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Beatrice Tschanz, ehemalige Swissair-Sprecherin, beurteilt die Krisenkommunikation nach dem Ju-52-Absturz als «sehr gut» und glaubt an eine Zukunft für die Ju-Air. Die wahrscheinlichste Ursache für den Absturz ist laut Tschanz ein Strömungsabriss.
Der Halifax-Absturz im Jahr 1998 mit 229 Todesopfern machte die Kommunikationschefin der Swissair zu einer der berühmtesten Frauen des Landes. Die Arbeit von Beatrice Tschanz nach dem Unglück gilt bis heute als Meisterleistung der Krisenkommunikation. Nun spricht die 74-Jährige über das Unglück vom Wochenende in Graubünden und erklärt, wie man mit einer solchen Tragödie umgeht.
Beatrice Tschanz, Sie wissen, wie schwer es ist, nach einem Flugzeugabsturz mit Angehörigen zu sprechen. Worauf muss man achten?
Diese Gespräche gehören zum Allerschwierigsten im Krisenmanagement. Besser als ein Telefonanruf ist natürlich ein persönliches Treffen. Wer das tun muss, ist nicht zu beneiden. Momentan ist ein Care-Team vor Ort und bei den Angehörigen. Das war auch beim Halifax-Absturz der Fall. Sie wissen, was eine solche Tragödie bei den Angehörigen auslösen kann: Die Reaktionen reichen von Trauer über Schock bis hin zur Wut. Es ist eine Gratwanderung zwischen Einfühlsamkeit und Sachlichkeit. Die Angehörigen müssen das Gefühl haben, dass jemand da ist, der ihnen auch zuhört. Grundsätzlich sind Fluggesellschaften heute besser auf Katastrophen vorbereitet als noch vor 20 Jahren.
Wie bewerten Sie die bisherige Krisenkommunikation nach dem Absturz der Ju-52?
Die Verantwortlichen haben sehr gut kommuniziert. Die Informationen kamen schnell und wurden sachlich dargelegt. Ich hatte nicht das Gefühlt, dass jemand etwas verheimlichen will.
Die Ju-Air hat ihren Betrieb eingestellt. Die richtige Entscheidung?
Ja, das war absolut richtig. Nach so einem Unglück ist es pietätvoll, nicht einfach den gewohnten Betrieb aufrechtzuerhalten.
Die Absturzursache ist nicht geklärt. Es heisst, es könnte Monate oder Jahre dauern, bis man mit Sicherheit sagen kann, was passiert ist. Wie schwierig ist diese Zeit der Spekulationen?
Ich glaube nicht, dass es so lange dauern wird. Spekulationen gehören dazu, aber weil man weiss, dass der Flieger senkrecht zu Boden gestürzt ist, ist es naheliegend, dass ein Strömungsabriss die Ursache für das Unglück sein könnte. Man weiss, dass kein anderes Flugobjekt involviert war, man weiss, dass es kein Anschlag war. Auch einen Piloten-Selbstmord, wie es beim Absturz der Germanwings der Fall war, würde ich ausschliessen. Das schränkt Spekulationen doch sehr ein.
Analysiert man die Unfallstatistiken der Schweizer Zivilluftfahrt der vergangenen Jahre, fällt vor allem die unstete Entwicklung auf – anders als beim Strassenverkehr. Dort sinkt die Zahl der Todesfälle kontinuierlich. Starben 1990 knapp 1000 und 2005 rund 400 Menschen auf Schweizer Strassen, waren es 2017 noch 230. Als äusserst sicher gilt der zivile Luftverkehr. Bei diesem variierte die Summe der Unfälle und schweren Vorfälle (wie Beinahe-Kollisionen) zuletzt zwischen 45 und 87. Im Schnitt sind in der vergangenen Dekade zehn Menschen pro Jahr bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen – bei durchschnittlich rund 1,5 Millionen Flugbewegungen. Die Kurve bei den tödlich Verunglückten kann durch Abstürze grösserer Maschinen wie der Ju-52 oder Linienflugzeuge sprunghaft ansteigen. Meist erfolgen Unglücke aber mit mittelgrossen Maschinen, Kleinflugzeugen oder Helikoptern. (sw)
Könnten Handydaten der Passagiere weitere Aufschlüsse geben?
Ich denke nicht, dass man überhaupt Handys finden wird. Ein solcher Absturz pulverisiert alle Gegenstände geradezu. Ausserdem muss der Absturz schnell passiert sein, dass da jemand gefilmt hat, bezweifle ich.
Eine Blackbox hätte bei der Ursachenforschung helfen können, die Ju-52 hatte aber keine an Bord. Sollten künftig auch ältere Maschinen mit einem Datenschreiber ausgerüstet werden?
Das Schöne an den Ju-Maschinen ist doch gerade, dass es wunderbar alte Flieger sind, die hervorragend gewartet werden. Aber natürlich hätte eine Blackbox helfen können. Der Unglückspilot hatte selbst gesagt, die Maschine sei «nicht harmlos». Ja, sie ist sehr anspruchsvoll, es braucht gute Piloten mit viel Erfahrung. Aber die hatten die zwei im Cockpit eigentlich. Man muss aufpassen, dass man aufgrund dieses tragischen Ereignisses nicht alles in Frage stellt. Die Ju-52 ist jahrelang absolut sicher geflogen. Aber wenige Tage danach bin auch ich eher vorsichtig. Man muss erstmal alles aufarbeiten.
Dann würden Sie jetzt nicht in eine solche Maschine steigen.
Ehrlicherweise nicht.
Kann sich die Ju-Air von dieser Tragödie überhaupt erholen?
Ja, die Ju-Air wird wieder fliegen. Die Firma hat eine Existenzberechtigung. Natürlich ist es für die Ju-Air auch wirtschaftlich schmerzlich, da eine Maschine, die man nicht einfach ersetzen kann, wegfällt. Aber das Konzept der Rundflüge ist sehr beliebt. Ju-Air war über Jahre sehr erfolgreich – und das wird sie auch wieder werden. Derzeit ist es aber der falsche Zeitpunkt, um solche Flüge zu propagieren. Trotzdem wird die Vereinigung sicher überleben.
Denken Sie nach solchen Unglücken an Halifax zurück?
Das ist 20 Jahre her und deshalb nicht mehr so präsent. Aber immer wenn ein Flugzeug abstürzt, kommen mir all die Szenen wieder in den Sinn.
Was war damals die grösste Herausforderung?
Neben der Benachrichtigung der Angehörigen war der mediale Druck extrem hoch. Wir hatten damals über Wochen die wildesten Spekulationen und mussten ständig und schnell kommunizieren. Gut, das gilt auch heute, aber durch die sozialen Kanäle hat man heute andere Möglichkeiten, die Menschen zu erreichen.
Hatten Sie je Angst beim Fliegen?
Ich habe selbst einmal eine Notlandung in Argentinien erlebt. Das war nicht sehr gemütlich, weil wir auf einem Acker landen mussten. Da hatte ich schon Bammel. Ich blieb total konzentriert und habe mir einfach immer gesagt: «Es kommt gut, es kommt gut.» Trotz dieses Erlebnisses habe ich bis heute keine Angst vor dem Fliegen.
Die am Samstag abgestürzte Ju-52 wurde zwar von der Dübendorfer Ju-Air betrieben. Sie war jedoch Eigentum der Schweizer Luftwaffe. Das geht aus dem Luftfahrzeugregister des Bundes hervor. Ein Armeesprecher bestätigte gestern, die Luftwaffe habe 1982 zwei Junkers Ju-52 an den Verein der Freunde der schweizerischen Luftwaffe (VFL) dauerhaft verliehen. Die 1939 in Betrieb genommenen Transportflugzeuge wurden damals ausgemustert. Sie seien dem Verein kostenlos zur Nutzung überlassen worden. Über die genauen Vertragsbedingungen konnte die Luftwaffe gestern keine Angaben machen, da die entsprechenden Verträge noch nicht vorlägen. Schadenersatzpflichtig werde der Bund jedoch nicht. Auch dürfte er gegenüber dem Verein keine Ansprüche stellen, da die Maschinen mit der Ausmusterung abgeschrieben wurden.
Am Samstag abgestürzt ist die Maschine mit dem Kennzeichnen HB-HOT. Die zweite vom Bund ausgeliehene Ju-52 trägt die Registrierung HB-HOP. Die Dritte in der Flotte, die HB-HOS, stammt ebenfalls aus Armeebeständen, ist jedoch Eigentum des Vereins Freunde der Luftwaffe. Dieser ist Träger der Ju-Air. (ffe)