Sie ist erst die zweite Frau aus der Schweiz, die zur UNO-Sonderbeauftragten ernannt worden ist. Christine Schraner Burgener soll den Konflikt in Myanmar lösen.
Christine Schraner Burgener fährt mit dem Velo vor. Sonst fliegt die 55-Jährige meistens zu ihren Terminen. In Myanmar soll die Schweizerin, die in Bern lebt, im UNO-Auftrag für Frieden sorgen. Eine unlösbare Aufgabe, sagen die einen. Das motiviere sie umso mehr, sagt die Diplomatin.
Christine Schraner Burgener, Ihr altes Handy ist gehackt worden. Wie haben Sie das gemerkt?
Ich habe eine Mail auf Deutsch geschrieben, doch die Nachricht kam in einer völlig anderen Sprache an. Als ich in New York war, ging ich zum IT-Spezialisten im UNO-Hauptquartier. Er riet mir, das Handy und die Nummer auszutauschen. Das schützt aber nur bis zum nächsten Angriff. Deshalb mache ich den Hackern das Leben schwer, indem ich meiner Schweizer Mitarbeiterin gewisse Dinge auf Schweizerdeutsch schreibe.
Ihr Vorgesetzter ist UNO-Generalsekretär António Guterres. Wie lautet Ihr konkreter Auftrag als seine Sonderbeauftragte für Myanmar?
Das Mandat umfasst den Friedensprozess mit allen bewaffneten ethnischen Minderheiten, die Demokratisierung des Landes und die Wahrung der Menschenrechte. Oberste Wichtigkeit für mich hat die Region Rakhine, aus der eine Million Menschen, vorwiegend Muslime, nach Bangladesh geflüchtet sind. Sie müssen so rasch wie möglich zurückkehren können. In Sicherheit, Würde und freiwillig. Das geht nur, wenn sie nicht diskriminiert werden – was besonders die Bewegungsfreiheit betrifft. Das ist die Knacknuss in den Verhandlungen.
Myanmar hat der UNO-Sonderberichterstatterin des Menschenrechtsrates nach kritischen Äusserungen die Einreise verboten. Haben Sie freien Zugang überallhin?
Bisher sind die Burmesen extrem zuvorkommend. Sie lassen mich überall hinreisen, vermitteln mir Kontakte und zeigen sich offen. Ein Grund ist wohl, dass ich sehr selten Interviews gebe und Details meiner Arbeit so vertraulich wie möglich behandle. Hinter verschlossenen Türen sage ich den Burmesen aber alles und kritisiere sie auch. Das mache ich auf die asiatische Art, nicht so direkt, ohne sie zu beleidigen.
Wie sind Sie lokal unterwegs?
Als UNO-Sonderbeauftragte habe ich im Land einen VIP-Status. Ich werde vom Flugzeug abgeholt, mit Blaulicht in ganz Myanmar herumgefahren und fliege im Helikopter der Armee. Der Nachteil ist, dass ich unter ständiger Beobachtung stehe.
Dann können Sie sich doch nicht frei bewegen?
Ich werde zwar eskortiert, wen ich aber treffe, entscheide ich selber. Bis jetzt wurde mir kein einziges Gespräch verwehrt. Selbst mit Binnenvertriebenen konnte ich sprechen und habe schreckliche Dinge erfahren. Ich trage diese aber nicht in die Medien. Der Druck kommt ja schon genug von anderen. Zum Beispiel von der UNO, die im August in einem Bericht Gräueltaten und ethnische Säuberungen anprangerte.
Auch Sie gehören zur UNO. Hat das Ihren Handlungsspielraum nicht beschränkt?
Nein. Obwohl ich zur UNO gehöre, werde ich in Myanmar weniger als eine UNO-Vertreterin angesehen. Vielleicht, weil ich immer wieder betone, dass ich Brücken zwischen ihnen und der UNO bauen will. Ich will Vertrauen schaffen, allen zuhören und sie kennen lernen. Deshalb spreche ich auch mit der Armee. Nur dann kann ich etwas bewirken.
Sie kennen De-facto-Staatschefin Aung San Suu Kyi. Als Friedensnobelpreisträgerin verkörperte sie Hoffnung, nun scheint sie eine Marionette der Generäle zu sein.
Man muss ihre Lage berücksichtigen: 25 Prozent der Parlamentssitze gehören dem Militär, es kann wichtige Ministerposten stellen und ist Teil der Regierung. Deshalb muss sie mit der Armee zusammenarbeiten. Vor drei Jahren fanden die ersten demokratischen Wahlen in Myanmar statt – nach 60 Jahren Isolation. Man kann in drei Jahren nicht Wunder erwarten. Es gilt, darauf zu vertrauen, dass sie weiter für Frieden und Demokratie kämpft.
Sie sind Spitzendiplomatin und Mutter zweier erwachsener Kinder. Was raten Sie jungen Frauen, die einen ähnlichen Weg anstreben?
Mein Mann und ich haben uns die Betreuung der Kinder aufgeteilt. Wir waren für die Kinder austauschbar. Als sie klein waren, riefen sie manchmal «MaPa», wenn sie nicht wussten, wer gerade zu Hause ist. Zudem standen wir uns in der beruflichen Entwicklung nie im Weg, sondern überliessen uns abwechselnd den Vortritt. Jungen Frauen rate ich, eigene konkrete Vorschläge zu machen und nicht auf Angebote zu warten. Auch ich musste damals das Jobsharing auf Botschafterstufe selber ins Leben rufen. Das hätte das Aussendepartement doch niemals von sich aus angeboten.
In der Diplomatie gibt es immer noch deutlich mehr Männer als Frauen. Was braucht es, damit das ändert?
Mehr Männer, die Teilzeit arbeiten und zu Hause die Verantwortung übernehmen wollen. Seitens der Arbeitgeber sollten die Präsenzzeiten gelockert werden, denn mit dem Laptop lässt sich die Arbeit von überall erledigen.
Sie bezeichnen sich selbst als Brückenbauerin. Weltweit werden derzeit aber eher wieder Mauern errichtet. Wie sehen Sie die Rolle der Diplomatie im Zeitalter von US-Präsident Donald Trump?
Sie ist wahrscheinlich noch wichtiger geworden. Die Diplomaten wählen ihren Beruf, weil sie über den eigenen Gartenzaun hinausschauen und weil sie für Werte arbeiten, die universell gelten. Leider wurde das Aussendepartement der USA ziemlich verkleinert, und ich bedauere, dass die USA aus dem Menschenrechtsrat ausgeschieden sind. Ich hoffe, dass sie wieder zurückkommen.
Ist Diplomatie schwieriger geworden?
Ich würde sagen: anders. Als ich vor 27 Jahren angefangen habe, mussten wir noch Konventionen erarbeiten. Das war genauso schwierig. Ich war dafür zuständig, dass die Schweiz der UNO-Frauenkonvention beitritt. Ich war an der Weltfrauenkonferenz, da hatte die Schweiz noch das Abtreibungsverbot. Diplomatie ist immer auch Innenpolitik.
Inwieweit verändert die Sprache eines Trump oder Erdogan die diplomatische Kommunikation?
Der Ton unter den Diplomaten ist immer noch respektvoll. Aber generell stelle ich eine Verrohung der Sprache durch die Politiker fest – die durch Twitter befeuert wird. Man muss aufpassen, dass dadurch die Werte nicht aufgeweicht werden.
Wie zeigt sich das in der Friedensvermittlung?
Die Arbeit hat sich nicht gross verändert. Als Vermittlerin muss ich mich in die anderen einfühlen, die kulturellen Unterschiede gut kennen und ein politisches Gespür für die Situation entwickeln. Es kommt manchmal vor, dass ich mich wie ein Boxsack fühle. Alle Minister lassen ihre Wut gegenüber Myanmar an mir aus. Aber ich kann das vertragen. Ich weiss, es gehört zum Job.
Sie waren bis vor wenigen Monaten Schweizer Botschafterin in Deutschland. Das Land erlebt eine Regierungskrise nach der anderen. Die AfD wird immer stärker.
Die AfD ist ein schwieriges Thema. Denn: Wo zieht man die Grenze zwischen direkter Demokratie und Ausgrenzung? Es war selbst für mich keine einfache Frage, wie weit ich Kontakt mit der AfD haben kann, denn die hat ihn natürlich auch zu mir gesucht, weil die AfD die Schweiz gerne als Vorbild darstellt.
Wo zogen Sie die Grenze?
Ganz klar beim Rassismus.
Als Sie Botschafterin in Berlin wurden, war Kanzlerin Merkel in einer anderen politischen Lage als heute. Woher kommt der Machtverlust?
Ich glaube, sie hat in der Migrationspolitik die Ängste der Leute nicht wahrgenommen. Meiner Ansicht nach waren diese auch unbegründet. Wir haben in der Schweiz einen Ausländeranteil von 25 Prozent, in Deutschland sind es 12 oder 13 Prozent. Da braucht man sich vor Überfremdung oder Jobverlust nicht zu fürchten. Durch ihre Flüchtlingspolitik hat Merkel viel Rückhalt im Land verloren – aber in meinen Augen das Richtige getan.