Aviatikexperte Sepp Moser zum Flugzeugunglück bei Flims: «Für mich ist das ein grosses Rätsel»

Der Aviatikexperte Sepp Moser sagt, wieso er sofort wieder in eine «Tante Ju» einsteigen würde. Der Absturz im Bündnerland hinterlasse ihn ratlos, vor allem, weil das Flugzeug fast senkrecht zu Boden krachte.

Interview: Samuel Schumacher
Drucken
Die «Tante Ju» ist Teil der Schweizer Geschichte. (Bild: Ju-Air)

Die «Tante Ju» ist Teil der Schweizer Geschichte. (Bild: Ju-Air)

Aviatikexperte Sepp Moser schliesst ­Absicht als Unfallursache aus, menschliches Versagen aber nicht. Er würde trotzdem wieder in die JU-52 einsteigen. Der Aargauer schreibt als Experte über Luftfahrtthemen. Als Pilot sitzt er selber gelegentlich im Cockpit eines Kleinflugzeuges. Mit den Maschinen der JU-Air ist er schon als Passagier mitgeflogen. 1982 hat er im Rahmen der Rettungsaktion der ausgemusterten JU-52-Flieger das Buch «Flieg weiter, JU-52!» geschrieben.

Sepp Moser, am vergangenen Hitzewochenende stürzten in der Schweiz gleich zwei Flugzeuge ab. Zufall, oder spielten die heissen Temperaturen eine Rolle?

Ich fliege selber ein kleines einmotoriges Flugzeug für zwei Personen und wäre am Wochenende niemals in die Hochalpen geflogen, weil ich weiss, dass mein Flugzeug bei der Hitze zu wenig Kraft dafür hätte. Heisse Luft ist dünner als kalte, entsprechend müssen Flugzeugmotoren mehr leisten, je höher die Temperatur liegt. Das wussten die beiden JU-52-­Piloten aber auch, und ich zweifle keine Sekunde daran, dass sie das bei der Flugplanung berücksichtigt haben.

Die abgestürzte JU-52 wurde regelmässig gewartet. Laut Polizeiangaben hat das Flugzeug zudem weder gebrannt, noch ist es in der Luft auseinandergebrochen. Die Annahme liegt nahe, dass als Ursache nur ein Pilotenfehler in Frage kommt.

Das ist zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation. Ich zweifle überhaupt nicht daran, dass die beiden JU-52-Piloten alle nötigen Vorkehrungen getroffen haben. Das waren Vollprofis.

Ein Experte meinte, 95 Prozent der Flugunfälle im Gebirge seien auf menschliche Fehler zurückzu­führen.

Das stimmt, heisst aber nicht, dass das auch beim aktuellen Unfall so war. Aber es ist schon so: Jeder Mensch kann Fehler machen. Das ist wie beim Autofahren: Selbst den erfahrensten Chauffeuren können Unaufmerksamkeiten unterlaufen.

Beide Piloten waren Ex-Luftwaffenpiloten und flogen grosse Linienflieger. Wie wichtig ist diese Erfahrung für JU-52-Flüge überhaupt?

Sie ist sehr wichtig. Das Wichtigste ist aus meiner Sicht die Erfahrung als Militärpilot. Diese fliegen wie die JU-52-­Piloten nach Sicht, sehr oft in den Bergen und dort nah am Gelände entlang. Ein erfahrener Militärpilot kennt sozusagen jeden Felszacken und weiss genau, wo es Turbulenzen geben kann.

Die JU-52 hatte keine eingebauten Aufzeichnungsgeräte. Die Absturzursache wird daher schwierig zu ermitteln sein. Gibt es eine plausible Erklärung für das, was passiert ist?

Für mich ist das ein grosses Rätsel. Vor allem, weil das Flugzeug offenbar beinahe senkrecht in den Boden krachte. Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, was da passiert sein könnte.

Einer der Piloten hätte das Flugzeug absichtlich zum Absturz bringen können.

Das können Sie vergessen! Kein Pilot bringt sich und 19 andere um, ausser, er ist psychisch gestört wie der Germanwings-Pilot, der 2015 einen Airbus zum Absturz brachte. Er hatte damals seinen Kapitän aus dem Cockpit ausgesperrt. Das wäre bei der JU-52 nicht möglich. Da kann jeder jederzeit ins Cockpit rein.

Die Ermittlungen werden laut der zuständigen Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle sehr kompliziert. Wie geht man nach einem solchen Unfall vor?

Eigentlich ähnlich wie nach einem Verbrechen. Mit kriminalistischen Methoden kann man den Unfallhergang meist sehr gut rekonstruieren. Man wertet die Trümmer aus, sucht nach Augenzeugen, etwa in der Berghütte nahe der Unfallstelle, analysiert die Wetterlage und setzt auch auf forensische Daten. Das Blut der Verstorbenen kann zum Beispiel Aufschluss darüber geben, ob der Absturz für sie überraschend kam oder ob sie länger Angst erlitten haben.

Wann wird man wissen, was genau passiert ist?

Das kann zwei Monate dauern oder zwei Jahre. Das kann man unmöglich sagen.

Würden Sie je wieder in eine JU-52 steigen?

Sofort. Ich würde schon heute wieder einsteigen. Ich habe mehrmals als Passagier mitfliegen dürfen. Das rumpelt und ruckelt gewaltig. Man fühlt sich wie in einer Dampflok, die durch die Luft fliegt. Bequem ist es nicht, aber unvergesslich – und sicher nicht gefährlicher als eine kurze Fahrt mit dem Auto.