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Der Menschenrechtsanwalt Robert Tibbo brachte Edward Snowden nach dessen NSA-Enthüllungen 2013 in Sicherheit. Jetzt berät er die Flüchtlingsfamilien, die den Whistleblower damals bei sich aufnahmen.
Robert Tibbo, Sie stehen in engem Kontakt mit Edward Snowden. Wie geht es ihm?
Es geht ihm gut, er ist sehr aktiv. Vor kurzem hat er eine Stiftung gegründet, um die Flüchtlingsfamilien zu unterstützen, die ihn in Hongkong nach den NSA-Enthüllungen bei sich aufnahmen.
Donald Trump hat seine Position gegenüber Whistleblowern sehr deutlich gemacht. Glauben Sie, dass Edward Snowden heute gefährdeter ist als zuvor?
Das glaube ich überhaupt nicht. Die russische Regierung hat Snowdens Visum im Januar um drei Jahre verlängert. Davor und danach hat es in den Medien jede Menge Spekulationen zu angeblichen Gesprächen zwischen der US-Regierung und Russland zur Causa Snowden gegeben. All diese Berichte sind jedoch äusserst vage und spekulativ. Aus Mister Snowdens Sicht gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass die russische Regierung ihre Verpflichtung, Mister Snowden bis ins Jahr 2020 das Aufenthaltsrecht zu garantieren, verletzen könnte.
Sie erwähnten die Flüchtlingsfamilien aus Sri Lanka, die Snowden im Juni 2013 bei sich aufnahmen, nachdem er gegenüber Journalisten des «Guardian» die Überwachungsmethoden der NSA offengelegt hatte. Wie sind Sie darauf gekommen, ihn dort zu verstecken?
Nun, Mister Snowden hat kein Gesetz gebrochen, er hat sich legal in Hongkong aufgehalten. Insofern ging es nicht darum, ihn zu verstecken. Zunächst war das Ziel, ihm etwas Privatsphäre zu ermöglichen. Wir wollten nicht, dass alle Welt in dieser Situation an Mister Snowdens Tür klopft. Ein zweites Thema war für uns die Historie der Beziehungen der Regierungen von Hongkong und den USA. Wir hatten Anlass zur Annahme, dass Mister Snowden plötzlich verschwinden könnte, sollten Mitarbeiter der US-Botschaft in Hongkong Kenntnis von seinem Aufenthaltsort haben. Ich habe also nach einem Ort bei Menschen gesucht, die Empathie für jemanden wie ihn aufbringen konnten. Ich habe schliesslich meine Mandanten – die beiden Flüchtlingsfamilien – gefragt, ob sie bereit wären, Mister Snowden zu helfen. Flüchtlinge sind in Hongkong eine extrem marginalisierte Gruppe, die sehr wenige Rechte geniesst. Meine Mandanten haben sehr schnell verstanden, dass sein Fall ein besonders schwerwiegender ist. Sie waren trotzdem bereit, ihn bei sich aufzunehmen.
Die Familien sehen sich Bedrohungen ausgesetzt. Sri-lankische Kriminalbeamte sollen in Hongkong nach ihnen gesucht haben, die Regierung Hongkongs setzt sie unter Druck. Wie ist der Stand ihres Asylverfahrens?
Wir haben zwei Asylanträge gestellt: einen in Hongkong und einen im kanadischen Montréal, wo ich selbst herkomme. In Hongkong sind die sieben Familienmitglieder massiven Risiken ausgesetzt, wie wir in den vergangenen Monaten mehrfach zu spüren bekamen. Seit letztem Jahr habe ich den Asylantrag in Kanada vorbereitet, Ende Januar haben wir den Antrag formal gestellt und die kanadische Regierung dazu aufgerufen, schnell zu einer Entscheidung zu kommen. Wir sind davon überzeugt, dass sie nicht in Hongkong bleiben können. Der Asylantrag, den wir dort gestellt haben, wird von der Regierung ignoriert. Bei einer Rückkehr nach Sri Lanka drohen ihnen Verfolgung, Folter, vielleicht sogar die Ermordung. Dass sie Edward Snowden geholfen haben, hat sie noch verletzlicher gemacht. Es handelt sich also um einen besonders dringlichen Fall.
Der kanadische Premierminister Justin Trudeau präsentiert sich nach aussen als äusserst flüchtlingsfreundlicher Regierungschef. Gehen Sie davon aus, dass die Familien in Kanada Asyl erhalten?
Die kanadische Immigrationspolitik ist sehr stark von einem Eintreten für das Recht auf Asyl für Verfolgte geprägt. Premierminister Justin Trudeau referiert in seinen Äusserungen also nur die kanadische Selbstverpflichtung, Schutzbedürftigen zu helfen. Ausgehend von Mister Trudeaus Stellungnahmen zur Flüchtlingspolitik gehe ich voll und ganz davon aus, dass er zu seinen Worten steht und den sieben betroffenen Familienmitgliedern den Schutz gewährt, den sie dringend benötigen.
Die USA könnten gereizt reagieren, sollte Kanada den Familien, die Edward Snowden halfen, Asyl gewähren.
Donald Trumps Regierung hat bereits sehr viel Schaden bei jenen angerichtet, die Asyl in den USA beantragt haben oder als Flüchtlinge in den USA leben. Ich gehe davon aus, dass die US-Regierung bereits alle Hände voll mit ihrer Flüchtlingspolitik zu tun hat und sich nicht mit dem Schicksal von sieben Einzelpersonen beschäftigen wird. Hinzu kommt, dass die Kanadier es nicht wertschätzen würden, wenn eine andere Regierung sich in die Belange Kanadas einmischt.
Interview: Isabelle Daniel
Hinweis
Vom 21. bis 23. März gastiert Robert Tibbo am Management Center Innsbruck. Am 24. März tritt er am Südtiroler Wirtschaftsforum in Brixen auf. Weitere Infos unter www.wirtschaftsforum.it