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Schweiz
Der Rücktritt des Armeechefs Philippe Rebord hat Nachfolgespekulationen ausgelöst. Der oberste Schweizer Milizoffizier Stefan Holenstein erklärt, warum geeignete Kandidaten rar sind und wieso der Chefposten eigentlich nur temporär besetzt werden sollte.
Stefan Holenstein: Als stellvertretender CdA gehört er automatisch zum Kandidatenkreis. Dieser ist klein, weshalb die Schweizerische Offiziersgesellschaft SOG die Auffassung von Bundesrätin Viola Amherd teilt, wonach man den Kreis breit öffnen kann. Vermutlich wird dennoch einer der gut 50 höheren Stabsoffiziere das Rennen machen, weil diese als Insider über das nötige Know-how verfügen.
Ich kann nicht für die Chefin des VBS sprechen. Gegen ihn spricht sein Alter. Als jetzt 60-Jähriger wäre er einmal mehr eine Übergangslösung. Jetzt braucht es aber eine stabile, längerfristige Lösung, weil enorm wichtige Projekte anstehen. Somit hat er weniger gute Karten.
Stefan Holenstein (57), Jurist und Oberst im Generalstab, präsidiert seit 2016 die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG).
Diese sind oft Spezialisten in ihrem eigenen Bereich, etwa in der Armeeplanung oder in einer Waffengattung. Der Chef der Armee hingegen ist ein Allrounder. Zudem liegt die Messlatte sehr hoch.
Es muss jemand sein, der die Armee glaubwürdig verkörpert. Eine teamfähige, führungsstarke Integrationsfigur, welche die ganze Schweiz repräsentieren kann. Er muss über ausgeprägte Kommunikationsfähigkeiten verfügen, aber auch über eine äusserst gute Dialogfähigkeit und Akzeptanz sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Armee. Mit den Politikern, den Kantonen und den Milizverbänden muss er ebenso kommunizieren können wie mit der Verwaltung und mit den höheren Stabsoffizieren, die er nebenbei noch führen muss, und natürlich auch mit den rund 2000 Berufsoffizieren. All diese Eigenschaften bringen naturgemäss die wenigsten mit.
Die Anforderungen sind wirklich dermassen hoch, dass einer allein sie nicht samt und sonders erfüllen kann. Der eine hat seine Stärken eher in der Kommunikation als der Führung mit harter Hand, dem anderen fehlt es an der angemessenen Dialogfähigkeit mit der Politik. Jeder hat seine spezifischen Eigenschaften und Charaktermerkmale, die aber den Kurs der Armee entscheidend mitbeeinflussen können. Wohl gilt für den CdA das Primat der Politik, und er ist in die Bundesverwaltung eingebunden. Es ist aber immer ein gewisses Risiko, wenn sich fast alles und jedes auf eine einzige Person zentriert.
Eingeführt wurde das Amt des CdA mit der Armee XXI, als die Armee zentralisiert und die Macht der Kantone beschnitten wurde. Zuvor hatten wir ein dezentrales System mit dem Generalstabschef als «Primus inter Pares» in der Kommission für Militärische Landesverteidigung, der alle Kommandanten grosser Verbände angehörten, was dem typisch schweizerischen Konkordanzsystem sehr gut entsprochen hatte. Inzwischen hat man mit der «Weiterentwicklung der Armee» WEA wieder etwas regionalisiert, in der Führung aber mit der Kopfstruktur bewusst am zentralen Modell festgehalten.
Ja, noch vor meiner Zeit als SOG-Präsident war die Kopfstruktur in der Miliz umstritten, zumal man damit die Luftwaffe und das Heer herabstufte und ein überdimensioniertes Kommando Operationen zwischenschaltete. Weil die SOG aber die WEA ansonsten mittrug, lenkten wir am Ende ein und stellten uns auf den Standpunkt: Lassen wir die Reform samt Struktur mal anlaufen und analysieren erst aufgrund der damit gesammelten Erfahrungen, ob man die Armeeführung nicht wieder ein bisschen breiter abstützen sollte. Das würde bedeuten, dass ein CdA künftig eine weniger starke Rolle hätte.
Sicher ist es legitim, darüber zu diskutieren, zumal man sieht, dass die Personaldecke nach oben sehr dünn ist und eine neue Departementschefin das VBS übernommen hat, die sich die Zeit und Mühe nimmt, vieles zu hinterfragen. Die SOG will da aber keinen Druck ausüben, um keine zusätzliche Baustelle zu schaffen. Schliesslich haben wir momentan mehr als genügend wichtige Projekte. Das Thema ist aber nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.
Nein, momentan haben wir das System des «Unternehmens Armee», das sich an die Privatwirtschaft mit einem starken, exponierten CEO anlehnt, mit allen Vor- und Nachteilen. Das entspricht zwar nicht unbedingt dem föderalen, ausgleichenden, kompromissfähigen Prinzip, das in der Schweiz sonst fast überall gilt. Wenn sich die Führung auf eine Person konzentriert, gibt es jedoch auch einen klaren Entscheidungsweg und weniger Schnittstellen-Gerangel.
Ja, aber in der Armee spielt die Kontrolle wegen den politischen Abhängigkeiten besser als in der Privatwirtschaft. Nicht nur die Politik muss den CdA kontrollieren. Auch die Milizorganisationen stehen in der Pflicht, ihn zu begleiten. Der Chef der Armee ist kein Sonnenkönig.
Als SOG-Präsident kann ich dazu nur sagen, dass die Amtsdauer eine zentrale Rolle spielt. Ein CdA sollte nicht zu lang auf seinem Posten bleiben. Bei uns in der Offiziersgesellschaft haben wir eine Amtszeitbeschränkung von fünf Jahren, nicht nur wegen des föderalen Prinzips, sondern auch wegen der ziemlich exponierten Position des SOG-Präsidenten, der – ähnlich wie der CdA für die Armee – für alles, was die Miliz betrifft, den Kopf hinhalten muss. Klar, das Amt des SOG-Präsidenten ist inhaltlich nicht mit demjenigen des CdA zu vergleichen. Ebenso wenig will ich eine Amtszeitbeschränkung des Letzteren fordern. Aber man könnte die Amtszeit des Chefs der Armee projektbezogen, also zeitlich fixiert definieren, damit er nicht in seinem Amt sitzenbleibt.
Er sollte ein, zwei Projekte durchziehen und dann abtreten. Der kommende CdA zum Beispiel könnte die Armeereform WEA bis 2022 abschliessen und das Projekt Air 2030 – also die Erneuerung der Luftverteidigung – einfädeln. Dann wäre es wieder Zeit für eine Ablösung.
Ja, das könnte ich mir vorstellen. Innert fünf Jahren sollte ein CdA einiges bewegen können.
(Zögert lange) Ich kann noch keine Namen nennen, da die Kriterien vielfältig sind und die Messlatte wie gesagt sehr hoch liegt. Nur so viel: Weil es der Beste sein sollte, wäre es gut, wenn die Findungskommission möglichst breit aufgestellt wäre und Frau Amherd auch die Meinung externer Stellen, zum Beispiel der Miliz, einholen würde.
Bei den höheren Dienstgraden ab Brigadier spielt der politische Aspekt im weitesten Sinn eine entscheidende Rolle für eine Wahl und Beförderung. Da üben etwa die Kantone einen gewissen Einfluss aus, und es geht oft auch um die Frage, ob die betreffende Person in das Umfeld passt, welches vom Chef geprägt wird. Gewisse Personalentscheide darf man tatsächlich hinterfragen – in der Armee nicht anders als in der Wirtschaft.
Es gibt Fälle, bei denen man sich mit Fug und Recht fragen kann, aufgrund welcher Kriterien da entschieden wurde, warum ausgerechnet dieser oder jener befördert wurde und warum vor allem auch gute Leute nicht weitergekommen und auf der Strecke geblieben sind.