Bundesrats-Nachfolge: Frauenfrage oder Männerproblem?

Die Doppelvakanz in der Regierung lässt vor allem CVP-Männer wieder hoffen – Politiker fast aller Couleur fürchten aber um die Frauenvertretung im Bundesrat.

Sven Altermatt
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Elisabeth Kopp (hier nach ihrer Wahl) war die erste weibliche Bundesrätin – und die bisher einzige FDP-Frau in der Landesregierung. (Bild: Archivbild: Keystone (Bern, 2. Oktober 1984)

Elisabeth Kopp (hier nach ihrer Wahl) war die erste weibliche Bundesrätin – und die bisher einzige FDP-Frau in der Landesregierung. (Bild: Archivbild: Keystone (Bern, 2. Oktober 1984)

Am Ende der Woche, in der gleich zwei Bundesräte ihren Rücktritt bekanntgegeben haben und das Land über mögliche Nachfolger diskutiert, will Maya Graf zuerst etwas klarstellen: «Man sollte endlich aufhören, von einer Frauenfrage zu sprechen.» Wenn schon, müsse man von einem Männerproblem sprechen, sagt die grüne Nationalrätin und Co-Präsidentin des Frauenverbandes Alliance F. «Aber auch das ist nicht wirklich zielführend. Denn es geht um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, um etwas Selbstverständliches: Auch die weibliche Hälfte der Bevölkerung soll überall angemessen in das politische System eingebunden werden.»

Im Dezember wählt das Parlament die Nachfolger von CVP-Umweltministerin Doris Leuthard und FDP-Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann. Die möglichen Folgen: Vielleicht hat die Schweiz bald wieder drei Bundesrätinnen, vielleicht zwei, vielleicht bloss noch eine. Dass mit SP-Justizministerin Simonetta Sommaruga künftig nur eine weibliche Vertreterin in der Regierung sitzen wird, gilt immerhin als unwahrscheinlich. Gestern hat auch die CVP-Spitze formell bestätigt, dass sie mindestens eine Frau auf ihr Ticket setzen will.

Unabhängig davon bekommt das Parlament mit der Doppelvakanz mehr Möglichkeiten bezüglich Profil, Herkunft und Geschlecht. Was das für die Frauenvertretung im Bundesrat bedeuten könnte, lässt sich derzeit eindrücklich beobachten: Kaum war bekannt geworden, dass auch Leuthard bereits dieses Jahr abtreten wird, brachten sich CVP-Männer in Stellung.

Gemurmel im Bundeshaus

Noch ist niemand offiziell vorgeprescht. Hinter vorgehaltener Hand jedoch atmen nicht wenige Christlichdemokraten auf. Ihnen kann es nur recht sein, dass die St. Galler Ständerätin Karin Keller-Sutter bei der FDP klar in der Favoritenrolle ist. «Wäre der Sitz von Doris Leuthard allein zur Disposition gestanden, hätte dieser fast zwingend mit einer Frau besetzt werden müssen», sagt ein CVP-Parlamentarier, der nicht namentlich zitiert werden will. «Jetzt hat sich unser Feld geöffnet, der faktische Frauenzwang fällt weg.»

Für Gemurmel im Bundeshaus sorgte gestern der Obwaldner CVP-Ständerat Erich Ettlin, der selbst als Bundesratskandidat gehandelt wird. Die «Bringschuld in der Frauenfrage» liege primär bei der FDP, liess er sich in den Tamedia-Zeitungen zitieren. Maya Graf bezeichnet solche Äusserungen als entlarvend. «Sie zeigen, dass manche nicht begriffen haben, worum es geht.» Seit der Einführung des Frauenstimmrechts im Jahr 1971 haben es sieben Frauen in den Bundesrat geschafft. Im Jahr 2010 waren die Frauen erstmals kurzzeitig in der Mehrheit. Heute beträgt ihr Anteil in der Regierung noch 28,6 Prozent. An Forderungen für eine angemessene Vertretung der Geschlechter mangelt es denn auch nicht. Nach den beiden Rücktritten sind zuerst die Grünen vorgeprescht. Man wünsche sich zwei Frauentickets, so ihr Fraktionschef Balthasar Glättli. Diese Position vertritt auch BDP-Präsident Martin Landolt.

Keller-Sutter für Zweierticket

FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter ist die Topfavoritin für die Nachfolge von Johann Schneider-Ammann. Selbst SVP-Nationalrat Toni Brunner sagt: «Der Penalty liegt bereit. Sie muss ihn nur noch verwerten.» Das überrascht. Das Verhältnis der beiden gilt als belastet. 2010 hatte Brunner als St. Galler bei der Bundesratswahl nicht für die St. Gallerin Keller-Sutter gestimmt, sondern für den SVP-Kandidaten Jean-François Rime. «Das hatte nur einen Grund», sagt Brunner. «Die SVP hatte damals fast doppelt so viele Wähleranteile wie die FDP, aber nur einen Bundesrat.» Brunner betont, er habe «nie Animositäten gegen Frau Keller-Sutter» gehabt. Keller-Sutter wiederum äussert sich auf Anfrage zur Vermutung, sie kandidiere nur, wenn man ihr ein Einerticket zugestehe, eindeutig: «Ich kenne die Spielregeln. Das Parlament will immer eine Auswahl», sagt sie. (att)

Noch weiter gehen die SP-Frauen, aus deren Sicht drei Frauen im Bundesrat «das absolute Minimum» sind. Bei den Freisinnigen – mit Elisabeth Kopp erst einmal mit einer Frau im Bundesrat vertreten – kommt der Druck derweil mehr denn je aus den eigenen Reihen. Die Präsidentin der FDP-Frauen, Doris Fiala, verlangt unermüdlich: «Unsere Partei braucht ein doppeltes Frauenticket, damit bei der Wahl nichts anbrennt.»

Eine, die sich über solche Ankündigungen nervt, ist SVP-Nationalrätin Natalie Rickli. Sie kann dem Wunsch nach reinen Frauentickets nichts abgewinnen. In einem Tweet sprach sie diese Woche gar von einem «Gender-Wahn im Schweizer Parlament». Und selbst die abtretende Doris Leuthard scheint die Sache nicht ganz so streng zu sehen. Auch wenn sie sich mehr Frauen im Bundesrat wünsche, zähle am Ende vor allem die Persönlichkeit der Kandidatinnen und Kandidaten, erklärte die Magistratin anlässlich ihrer Rücktrittsankündigung.

Streit um «Frauenquote light»

Gleich von einem neuen Geschlechterkampf mag niemand sprechen. So oder so wird sich das Parlament aber über die Ersatzwahl hinaus mit der Geschlechterfrage im Bundesrat beschäftigen müssen: Geht es nach einer Mehrheit des Ständerats, soll die Vertretung der Geschlechter in der Regierung rechtlich geregelt werden. Im Frühjahr dieses Jahres hat sich die kleine Kammer knapp für eine entsprechende Initiative des Neuenburger FDP-Ständerats Raphaël Comte ausgesprochen. Der Nationalrat wird sich voraussichtlich erst Anfang 2019 damit befassen.

Der FDP-Mann will keine starren Quoten. Vielmehr verlangt er, dass eine «angemessene Vertretung» der Geschlechter in der Verfassung festgeschrieben wird; analog zur Vertretung der Landesgegenden und den Sprachregionen. Die Handlungsfreiheit werde dadurch nicht eingeschränkt, gab sich Comte in der Ratsdebatte überzeugt: Vorübergehende Schwankungen bei der Zusammensetzung des Bundesrats würden sich wohl nie verhindern lassen. «Wir müssen die Dinge allerdings auf lange Sicht betrachten. Und auf lange Sicht müssen wir die Ausgewogenheit bewahren.»