbar. Kurzarbeit sollte man dann brauchen, wenn man Licht am Ende des Tunnels sieht; um ein zeitlich limitiertes Problem zu überbrücken. Wenn die Unternehmer nun die Kurzarbeit zurückhaltend nutzen, könnte dies ein negatives Zeichen sein. Es könnte bedeuten, dass gleich zur Umstrukturierung geschritten wird. Indem wir die Kurzarbeit auf 18 Monate verlängern, schaffen wir klare Bedingungen und senden ein wichtiges Signal aus: Wir geben den Firmen mehr Zeit, um sich an die neuen Umstände anzupassen, und versuchen damit, die Arbeitsplätze in der Schweiz zu halten.
Und dennoch: Die Arbeitslosenzahlen in der Schweiz steigen, und das BIP pro Kopf stagniert. Könnte das auch am Ja zur Masseneinwanderungsinitiative liegen?
Schneider-Ammann: Die Unsicherheit über den wirtschaftlichen Zugang zum europäischen Markt spielt schon eine Rolle. Ich war kürzlich bei einigen international ausgerichteten Unternehmen in Genf. Diese sagten mir deutlich: Wir tätigen so lange keine Investitionen in der Schweiz, bis klar ist, wie es mit den bilateralen Verträgen mit der Europäischen Union weitergeht. Sie harren aus und haben bisher keine Arbeitsplätze abgebaut. Doch sie signalisieren klar, dass die Unsicherheit nicht beliebig über den Februar 2017 hinausgehen darf. Unsicherheiten sind immer eine Bremse in der Wirtschaft. Und diese haben wir mit dem ungeklärten bilateralen Verhältnis zur EU und der Wechselkursproblematik derzeit kumuliert. Das ist nicht gut.
Die Personenfreizügigkeit ist zunehmend auch innerhalb der EU unter Druck. Mehrere EU-Länder führen in der Flüchtlingskrise und im Nachgang zu den Pariser Attentaten wieder Grenzkontrollen ein. Spielt das der Schweiz bei den Verhandlungen in die Hand?
Schneider-Ammann: Wir stellen fest, dass man in Brüssel derzeit stark mit den eigenen Problemen beschäftigt ist. Ich höre immer wieder Stimmen aus Brüssel, die sagen: Mit euch sind wir grundsätzlich sehr gut unterwegs, bitte versteht, dass wir uns zuerst anderen Bereichen widmen müssen. Beide Seiten wissen aber, dass man in den nächsten zwölf Monaten zu einer Lösung kommen muss. Wenn wir im richtigen Moment mit den richtigen Vorschlägen ankommen, wird die EU auch die nötige Kapazität frei machen, um das Verhältnis zu regeln.
Stimmt es, dass Sie als Bundespräsident im kommenden Februar mit einer grossen Wirtschaftsdelegation in den Iran reisen?
Schneider-Ammann: Ja, ich plane, den Iran zu besuchen. Wann genau und unter welchen Bedingungen, wird zu gegebener Zeit bekannt gegeben.
Es scheint, Ihre Mission im Wirtschaftsdepartement sei noch nicht beendet. Kommt ein Departementswechsel also nicht in Frage?
Schneider-Ammann: Sie kennen die Abläufe: Am 9. Dezember ist die Bundesratswahl, einige Tage später setzen wir uns zusammen und nehmen die Departementsaufteilung vor. Und danach wird der Bundesrat informieren.
Sie schliessen also nicht aus, dass Sie ins Finanzdepartement wechseln?
Schneider-Ammann: Ich habe in meinem Departement eine ganze Anzahl Dossiers, die offen und Erfolg versprechend sind. Und ich mache meine Arbeit als Vorsteher des Departementes für Wirtschaft, Bildung und Forschung sehr gerne.
Der Bundesrat gibt derzeit ein harmonisches Bild ab. Ist das Klima so positiv, wie es von aussen erscheint?
Schneider-Ammann: Wenn Sie unter diesem Klima verstehen, dass man sich aufeinander verlassen kann und gemeinsam Lösungen sucht, ist der Eindruck sicher richtig. Es wird auch nicht auf den Mann oder auf die Frau gespielt, wie dies früher ab und zu der Fall war. Das ist positiv. Das heisst aber nicht, dass wir nicht um die Sache feilschen. Es wird gestritten, es wird gefochten. Ich kann Ihnen versichern: Wir sind kein Wohlfühlgremium.
Interview Jürg Ackermann und Roger Braun