E-VOTING: «Es gibt immer ein kleines Restrisiko»

Der Präsident der Staatsschreiberkonferenz, Peter Grünenfelder, sieht im elektronischen Abstimmen eine Weiterentwicklung der Demokratie. Der grüne Nationalrat Balthasar Glättli warnt vor Sicherheitsrisiken.

Interview Lukas Leuzinger
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Sind sich in Sachen E-Voting nicht einig: der grüne Nationalrat Balthasar Glättli (links) und Peter Grünenfelder, Präsident der Staatsschreiberkonferenz. (Bild Nadia Schärli)

Sind sich in Sachen E-Voting nicht einig: der grüne Nationalrat Balthasar Glättli (links) und Peter Grünenfelder, Präsident der Staatsschreiberkonferenz. (Bild Nadia Schärli)

Nächsten Sonntag sind wieder Abstimmungen. Wir alle können unsere Stimme entweder an der Urne oder brieflich abgeben. Warum reicht Ihnen das nicht, Peter Grünenfelder?

Peter Grünenfelder: Wenn wir sicherstellen wollen, dass alle Stimmberechtigten ihre Rechte wahrnehmen können, müssen wir neben den bisherigen Kanälen auch die elektronische Stimmabgabe, sprich E-Voting, ermöglichen. Denn mit der brieflichen Stimmabgabe kommen die Stimmzettel vieler Auslandschweizer nicht rechtzeitig bei der Staatskanzlei an. Zudem garantiert E-Voting, dass die Stimme gültig abgegeben wird – was heute nicht immer der Fall ist. Bei den eidgenössischen Wahlen 2011 beispielsweise waren 3 Prozent der eingegangenen Wahlzettel ungültig.

Balthasar Glättli, erledigen Sie Einzahlungen heute noch am Postschalter?

Balthasar Glättli: Nein, allerdings muss ich sagen: Seit ich das elektronisch mache, brauche ich viel mehr Zeit dafür. (schmunzelt)

Wieso soll es denn nicht möglich sein, elektronisch zu wählen, wenn wir doch heute so viele Alltagsgeschäfte online erledigen?

Glättli: Ich bin kein fundamentaler Gegner von E-Voting – aber es gibt einen grundlegenden Unterschied dazwischen, Bankgeschäfte online zu tätigen und abzustimmen. Beim Abstimmen muss nicht nur sichergestellt sein, dass die Stimme richtig ankommt, sondern auch, dass das Stimmgeheimnis sichergestellt ist. Bei der Bank bin ich froh, wenn sie weiss, wer eine Überweisung gemacht hat. Beim elektronischen Abstimmen ist das Gegenteil der Fall: Es geht den Staat nichts an, wie ich abstimme. Ausserdem ist es sehr wichtig, dass das Vertrauen in ein Abstimmungsresultat gewährleistet ist. Wenn ein elektronisches System irgendwo eine Hintertür hat oder gehackt werden kann, besteht die Gefahr, dass das Ergebnis verfälscht wird.

Diese Gefahr besteht auch bei der Stimmabgabe per Post oder an der Urne.

Glättli: Natürlich, es ist schon heute möglich, z. B. einzelne Couverts aus dem Briefkasten zu fischen und die Stimme zu verändern. Beim elektronischen Wählen und Abstimmen kann jedoch mit sehr viel weniger Aufwand das Resultat im Grossen verändert werden. Hier brauchen wir wirklich 100 Prozent Sicherheit, dass das nicht passiert.

Grünenfelder: Balthasar Glättli ist für mich der personifizierte digitale Widerspruch: Er ist hochaktiv in den sozialen Medien, obwohl diese teilweise grosse Sicherheits­lücken aufweisen. Gleichzeitig fordert er für E-Voting 100-prozentige Sicherheit. Ich teile das Anliegen, dass die Sicherheit beim E-Voting das Allerwichtigste ist. Wir haben aber heute zahlreiche Hürden eingebaut, sowohl seitens der Kantone als auch des Bundes. Die Systeme der zweiten Generation erfüllen bereits heute die Bedingung der individuellen Verifizierbarkeit und werden weiterentwickelt zur universellen Verifizierbarkeit (siehe Box). Wir haben in der Schweiz bisher 214 pannenfreie Urnengänge mit E-Voting durchgeführt. Das ist ein Erfolgsausweis. Aber wir sind immer noch in der Pilotphase, und die Systeme werden weiter verbessert.

Vergangenen August versetzte der Bundesrat E-Voting in der Schweiz allerdings einen Rückschlag, als er dem System, das in neun Kantonen zum Einsatz kam, die Bewilligung verweigerte.

Grünenfelder: Ich halte diesen Entscheid nach wie vor für falsch. Das System hat die Anforderungen des Bundes aus unserer Sicht erfüllt. Zudem sind Unterbrüche beim E-Voting für das Vertrauen der Stimmbürger in diesen Abstimmungskanal weit gravierender als Hacker­angriffe; das zeigen auch wissenschaftliche Untersuchungen. Die digitale Revolution, die derzeit im Gang ist, erfordert einen pragmatischen Umgang. Wenn man 100 Prozent risikofreie Urnengänge verlangt, müssten auch das briefliche Abstimmen und das Abstimmen an der Urne verboten werden. Es gibt immer ein kleines Restrisiko – doch wir setzen alle Energie ein, dass das Risiko so nahe bei null liegt wie möglich.

Glättli: Aus meiner Sicht hat der Entscheid des Bundesrats das Vertrauen eher gestärkt. Er hat gezeigt, dass er das Motto «Sicherheit vor Tempo» ernst nimmt. Natürlich wäre es für die Benutzerakzeptanz womöglich besser gewesen, wenn man die Sicherheitslücke einfach unter den Teppich gekehrt hätte. Aber es ist notwendig, Probleme ehrlich zu benennen, wenn es Probleme gibt.

Grünenfelder: Derart auf die leichte Schulter nehmen sollte man diesen Entscheid nicht. In den Kantonen, die E-Voting bei den letzten Wahlen nicht mehr anbieten konnten, ging die Wahlbeteiligung bei den Auslandschweizern zum Teil massiv zurück.

Glättli: Meine Hauptkritik ist, dass man E-Voting ausdehnen will, obwohl nicht alle Systeme individuelle und universelle Verifizierbarkeit bieten und somit nicht auf dem neusten technischen Stand sind. Ich würde erwarten, dass man zuerst den Schritt macht zum sichereren System, bevor man E-Voting auf eine grössere Zahl von Stimmberechtigten ausdehnt.

Grünenfelder: Diese Systeme kommen bereits zum Einsatz. Die Frage ist: Wollen wir warten, bis alle Systeme auf dem maximalen Stand der Technik sind, und dann E-Voting flächendeckend einführen? Oder wollen wir schrittweise vorgehen, indem wir die Pilotphase sukzessive ausdehnen, zuerst auf die Auslandschweizer, dann auf die Stimmberechtigten im Inland?

Sie sehen E-Voting also nach wie vor als Erfolgsgeschichte?

Grünenfelder: Ich möchte daran erinnern: Nachdem man die briefliche Wahl eingeführt hat, dauerte es zehn Jahre, bis 50 Prozent der Stimmenden brieflich wählten. Beim E-Voting haben schon bei der ersten Abstimmung 50 Prozent der Stimmenden, denen dieser Kanal offenstand, elektronisch gewählt. Mittlerweile sind wir bei bis zu 70 Prozent. Wir leben in der digitalen Revolution. Die jungen Leute wachsen mit den elektronischen Medien auf. Hier darf der Staat nicht stehen bleiben.

Glättli: Es ist doch aufschlussreich, dass gerade Politiker und politische Kräfte, die besonders nahe an der digitalen Welt sind, etwa die Piratenpartei, jene sind, die E-Voting am skeptischsten gegenüberstehen. Sie sehen eben nicht nur das Potenzial der digitalen Welt, sondern auch die Risiken und Gefahren, die damit verbunden sind.

Grünenfelder: Wenn man Herrn Glättli zuhört, meint man, es gebe nur Schwierigkeiten und Risiken. Die elektronische Stimmabgabe bietet immense Chancen, und darüber wird kaum geredet. Aber die Kantone werden weitermachen. Heute reden wir über E-Voting, bald wird die Diskussion über die elektronische Unterschriftensammlung geführt werden. Unsere Demokratie muss und wird sich weiterentwickeln.

Viele Politiker erhoffen sich von E-Voting eine höhere Stimm- und Wahlbeteiligung. Wissenschaftliche Studien haben für die Schweiz und andere Länder jedoch keinen signifikanten Effekt gezeigt, sondern eher eine Verschiebung von anderen Kanälen zum E-Voting.

Grünenfelder: Bei den Auslandschweizern ist E-Voting sehr beliebt. Für die Stimmberechtigten im Inland gibt es noch keine ausreichenden Erfahrungswerte. Ich glaube aber nach wie vor, dass der elektronische Kanal geeignet ist, der jungen Generation die Demokratie näherzubringen. Es wird sicher nicht so sein, dass, wenn heute drei von zehn jungen Stimmbürgern regelmässig abstimmen, es mit E-Voting zehn von zehn sein werden. Aber es werden sicher nicht weniger sein, möglicherweise sogar etwas mehr.

Glättli: Beim E-Voting stellen sich auch staatspolitisch schwierige Fragen. Auf Facebook liest man schnell ein Argument und klickt auf «like». Ist es richtig, das Wählen und Abstimmen auf eine «Klickdemokratie» zu reduzieren? Ich finde es eigentlich richtig, wenn man als Stimmbürger drei Momente überlegen muss, bevor man seine Stimme abgibt.

Grünenfelder: Da muss ich dagegenhalten: Bei der elektronischen Stimmabgabe ist es nicht mit einem Klick getan. Es ist ein mehrminütiger staatsbürgerlicher Akt, einfach in elektronischer Form.

Wenn Sie am 28. Februar die Möglichkeit hätten, elektronisch abzustimmen, würden Sie davon Gebrauch machen?

Grünenfelder: Ja.

Glättli: Höchstens, um einmal zu schauen, wie das in der Praxis funktioniert. Wahrscheinlich würde ich aber aus reiner Bequemlichkeit meine Stimme weiterhin brieflich abgeben.

Hinweis

Peter Grünenfelder (49) ist Staatsschreiber des Kantons Aargau und Präsident der Schweizerischen Staatsschreiberkonferenz. Ab 1. April leitet er die Denkfabrik Avenir Suisse.

Balthasar Glättli (44) sitzt seit 2011 für die Zürcher Grünen im Nationalrat. Beruflich führt er eine Firma für Kampagnen und Webdesign.