Die Wirren um die Botschafter-Rochade haben Folgen: Der frühere Staatssekretär Yves Rossier verlässt das Aussendepartement (EDA). «Auf eigenen Wunsch», wie es beim EDA heisst.
Am 18. Juni 2019 war die Welt noch in Ordnung. Aussenminister Ignazio Cassis nahm mit fast 800 geladenen Gästen an den Eröffnungsfeierlichkeiten für die neue Schweizer Botschaft in Moskau teil. 42 Millionen Franken hatte ihr Umbau gekostet. Auch der russische Aussenminister Sergei Lawrow wohnte der Zeremonie bei.
Gastgeber war Yves Rossier, der Schweizer Botschafter in Russland von 2017 bis 2020. Eineinhalb Jahre später ist das Tuch zwischen dem Spitzendiplomaten und Aussenminister Cassis zerschnitten.
Der ehemalige Staatssekretär hat inzwischen die Kündigung eingereicht. Er habe das Departement «auf eigenen Wunsch» verlassen, sagt EDA-Sprecher Pierre-Alain Eltschinger. Als Staatssekretär und als Botschafter in Moskau habe er langjährige Dienste für die Schweizer Aussenpolitik geleistet. «Wir danken Herrn Rossier für sein Engagement.» Rossier selbst wollte sich nicht äussern.
Rossier und das Aussenministerium (EDA) konnten sich nicht auf einen Nachfolgeposten für Moskau einigen, wie Recherchen zeigen. Dies, obwohl das EDA Rossier diverse Möglichkeiten anbot: Teheran (Iran), Tiflis (Georgien) und Riga (Lettland).
Teheran gilt als geopolitisch sehr wichtige Botschaft der Schweiz. Die Schweiz vertritt dort die Interessen der USA. Sie hatte im letzten Jahr eine wichtige Rolle dafür gespielt, dass der Konflikt zwischen den USA und dem Iran nicht eskalierte. Spitzendiplomaten wie Tim Guldimann und Livia Leu, die neue Staatssekretärin, waren schon Botschafter in Teheran.
Für Familien mit Kindern gilt der Iran allerdings als wenig attraktiver Posten. Und Yves Rossier hat fünf Kinder, die allerdings mindestens 16 Jahre alt sind. Der Bundesrat hat nun Christian Dussey zum neuen Botschafter im Iran ernannt. Dussey war Leiter des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik (GCSP).
Auch Dusseys Posten in Genf war Rossier angeboten worden. Nachdem er abgesagt hatte, erhielt Thomas Greminger den Job ab 1. Mai. Greminger ist ebenfalls ein Topdiplomat: Er war von 2017 bis 2020 Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Angeboten worden war Rossier zudem der Botschafterposten bei der Unesco in Paris.
Weshalb es zu keiner Einigung kam zwischen dem Spitzendiplomaten und dem EDA, ist unklar. Gemäss NZZ hatte sich Rossier unter anderem für den Botschafterposten in London interessiert. Die Hauptstadt Grossbritanniens ist nach dem EU-Austritt viel wichtiger geworden für die Schweizer Aussenpolitik. Neuer Botschafter in London wurde aber Markus Leitner, der bisher in Teheran stationiert war.
Der geborene Jurassier Rossier (60) gilt als unkonventioneller Schnelldenker, als blitzgescheit und dossierfest, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Er studierte an der Universität Freiburg, am Collège d’Europe in Brügge (Belgien) und an der McGill University in Montreal (Kanada) Jurisprudenz.
1990 trat er in den öffentlichen Dienst ein – zuerst als Rechtsberater im Integrationsbüro, der heutigen Direktion für europäische Angelegenheiten (DEA). Später wurde FDP-Mitglied Rossier persönlicher Berater der FDP-Bundesräte Jean-Pascal Delamuraz und Pascal Couchepin. Letzterer ernannte ihn 2004 zum Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherungen, das er bis 2012 leitete.
Der damalige Innenminister Didier Burkhalter nahm Rossier gleich mit, als er Ende 2011 ins EDA wechselte – als Staatssekretär. Mit Rossier wollte Burkhalter neuen Schwung in die festgefahrenen Verhandlungen mit der EU für ein institutionelles Rahmenabkommen bringen.
Rossier verhandelte mit seinem EU-Pendant David O’Sullivan ein sogenanntes «Non-Paper». Darin spielt der Europäische Gerichtshof (EuGH) jene Rolle, die heute für harte Kritik am Rahmenabkommen sorgt: Er soll in Streitfällen eine verbindliche Rechtsauslegung machen.
Rossier selbst sagte in einem Interview, das seien «fremde Richter». Er verlor nach und nach den Rückhalt des Gesamtbundesrats. Als die Regierung im August 2015 Jacques de Watteville zum Chefunterhändler mit der EU machte, bat der damalige Staatssekretär um die Versetzung auf einen Botschafterposten.
So kam Yves Rossier 2017 als Botschafter nach Moskau. Ausgebootet wurde damals die Russland-Expertin Marty Lang. Die studierte Sinologin war eigentlich als Missionschefin in Moskau vorgesehen, musste aber kurzfristig dem ehemaligen Staatssekretär den Vorrang lassen.