Seit die Ausschaffungsinitiative 2016 in Kraft getreten ist, haben die Luzerner Gerichte 51 Landesverweisungen angeordnet. Über die schlimmsten Delikte wird aber erst noch gerichtet.
«Sibirien einfach», hiess es früher. Heute heisst es bei ausländischen Verbrechern vielfach «zurück in die Heimat». Mit der 2010 angenommenen Ausschaffungsinitiative der SVP ist es das Ziel, kriminelle Ausländer schneller und einfacher in ihr Heimatland ausschaffen zu können.
Seit dem 1. Oktober 2016 ist das Gesetz zur Initiative in Kraft. SVP-Kantonsrat Pius Müller wollte in einer Anfrage vom Luzerner Regierungsrat unter anderem wissen, wie viele Landesverweise seitdem ausgesprochen worden sind. Die Regierung liefert nun die Daten dazu: Die Luzerner Staatsanwaltschaft brachte im Zeitraum vom 1. Oktober 2016 bis Mitte Oktober 2018 insgesamt 255 Delikte zur Anklage, die für eine Ausschaffung in Frage kommen. Darunter sind laut Regierung 48 Raubdelikte, 28 Vergewaltigungen, 3 vorsätzliche Tötungen, 9 Tötungsversuche sowie 18 Delikte wegen schwerer Körperverletzung. Anzufügen ist gemäss der Regierungsratsantwort, dass es sich nicht um rechtskräftige Urteile, sondern um Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft handle. Ausserdem könne es pro Fall mehrere Anklagepunkte geben.
Die Bestimmungen zur Ausschaffungsinitiative wurden von den Luzerner Gerichten erstinstanzlich 55 Mal angewendet. 51 Personen haben einen Landesverweis erhalten. Einmal erfolgte ein Freispruch, in drei Fällen hätte die Landesverweisung laut der Regierung dem Freizügigkeitsabkommen mit der EU widersprochen. Effektiv aus der Schweiz ausgewiesen wurden von den Luzerner Behörden laut dem Justiz- und Sicherheitsdepartement 46 Personen. Vier befinden sich momentan im Strafvollzug, ein Verfahren ist hängig. Vergleiche mit anderen Kantonen sind derzeit nicht möglich, weil eine gesamtschweizerische Übersicht fehlt.
Christian Renggli, stellvertretender Generalsekretär des Luzerner Kantonsgerichts, sagt auf Anfrage, dass es für ein Gesamtbild der Auswirkungen der Ausschaffungsinitiative in Luzern «zu früh» sei. Denn es kommen einzig Taten in Frage, die nach dem 1. Oktober 2016 begangen wurden. «Wir gehen davon aus, dass noch einige Delikte bei der Staatsanwaltschaft hängig sind und dass die Gerichte einige Urteile noch nicht gefällt haben.» Gerade schwere Fälle seien oft noch nicht abgeschlossen, da die Strafverfolgung länger dauere. «Diese schweren Delikte befinden sich also quasi noch in der Pipeline.» Das Gesetz sieht vor, dass kriminelle Ausländer zwischen 5 und 15 Jahren des Landes verwiesen werden können. Das Kriminalgericht hat laut Renggli 36 Landesverweise ausgesprochen. Gemäss der Antwort der Regierung beträgt die häufigste Dauer zehn Jahre. 22 Verbrecher dürfen die Schweiz in dieser Zeit nicht betreten. Die längste Dauer beträgt zwölf Jahre, davon betroffen ist ein Krimineller. Dann gibt es noch Fälle von acht, sieben, sechs und fünf Jahren Landesverweis.
Vor der Abstimmung über die Ausschaffungs- und später die Durchsetzungsinitiative drehte sich die Diskussion oft um die sogenannte Härtefallklausel. Also ob für den Betroffenen die Ausschaffung ein schwerer persönlicher Härtefall bedeuten würde und ob das öffentliche Interesse an einer Landesverweisung das private Interesse am Verbleib in der Schweiz überwiegt. Mit dieser Klausel kann von einem Landesverweis abgesehen werden. Sowohl die Staatsanwaltschaft wie auch die Gerichte können die Bestimmung anwenden. Die Härtefallklausel sorgte im letzten Sommer für Schlagzeilen, als das Bundesamt für Statistik (BFS) mitteilte, dass 2017 über 1200 Urteile identifiziert wurden, bei denen ein Landesverweis in Frage gekommen sei. In 54 Prozent der Fälle sei ein Landesverweis ausgesprochen worden. Die Zahlen stellten sich als falsch heraus, das BFS zog die Statistik noch in der gleichen Woche zurück.
Die Luzerner Staatsanwaltschaft hat gemäss Regierung in sechs Fällen von der Härtefallklausel Gebrauch gemacht. Seit Juni 2018 wendet die Staatsanwaltschaft die Klausel allerdings nicht mehr an; sie leitet jeden Fall mit einem potenziellen Landesverweis an die Gerichte weiter. Von diesen ist die Härtefallklausel noch nicht angewandt worden, wie die Regierung schreibt.