Die Zahl der kirchlichen Trauungen ist in der Schweiz auf einen neuen Tiefststand gesunken. Sollen die Kirchen Gegensteuer geben? Manche tun das – mit unterschiedlichen Massnahmen.
Sie: weisses Kleid. Er: eleganter Anzug. Es ertönt Orgelmusik, Mann und Frau schreiten vor den Traualtar, versprechen ewige Treue, stecken einander die Ringe an, und der Priester erteilt Gottes Segen für den Bund des Lebens: Diese Szenen spielen sich in Schweizer Kirchen immer seltener ab. Die Zahl der katholischen Trauungen ist seit dem Jahr 2011 um rund einen Drittel auf 3453 gesunken, wie aus der aktuellen Kirchenstatistik des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) hervorgeht (siehe Grafik). Die Zahl der Zivilehen blieb im gleichen Zeitraum bei gut 40 000 pro Jahr stabil. Weshalb besiegeln immer weniger Paare ihre Liebe durch das Ja-Wort vor Gott? Hansruedi Huber, Sprecher des Bistums Basel, verweist auf die Säkularisierung, den schwindenden Einfluss der Religion im Alltag. Urs Winter vom SPI ergänzt, dass einzelne Paare andere Wertvorstellungen zu Ehe und Partnerschaft hätten als die katholische Kirche und sich deshalb eine kirchliche Trauung nicht vorstellen könnten.
Wie reagiert die katholische Kirche auf das sinkende Interesse? Sie stehe vor komplett veränderten Marktbedingungen und könne sich nicht mehr darauf konzentrieren, jahrhundertealte Traditionen zu repetieren, sagt Huber. «Sie muss neue Wege finden, wie sie den Menschen den Zugang zu christlicher Spiritualität attraktiv vermitteln kann», sagt Huber. Eine Zunahme an kirchlichen Trauungen würde er begrüssen. «Ein Zeugnis vor Gott ist ein stärkeres Bekenntnis als nur ein ziviler Ehevertrag», sagt der Sprecher des Bistums Basel. Zudem sei es wahrscheinlicher, dass kirchlich getraute Paare ihren Kindern den katholischen Glauben vermittelten.
Ein Vorbereitungsgespräch mit dem Pfarrer führen alle Paare. Die katholische Kirche im Kanton Luzern führt zusätzlich Ehevorbereitungskurse durch, um die Paare auf dem gemeinsamen Lebensweg zu stärken und zu begleiten. Thomas Villiger-Brun, Theologe und Fachverantwortlicher für die Bereiche Ehe, Partnerschaft und Familie, ist überzeugt: Gottes Liebe trägt die menschliche Liebe mit und fördert tragfähige Beziehungen. Die katholische Kirche im Kanton Luzern bietet nicht nur Kurse für Heiratswillige an, sondern macht auch Angebote für Paare in anderen Formen von Partnerschaften, auch gleichgeschlechtliche. Beim «Date im Weinberg», das im Juni auf dem Weingut Bisang in Altishofen stattfindet, gehen Paare der Frage nach, wie sie ihre Liebe auffrischen können und wie die Beziehung – wie der Wein – an Qualität und Reife gewinnen kann.
Offensiv beim Thema Heiraten agiert das Bistum St. Gallen. Seit mehr als 20 Jahren ist deren Fachstelle für Partnerschaft-Ehe-Familie (PEF) präsent an der Hochzeitsmesse in St. Gallen. Und vor drei Jahren hat sie die App «Ja, ich will» lanciert, die Paare mit Push-Mitteilungen auf das Abenteuer Ehe vorbereitet. Das Bistum bietet jährlich zudem 16 Impulstagungen zum Thema an, bei dem es um die Frage geht: Was macht Paare stark? Im Bistum St. Gallen ist die Zahl der kirchlichen Hochzeiten weniger stark gesunken als im schweizweiten Durchschnitt. Ob das etwas mit der App zu tun hat, kann Matthias Koller von der PEF nicht sagen. Der Trend zu weniger Heiraten bedeute eine Herausforderung: «Die Kirche muss sich einmischen und den Gläubigen den Sinn einer katholischen Trauung vermitteln», sagt er. Koller ist überzeugt, dass das Sakrament der Ehe die Partnerschaft stärkt. «Diese Zusage Gottes ermutigt und gibt die Kraft, auch schwere Tage miteinander durchzustehen.» Das Sakrament der Ehe entlaste das Paar davon, alleine für das Gelingen einer Ehe verantwortlich zu sein. Koller betrachtet es nicht als seine erste Aufgabe, möglichst viele Paare für eine kirchliche Heirat zu gewinnen. «Vielmehr wollen mit vielfältigen Impulsen möglichst viele Paare darin unterstützen, gut für ihre Partnerschaft zu sorgen, auch nach einer Heirat», sagt er.
Auch das Bistum Chur preist die kirchliche Ehe nicht als Werbeprodukt an. Man werde das Sakrament aber weiterhin in Seelsorge, Pfarrei und Religionsunterricht verkünden, sagt Sprecher Giuseppe Gracia. Dass immer weniger Paare kirchlich heiraten, zeigt für ihn: «Die Kirche ist immer weniger eine Organisation wie der Touring Club, der man als passives Mitglied angehört und im Bedarfsfall eine Leistung bezieht.» Vielmehr würden vermehrt nur noch jene Sakramente empfangen, die der Kirche glaubensmässig eng verbunden seien. Auf seiner Website gibt das Bistum Chur den Vermählten zehn Rezepte für ein Gedeihen der Liebe. Dazu gehören eine «attraktive Sexualität und Zärtlichkeit», «Lachen, Lust, Freude und Humor» oder der Tipp, die Partnerschaft nicht zu vernachlässigen, wenn einmal Kinder da sind.
Auch Reformierte meiden immer öfters die Kirche, wenn sie den Bund fürs Leben schliessen. Die Zahl der kirchlichen Heiraten verringerte sich seit 2011 um rund 30 Prozent auf 3287 im Jahr 2017. Daniel Reuter, Vizepräsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds, bedauert diese Entwicklung. Mit Angeboten wie Eheseminare oder Paarberatungen, auch in Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche, versuche man, Gegensteuer zu geben. Die Stimmberechtigten der Zürcher Landeskirche haben im September sodann einer Lockerung der Kirchenordnung zugestimmt. Damit kann der Pfarrer auf Wunsch des Brautpaares die Trauung auch an einem andern Ort durchführen, zum Beispiel im Wald.
Bleibt die Frage: Liegt die Scheidungsquote bei Paaren, die kirchlich heiraten, tiefer? Die Frage werde in der Forschung diskutiert, klare Befunde gebe es aber keine, sagt, Urs Winter vom Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut. Das Bistum Chur weiss zumindest, dass Beten Paare stark macht. «Es ist erwiesen, dass Ehen, in denen gebetet wird, stabiler und oft glücklicher sind», heisst es auf der Website.
Ein Pfarrer betreut heute oft mehrere Pfarreien, die Seelsorgerräume wachsen – und mit ihnen die administrativen Aufgaben. Der Koordinationsaufwand raubt den Pfarrern zusehends die Zeit für ihr eigentliches Kerngeschäft, die Seelsorge. Dazu gehören etwa die Vorbereitung von Gottesdiensten, Krankenbesuche, Tauf-, Ehevorbereitungs- oder Trauergespräche. «Klagen über wachsende Bürokratie haben in den letzten Jahren zugenommen», sagt Martin Grichting, Generalvikar des Bistums Chur. Nicht jeder Priester sei ein geborener Organisator, ergänzt er. Manchmal führten diesbezügliche Defizite zu Missmut bei Pfarreiangestellten. Nun gibt die Deutschschweizerische Ordinarienkonferenz (DOK), ein Gremium der Bistümer, das sich regelmässig Gedanken über die Entwicklung zur Seelsorge macht, Gegensteuer.
An ihrer letzten Sitzung hat die DOK beschlossen, eine neue Funktion zu schaffen, nämlich «Leitungsassistenten». Sie sollen die Pfarrer entlasten, indem sie etwa Termine koordinieren, Sitzungsprotokolle verfassen, Budgets erstellen oder bei der internen und externen Kommunikation Support leisten. Es handelt sich also um eine Art Manager für Pfarrer, die sich ums Tagesgeschäft kümmern. Ab nächstem Herbst können Interessierte am theologisch-pastoralen Bildungsinstitut in Zürich in zwei Modulen die «nötige kirchliche Feldkompetenz» erwerben, wie der Bildungsrat der katholischen Kirche in der Deutschschweiz mitteilt. Im Auftrag des Rats hat Grichting mit einer Arbeitsgruppe das Anforderungsprofil erstellt. Der neue Beruf bietet eine Aufstiegsmöglichkeit für Pfarreisekretäre. Grichting hofft zudem, dass sich Aussteiger aus der Wirtschaft mit Managementerfahrung für den Lehrgang melden. Erwartet wird eine positive Grundhaltung zur römisch-katholischen Kirche. Wie viele Leitungsassistenten sollen ausgebildet werden? «Wir haben keine fixe Zahl im Kopf», sagt Grichting. «Es besteht aber Bedarf.» (kä)