Auf Johann Schneider-Ammann (FDP) muss eine Frau folgen, darin sind sich alle einig. Doch tritt diese Woche auch noch Doris Leuthard (CVP) ab, ändert sich die Ausgangslage.
Zu den bestgehüteten Geheimnissen einer Bundesrätin oder eines Bundesrats gehört der Zeitpunkt des Rücktritts. Das hält auch Doris Leuthard nicht anders. Wie lange aber kann die CVP-Magistratin ihr Geheimnis noch hüten? Diese Frage ist seit dem gestrigen Tag, seit der Rücktrittsankündigung von FDP-Bundesrat Johann Schneider-Ammann, akuter denn je. Der Wirtschaftsminister ist der Umweltministerin zuvorgekommen.
Dabei fiebert Bundesbern schon seit einer halben Ewigkeit dem Rücktritt von Leuthard entgegen – genau genommen seit dem 1. August 2017. An jenem Tag machte Leuthard ihren Rücktritt in einem Interview so überraschend wie beiläufig selbst zum Thema. Ohne ein Datum zu nennen, erklärte sie die laufende Legislatur zu ihrer letzten. Egal, was sie seither tut, es wird unter dem Eindruck des bevorstehenden Ausscheidens aus dem Amt eingeordnet. Gestern wollte sich die Bundesrätin, die bei der UNO in New York weilte, nicht näher dazu äussern. Man habe den Rücktritt Schneider-Ammanns zur Kenntnis genommen, liess ein Sprecher ausrichten.
Klar ist: Gibt Leuthard bis zum Beginn der Wintersession am 26. November ebenfalls ihre Demission bekannt, würden die beiden Bundesratssitze am 5. Dezember gemeinsam besetzt.
Die Gerüchteküche brodelt. Aus der CVP-Fraktion kamen gestern widersprüchliche Signale. Namentlich mag sich kaum jemand zitieren lassen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werde Leuthard am Freitag am Rande der Bundesratssitzung ihren Rücktritt bekanntgeben, sind die einen überzeugt. Andere vermuten, Leuthard lasse sich nicht unter Druck setzen und beende die Legislatur nun doch regulär im Winter 2019. Der Bündner Nationalrat Martin Candinas spricht von einem «Spiel der ewigen Spekulationen», während es seine Walliser Ratskollegin Viola Amherd als «müssig» bezeichnet, «sich über mögliche Szenarien zu unterhalten».
Müssige Szenarien? Je nachdem, ob zwei Sitze zur Disposition stehen oder eben nicht, öffnet sich den Parteien mehr oder weniger Raum für Schachzüge. Von Bedeutung ist das Wahlverfahren, vor allem die Reihenfolge der Neubesetzungen. Bei einem Doppelrücktritt würde zuerst der Sitz des amtsälteren Magistraten besetzt – Leuthard ist seit 2006 im Amt, Schneider-Ammann erst seit 2010. Wichtiger jedoch sind diesmal Fragen des Geschlechts und der Herkunft. Die Ostschweiz und die Innerschweiz pochen schon lange auf eine Vertretung im Bundesrat, und nach dem Ausscheiden Leuthards könnte mit SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga nur noch eine Frau vertreten sein. Weil die FDP zwei Bundesräte stellt und mit Ignazio Cassis bereits einen männlichen Vertreter hat, steht eine weibliche Nachfolge im Vordergrund. FDP-Präsidentin Petra Gössi sagt: «Persönlich würde ich es begrüssen, wenn auch eine Frau kandidieren würde.» An erster Stelle stehe aber die Leistungsfähigkeit. Für die Präsidentin der FDP-Frauen, Doris Fiala, ist klar: «Wir fordern ein doppeltes Frauenticket, damit bei der Wahl nichts anbrennt.»
Der Schweiz steht damit ein heisser Polit-Herbst bevor. Vielleicht hat das Land im Dezember wieder drei Bundesrätinnen, vielleicht zwei, vielleicht nur noch eine. Drei mögliche Szenarien:
Szenario 1: Tritt Leuthard ebenfalls zurück, hat die Bundesversammlung zuerst über ihre Nachfolge zu befinden. Sie könnte einen CVP-Mann in den Bundesrat wählen – im Fokus stehen Parteipräsident Gerhard Pfister (ZG) sowie die Ständeräte Erich Ettlin (OW), Stefan Engler (GR) und Pirmin Bischof (SO). So oder so käme das Parlament bei diesem Szenario nicht umhin, anschliessend eine FDP-Frau als Nachfolgerin von Schneider-Ammann zu wählen. Kronfavoritin ist die St. Galler Ständerätin Karin Keller-Sutter; mit ihr wäre der Ostschweizer Wunsch nach einem Bundesratssitz erfüllt. Oder stellt sich am Ende doch Parteichefin Petra Gössi zur Verfügung? Die Schwyzer Nationalrätin erklärte in den vergangenen Monaten mehrfach, sie wolle die Partei in die Wahlen 2019 führen – hat aber durchblicken lassen, dass die FDP auch ohne sie als Präsidentin gut aufgestellt wäre.
Szenario 2: Leuthard tritt zurück, das Parlament wählt eine CVP-Frau zur Nachfolgerin. In Frage kämen Viola Amherd (VS), Elisabeth Schneider-Schneiter (BL) und Ruth Humbel (AG). Bei der FDP bleibt Keller-Sutter in der Poleposition. Weil aber die Frage nach der Frauenvertretung weniger dringlich wäre, hätten auch FDP-Männer Chancen.Oft genannt werden die Ständeräte Martin Schmid (GR), Andrea Caroni (AR) und Damian Müller (LU), ebenso die Nationalräte Beat Walti (ZH) und Christian Wasserfallen (BE).
Szenario 3: Bleibt Leuthard vorerst im Bundesrat, wird im Dezember bloss die Nachfolge von Schneider-Ammann geregelt – auch bei diesem Szenario hat Keller-Sutter die besten Karten. Sie wollte sich gestern nicht zu ihren Absichten äussern und erklärte, der Tag stehe ganz im Zeichen des zurückgetretenen Wirtschaftsministers.
Die FDP freilich wird sich nicht allzu schnell auf eine Kandidatur festlegen. Vielmehr will sie die Aufmerksamkeit vor den eidgenössischen Wahlen im nächsten Jahr nutzen, um sich zu inszenieren. Bewerber müssen formell von den Kantonalparteien nominiert werden. Danach plant die Partei eine Roadshow mit Auftritten in diversen Kantonen. Heute Mittwoch informiert sie über das genaue Vorgehen.
Das Kandidatenkarussell rotiert damit vorderhand erst bei der FDP offiziell. Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli fordert ein doppeltes Frauenticket. Seine Partei wünsche sich eine Auswahl von «zwei fähigen FDP-Kandidatinnen», sagt er. Die SVP erwartet Bewerber, die ein «klar bürgerliches» Profil haben, wie Vizefraktionschef Felix Müri sagt. Das Geschlecht spiele dabei keine Rolle. Müri nennt zwei Namen: Sowohl Karin Keller-Sutter wie auch Petra Gössi würden die Voraussetzungen aus seiner Sicht erfüllen. Doch Keller-Sutter stösst nicht überall in der SVP auf Gegenliebe. «Sie hat ein staatsmännisches Auftreten, was eigentlich positiv ist, für manche aber auch etwas überheblich wirkt», sagt Müri. Trotzdem attestiert er ihr gute Chancen bei seiner Fraktion. Für die SP steht eine Frauenkandidatur im Vordergrund. Vizepräsidentin Barbara Gysi sagt: «Von einer Partei mit zwei Bundesratssitzen darf man durchaus erwarten, dass einer davon mit einer Frau besetzt ist.» Sie persönlich hoffe auf ein Zweier-Frauenticket. Als mögliche Kandidatinnen nennt Gysi neben Keller-Sutter die Berner Nationalrätin Christa Markwalder und die Zürcher Regierungsrätin Carmen Walker-Späh.