FERNSEHEN: «Wutausbrüche und Tränen gehören dazu»

Die wichtigste Politsendung des ­Schweizer Fernsehens feiert morgen ihr 20-jähriges Bestehen. Im Gespräch erklärt uns Erfinder Filippo Leutenegger, was die «Arena» bewirkt hat – und was er sich für die Zukunft der Sendung wünscht.

Interview Sasa Rasic
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Jubiläum vor 17 Jahren: Sendungsleiter Filippo Leutenegger 1996 bei der 100. Ausgabe der «Arena».

Jubiläum vor 17 Jahren: Sendungsleiter Filippo Leutenegger 1996 bei der 100. Ausgabe der «Arena».

Filippo Leutenegger, die «Arena» hat die politische Diskussion im Land nachhaltig geprägt. Was sind die Gründe dafür?

Filippo Leutenegger: Als Journalist haben mich die von der Konkordanz geprägten Diskussionen der Vorgängersendung «Freitagsrunde» genervt. Dies hat nicht der realen Diskussion entsprochen. Die Parteien waren in der Schweiz nie derart wichtig, wie sie dargestellt wurden. Deshalb habe ich schon in der «Freitagsrunde» begonnen, Interessengruppen sowie Wirtschafts- und Kantonsvertreter einzuladen. Diese sind zum Teil wichtiger für den Meinungsbildungsprozess. Bei vielschichtigen Themen wie der Alpeninitiative oder den Bilateralen Verträgen sind ja nicht nur die Parteien vertreten.

Das hat gereicht, um immer wieder horrende Marktanteile zu erreichen?

Leutenegger: Wir haben nicht nur mit reiner Konkordanzdiskussion aufgehört. Wie jeder gute Journalist wollte ich hinter die Kulissen blicken. Deshalb haben wir die Macher eingeladen. Die Politiker sollten nicht nur sagen, was sie einstudiert haben, sondern ich wollte ihnen entlocken, was sie wirklich denken und meinen. Zudem war es bei Abstimmungsthemen ganz klar, dass am Schluss der Sendung klare Meinungen stehen: Ja oder Nein, wie auf dem Abstimmungszettel.

Die Quote der Sendung ist im Sinkflug. Hat sich das Format überlebt?

Leutenegger: Die Reichweite nimmt aufgrund des Internets für alle Formate ab. Die Abnahme des Marktanteils ist da Besorgnis erregender. Das Format muss konsequent mit einem Konzept fahren, welches das reale Abbild der Politik fesselnd und spannend abbildet.

Muss sich in Zukunft etwas an der Sendung ändern?

Leutengger: Die «Arena» ist ganz klar zukunftstauglich. Aber man muss die Emotionen auch weiter zulassen. Wutausbrüche und Tränen gehören dazu. Ich erinnere mich, als SVP-Bundesrat Adolf Ogi die SP-Nationalrätin Barbara Haering Binder mit seinem väterlichen Ton provozierte. Als sie von mir forderte, zu intervenieren, habe ich das nicht gemacht. Die Teilnehmer können sich ja selber wehren. Nur bei Kraftausdrücken habe ich interveniert. Für die Moderatoren ist es immer schwierig, derartige Vorgänge laufen zu lassen, da man Angst hat, dass es aus dem Ruder läuft. Oft flüchtet man sich dann in die klassische Interviewform, was die Diskussion hemmt und die Teilnehmer dazu verleitet, vorbereitete Statements abzugeben. Mit überraschenden Fragen holt man hingegen oft sehr viel mehr heraus.

Wie ist man überhaupt auf das Konzept einer «Arena» gekommen?

Leutenegger: Mit Regisseur Helmi Heim habe ich beschlossen, Zuschauerplätze im Studio einzurichten. Denn dort rumort es und wird spannend. Der Name «Arena» war naheliegend, da ich in Rom aufgewachsen bin, nur einen Kilometer vom Kolosseum entfernt, der grössten Arena überhaupt. Diesen Namen habe ich damals der Chefredaktion vorgeschlagen.

Wie haben Sie die Aufregung nach der Ausstrahlung des Formats erlebt?

Leutenegger: Das haben auch die Romands und Tessiner gesehen. Plötzlich zeigte sich, dass wir Deutschschweizer nicht nur bedächtige Diskussionen führen, sondern auch mit feu sacré debattieren können. Auf einmal gab es Emotionen bei politischen Diskussionen. Die Politik besteht ja auch aus Charakteren, die plötzlich emotional und damit sehr ehrlich wurden. Dies konnten wir dann im Fernsehen zeigen. Die Zuschauer merkten, dass wir nicht nur schablonenartige Debatten veranstalteten. Das Vorgängerformat hatte Marktanteile von 14 bis 15 Prozent. Wir haben diese Werte pulverisiert.

Das Format provozierte aber auch heftige Kritik. Die Politik werde personalisiert und auf Konflikte zugespitzt. Zudem sei die SVP viel öfter als andere eingeladen worden ...

Leutenegger: Das stimmt schlicht nicht. Wir haben peinlich genau darauf geachtet, dass etwa die SP mindestens gleich oft eingeladen wird. Was aber stimmt: Wir haben möglichst Personen mit einer klaren Meinung eingeladen, wie etwa Peter Bodenmann, den ehemaligen Chef der SP, oder Christoph Blocher. Kritik an der «Arena» gab es oft seitens der CVP. Doch sie hatten nicht immer eine klare Haltung oder parteiintern zu viele Meinungen. Da hatten Parteien wie SVP, SP und Grüne halt Vorteile. Zudem darf man nicht vergessen, dass die «Arena» der Deutschschweiz gut getan hat. Die Beteiligung an Abstimmungen hat nach 1992 zugenommen, vielleicht auch ein bisschen wegen der «Arena».

War es zu Beginn nicht schwierig, Politiker für derart konfrontative Debatten zu gewinnen?

Leutenegger: Doch, das war es. Wir sind ein grosses Risiko eingegangen, als wir das dialektische Prinzip der Debatte vor das Konkordanzdenken gestellt haben. Geholfen hat mir dabei der verstorbene SP-Bundesrat Otto Stich. Er sagte mir, dass die «Arena» der einzige Ort sei, in dem er seine Meinung ungeschnitten über die Medien bekannt geben kann. Das war unter anderem der Durchbruch für unsere Glaubwürdigkeit. Wir waren die ersten, die Bundesräte für derartige Debatten ins Fernsehen eingeladen haben. Das passte natürlich nicht allen. Nach seinem Rücktritt hat Stich mir mal gesagt, dass es sogar einen Antrag im Bundesrat gegeben habe, der den Bundesräten den Auftritt in der Arena nicht erlauben solle.

Welche Sendungen werden Ihnen besonders in Erinnerung bleiben?

Leutenegger: Schwierig zu sagen, es waren so viele. Sicher die emotionale Debatte über die Alpeninitiative. Aber die Wortduelle zwischen Christoph Blocher und Peter Bodenmann, etwa zu Europa, waren zweifellos auch Highlights.

Sie sind heute FDP-Nationalrat. War es damals nicht schwierig, bei hitzigen Debatten die eigene politische Meinung abzulegen?

Leutenegger: Ich habe publizistisch gedacht. Ich war immer Journalist und bin es im Herzen auch heute noch. Mich hat es brennend interessiert, wie die Politwelt hinter den Kulissen wirklich aussieht, und deshalb hat meine persönliche Meinung in der Sendung kaum je eine Rolle gespielt. Ich habe mich sogar überlistet, um meine Unabhängigkeit zu bewahren, indem ich jeweils erst um 11.45 Uhr, knapp vor Urnenschluss, meine Stimme abgegeben habe.

Könnten Sie sich ein «Arena»-Comeback vorstellen?

Leutenegger: Nein. Ich habe mich nach meiner Zeit nie mehr eingemischt, auch wenn die Sendung mein Baby war. Meine Zeit habe ich genossen, aber ich habe nun andere Aufgaben, und meine Nachfolger sollen jetzt ihre eigenen Ideen umsetzen.

Filippo Leutenegger (60) gilt als Erfinder der «Arena» und war von 1993 bis 2001 erster Leiter der Sendung. Von 1998 bis 2002 war er Chefredaktor des Schweizer Fernsehens. Seit 2003 ist er Zürcher FDP-Nationalrat. Der Unternehmer (Zeitschriftenverlag neue-ideen.ch) hat sich als Sanierer des einst defizitären Medienunter- nehmens Jean Frey einen Namen gemacht und sitzt im Verwaltungsrat der «Basler Zeitung». Leutenegger wohnt in Zürich, ist verheiratet und Vater von fünf Kindern.

«Politiker wollen auch heute noch in die Sendung»

Die Polit-Talkshow «Arena» ging am 27. August 1993 erstmals auf Sendung. Seither läuft sie jeweils freitagabends auf SRF 1 (vormals SF 1). Keine Ausgabe in der 20-jährigen Historie hatte so viele Zuschauer wie diejenige vom 16. Mai 2008, als es um die Einbürgerungsinitiative ging und der soeben abgewählte Bundesrat Christoph Blocher auf Eveline Widmer-Schlumpf traf (810 000). Den höchsten Marktanteil, nämlich 60,9 Prozent, verzeichnete die Sendung, in der es um das Swissair-Debakel ging, ausgestrahlt am 5. Oktober 2001. Zu den zehn meistgesehenen «Arena»-Sendungen gehörte auch die Ausgabe vom 4. Februar 1994 zum Thema Alpeninitiative mit 535 000 Zuschauern und 31 Prozent Marktanteil.

Veränderte Mediennutzung

Marianne Gilgen, seit April 2008 Redaktionsleiterin der «Arena», ist mit der Sendung zufrieden – auch wenn die Zuschauerzahlen in den letzten fünf Jahren stetig gesunken sind. «Man muss in der Diskussion um Quoten und Marktanteil berücksichtigen, dass sich die Mediennutzung in den letzten Jahren drastisch verändert hat. Immer mehr Leute schauen sich Sendungen am Computer, auf Tablet-PCs oder Smartphones an, was die Erhebung erschwert. Zudem muss man auch bedenken, dass die meisten Schweizer Haushalte 1996, als die Sendung ihre Top-Quoten verzeichnete, vielleicht ein Dutzend Fernsehsender empfangen konnten. Heute sind es 200.» Mit dem derzeitigen Marktanteil von rund 20 Prozent kann Gilgen gut leben. «Man muss sich vor Augen führen, dass am Freitagabend noch immer jeder fünfte Schweizer, der vor dem Fernseher sitzt, eine eineinhalbstündige Hardcore-Politsendung verfolgt – das schafft keine andere Diskussionssendung im deutschsprachigen Raum.»

Nicht an Attraktivität eingebüsst

Auch die Kritik, wonach es früher in der «Arena» unterhaltsamer zu und her ging und sich die Politiker im Oval mehr fetzten, lässt Gilgen nicht gelten. «Wir haben zum Anlass der morgigen Jubiläumssendung zum wiederholten Mal Highlights aus den vergangenen Jahren zusammengetragen – und dabei festgestellt, dass es bei jedem Moderator und jeder Moderatorin immer wieder emotionale und höchst unterhaltsame Momente gab.» Auch an Attraktivität für die Studiogäste habe die Sendung nicht eingebüsst. «Glauben Sie mir, die Politiker wollen auch heute noch in die Sendungen und sagen dafür wichtige Termine ab. Und sie sind – genau wie früher – immer noch hässig, wenn sie kommen möchten, es in der Sendung aber keinen Platz mehr gibt.»

Blocher debattiert mit Roth

Morgen um 22.25 Uhr strahlt das Schweizer Fernsehen eine Sondersendung zum 20-jährigen Bestehen der «Arena» aus. Alle bisherigen «Arena»-Moderatoren werfen den Blick zurück auf die heissesten Themen der beiden vergangenen Jahrzehnte. Bei Filippo Leutenegger etwa diskutieren Christoph Blocher (SVP) und Juso-Präsident David Roth über das Verhältnis der Schweiz zu Europa.