Eltern von Behinderten müssen unter dem neuen Erwachsenenschutzrecht mehr Pflichten erfüllen. Dieser «Misstrauenskultur» will CSP-Nationalrat Karl Vogler einen Riegel schieben.
Eva Novak
«Man ordnet sein Leben über all die Jahre, und da kommt Vater Staat und entmündigt uns mit einem neuen Gesetz aufs Schärfste», beklagen die Eltern einer erwachsenen Tochter mit Downsyndrom. Ein anderes Ehepaar, das seinen körperlich und geistig behinderten Sohn während 30 Jahren betreut hat, kritisiert die «zusätzliche unnötige Belastung». Andere sprechen von einer «Verletzung des persönlichen Rechts» oder gar davon, dass sie sich «bildlich gesprochen bis auf die Unterhosen ausziehen» mussten.
Der elterliche Zorn richtet sich gegen jene Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) in der Zentral-, der Nord- oder der Ostschweiz, die von den Eltern erwachsener Behinderter eine ganze Menge Papier verlangen. Die Palette reicht von einem Bericht, in dem alle ein bis zwei Jahre «die Lage der betroffenen Person» darzulegen ist, über ein Inventar ihres Vermögens bis hin zu detaillierter Rechnungsführung samt Zahlungsbelegen. Das verursacht den Eltern, die mit der Pflege ihres behinderten Kindes ohnehin ausgelastet sind, nicht nur zusätzlichen Aufwand, sondern auch Kosten: Betroffene berichten von Rechnungen von ein paar hundert bis mehreren tausend Franken, welche die Kesb für die Kontrolle der Unterlagen gestellt hätten.
Grundlage dafür ist das neue Erwachsenenschutzrecht, das vor gut drei Jahren in Kraft getreten ist. Anders als früher gibt es den Eltern von Behinderten nicht mehr die Möglichkeit, ihre elterliche Sorge über die Volljährigkeit hinaus zu verlängern. Damit sind die Eltern nicht mehr generell von der Pflicht befreit, der Vormundschaftsbehörde regelmässig Rechnung abzulegen und periodisch Bericht zu erstatten. Heutzutage müssen sich die Eltern als Beistand einsetzen lassen und können von den diversen damit einhergehenden Pflichten gemäss Gesetzestext nur entbunden werden, «wenn die Umstände es rechtfertigen».
Von dieser Möglichkeit werde viel zu zurückhaltend Gebrauch gemacht, beklagt Karl Vogler. Mit einer parlamentarischen Initiative will der Obwaldner CSP-Nationalrat dieser «Misstrauenskultur» einen Riegel schieben. In dem Vorstoss, den er kommende Woche in der Sondersession einreicht, verlangt er einen Paradigmenwechsel: Angehörige, die sich um erwachsene Behinderte kümmern, sollen nur noch ausnahmsweise der Kesb Rechenschaft ablegen müssen. «Diese Menschen haben teils jahrzehntelang anstandslos und uneigennützig für ihre behinderten Kinder gesorgt – Tag und Nacht», gibt Karl Vogler zu bedenken. Da dürfe man sie nicht quasi unter Generalverdacht stellen. Die Kesb könnte dann ihre Energie für echte Problemfälle einsetzen.
Dass der christlichsoziale Politiker einen wunden Punkt getroffen hat, bestätigt Insieme, die Dachorganisation der Elternvereine für Menschen mit einer geistigen Behinderung. Man habe viele positive Erwartungen an das neue Erwachsenenschutzrecht gehabt und auf mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Beistand gehofft, berichtet Co-Geschäftsleiterin Christa Schönbächler, um sogleich einzuschränken: «Wir mussten aber feststellen, dass in Situationen, in denen es nicht angemessen erscheint, weit gehende Rechenschaftsablegungen verlangt werden.» Damit würden Eltern, die ihre erwachsenen Kinder mit Behinderung nach wie vor stark unterstützen, «noch zusätzlich mit unnötigen administrativen Aufgaben belastet». Die Praxis der verschiedenen Kesb sei höchst uneinheitlich, was in Einzelfällen zu Unmut und unnötigen Belastungen führe. «Das hängt wohl damit zusammen, dass die Behörden die Lebenssituation der Familien nicht kennen», vermutet Schönbächler. Die Insieme-Co-Geschäftsleiterin setzt ihre Hoffnungen in die Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (Kokes). Der Kanton Bern habe bereits Leitlinien verabschiedet, wie die Kesb mit der Berichts- und Rechnungsablagepflicht von Eltern umgehen sollen, die als Beistand ihrer Kinder eingesetzt wurden (vergleiche Interview). Diesem Beispiel, das vom Grundsatz einer grosszügigen Befreiung ausgeht, solle man landesweit folgen.
Zurzeit würden Empfehlungen ausgearbeitet, bestätigt der stellvertretende Kokes-Generalsekretär Beat Reichlin. Er warnt allerdings vor allzu hoch gesteckten Erwartungen: Die Kesb sei eine Behörde, deren Mitglieder in ihrer Entscheidungsfindung unabhängig seien. Man müsse auch beachten, dass man noch in der Einführungsphase stecke und Erfahrungen sammle. «Wir sollten es nicht als Gegeneinander auffassen, sondern als ein Miteinander für alle Betroffenen», erklärt Reichlin – und verweist auf «wichtige öffentliche Interessen, die ebenfalls im Spiel sind». Denn für Verfehlungen eines Beistands haftet dieser nicht selber, sondern primär der Staat – also am Ende der Steuerzahler.