KRIEGE: Mitten in der Schusslinie

Der Schweizer Kurt Pelda berichtet seit über 30 Jahren aus den Kriegsgebieten dieser Welt. Eine Arbeit, die beim Familienvater Spuren hinterlassen hat.

Léa Wertheimer
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Immer die Krisenherde im Visier: Kurt Pelda bei den kenianischen Aufständen im Jahre 2008. (Bild Thilo Thielke)

Immer die Krisenherde im Visier: Kurt Pelda bei den kenianischen Aufständen im Jahre 2008. (Bild Thilo Thielke)

Krieg, Leichen, Folter, Grausamkeiten, Blut und Zerstörung. All das gehört seit über 30 Jahren zum Berufsalltag von Kurt Pelda. Diese düstere und traurige Welt steht in krassem Gegensatz zur Zürcher Wohnung des Kriegsberichterstatters: Sie ist zwar spärlich eingerichtet, Bilder eine Rarität. Dennoch schallt das Lachen seiner beiden Söhne durch den Flur und verbreitet Fröhlichkeit. Kinderschuhe liegen im hellen Wohnzimmer. Mit grossen, dunklen Augen reichen die beiden Jungs der Besucherin die Hand. Der kleinere trägt einen roten Zwergenhut. Der grössere balanciert artig seinen Frühstücksteller in die Küche. Aufgeweckt, unverhohlen neugierig verfolgen sie das Gespräch, in welchem es oft um den Schrecken in dieser Welt geht.

Zensur für Kinderohren

Einzig ein Kamerastativ und zwei Bücher über die arabische Sprache verraten, was Pelda tut, wenn er die Schweiz verlässt. Seine Werkzeuge sind Videokamera und Laptop. Viele Jahre war er Afrika-Korrespondent der «Neuen Zürcher Zeitung», seither ist er freier Journalist für diverse Medien. Im vergangenen Jahr reiste der 48-Jährige vier Mal ins kriegsgebeutelte Syrien, sah Kampfflugzeuge des Assad-Regimes ihre Bomben abwerfen – nur wenige Strassen von ihm entfernt. «Ich verberge vor meinen Kindern nicht, was ich tue», sagt er. Trotzdem filtert er sorgsam, was für ihre kleinen Ohren zu schrecklich ist. Und solche Bilder gibt es viele. Nach seinem schrecklichsten Erlebnis gefragt, wechselt er die Sprache zu Englisch, seine Art der Zensur, ohne die Kinder wegzuschicken. «Es war nach einem Luftangriff, überall lagen Staub und Schutt», erinnert sich Pelda.

In seinen Augen hinter der intellektuell wirkenden schwarzen Hornbrille macht sich Trauer breit. Auf der Strasse lag ein kleines Mädchen, kaum älter als fünf Jahre. «Ihr fehlten die Füsse, sie war verblutet.» Pelda hält sich an seiner Kaffeetasse fest, sein Blick schweift zu seinen Söhnen, die am Boden mit Karten spielen. «Niemand kümmerte sich um sie, achtlos rannten die Menschen an ihr vorbei.» Sein Blick wird leer. Er habe ihre Eltern nirgends sehen können und: «Ich kann als Vater nur erahnen, wie der Tod ihrer Tochter sie treffen muss.» Und trotzdem verabschiedet er sich immer wieder von seinen Jungs, ohne zu wissen, ob er zurückkehren wird. «Das ist für mich unheimlich schwer – jedes Mal von neuem», sagt er.

Nur ausgewählte Kriege

Sind die Kriege dieser Welt es wert, das Leben zu riskieren? «Nicht alle», sagt Kurt Pelda überzeugt. Er gehöre nicht zu jener Art Kriegsberichterstatter, die wahllos in jedes Krisengebiet reisen. «Es muss sich lohnen», sagt er, meint damit aber nicht aus finanzieller Sicht. Es sind moralische Aspekte, die dem Ökonomen als Entscheidungsgrundlage dienen und ihn antreiben, Mal um Mal in den Krieg zu ziehen. «Ich war etwa nie im Irak», erklärt er. Die Amerikaner hätten sich als Besatzungsmacht hervorgetan. «Das war mir zuwider.»

Anders in Libyen oder Syrien. Dort werde es heute zwar immer schwieriger zu entscheiden, wer die Guten und wer die Bösen seien. Aber zumindest am Anfang waren für Kurt Pelda die Rollen klar verteilt. «Eine unterdrückte Bevölkerung demonstrierte friedlich gegen die Unterdrückung», sagt Pelda. Dann sei die Lage ausgeartet. Auch die Rebellen treten heute die Menschenrechte immer wieder mit Füssen, dessen ist er sich bewusst. Er habe eine Antipathie gegen Diktatoren wie Assad. «Das bedeutet aber nicht, dass ich alles gutheisse, was die Rebellen tun.»

Vertrauen auf Gedeih und Verderb

Trotzdem vertraut er den Kämpfern der syrischen Opposition Reise um Reise sein Leben an und stellt mit Ernüchterung fest, dass sie sich im letzten Jahr verändert haben: «Sie sind verwildert». Diese Wandlung habe er vor allem an seinem Übersetzer Anwar bemerkt. «Für mich ist er mittlerweile ein Freund.» Anwar riskiere immer wieder sein Leben, um ihn mitten in die Konfliktzone zu bringen. Das schweisse zusammen. «Ich vertraue ihm absolut», sagt Pelda, und dies, obwohl ihn der Syrer auch schon belogen habe. «Mir entgeht nicht, dass sie mich zuweilen für ihre Sache instrumentalisieren wollen.» Er spare nicht mit Kritik, wenn er sehe, dass die Rebellen ihre Gefangenen misshandeln. Er heisse das nicht gut, und das wüssten sie genau. Trotzdem sei es wichtig, dass jemand zeige, was in Syrien geschieht.

Narben eines Krieges

Als Pelda Anwar vor über einem Jahr kennen lernte, haftete dem Syrer noch etwas Jugendliches an. «Heute hat er einen verwegenen Bart und ist zum Hardliner geworden, der den Koran über allem hält.» Aber er rauche, trinke – obwohl der Koran ihm das verbieten würde. Immer häufiger nehmen die Rebellen auch Grausamkeiten an der Zivilbevölkerung in Kauf oder begehen sie eigenhändig. Kurt Pelda, der sich eben noch als Idealist manifestierte, zeigt Verständnis für diese Radikalisierung, wenn auch nur teilweise. «Wir sitzen hier an der Wärme, in Sicherheit und können uns einfach nicht vorstellen, was es heisst, um unser Leben zu fürchten.» Diese Angst fördere Hass und Ohnmacht. Der Krieg gehe nie spurlos an Menschen vorbei, sagt er.

Aber auch an Kurt Pelda selbst haben die Kriege Spuren hinterlassen. «Ich bin kein neutraler Beobachter.» Und man glaubt es ihm. Immer wieder gleitet sein Blick ab, Erinnerungen scheinen übermächtig zu werden. Die Narben in Kurt Peldas Seele sind nur zu erahnen. Das weiss er. «Ich schramme an einer posttraumatischen Belastungsstörung vorbei», gesteht er offen. Posttraumatische Belastungsstörungen sind die seelischen, körperlichen und psychosozialen Folgen, die sich bei Menschen zeigen, die etwa im Krieg waren oder eine Katastrophe miterlebten. Besonders seine letzte Reise nach Syrien habe Pelda arg mitgenommen. «Ich schlafe immer schlechter, komme nicht zu Ruhe.»

Hoher Preis für fremde Kriege

Der Krieg hat sich in seinem Kopf festgebissen und fordert nun seinen Tribut. «Das ist für mein Umfeld nicht immer einfach», gesteht er. Er rede viel über Syrien, obwohl es nicht alle hören wollen. «Vermutlich ist auch meine Ehe daran gescheitert.»

Während des Gesprächs huscht kaum ein Lächeln über das noch jugendlich wirkende Gesicht. Als aber Peldas jüngerer Sohn die Knie seines Vaters erklimmt, schleich sich ein Schmunzeln in dessen Gesicht. Er drückt den Jungen an sich. Jedes Mal, wenn er die Koffer packe, habe er Angst, zuweilen auch Todesangst, aber vor allem graut es ihm davor, seine Kinder nicht mehr zu sehen. «All die Kriege, die ich sehe, machen die Freiheit und Sicherheit, die wir hier geniessen, noch viel wertvoller.»

Freiheit scheint denn auch das wertvollste Gut des Journalisten zu sein, der sich vor drei Jahren selbstständig gemacht hat. Fragt man ihn, was er am meisten fürchtet, ist es nicht etwa der Tod. Die Antwort kommt prompt: «Entführt zu werden.» Dies sei auch der Grund, warum er nicht nach Mali reise. «Das Risiko, als Westler und obendrein noch Journalist entführt zu werden, ist enorm.» Pelda hatte sich zwar mit den Tuareg in Verbindung gesetzt, die ihn ins Hinterland hätten bringen sollen. «Sie verlangen 16 000 Franken, damit sie für meine Sicherheit garantieren», erzählt er. Das sei zu viel für sein Budget.

Trotz der psychischen Strapazen ist eine weitere Reise nach Syrien geplant. «Ich habe mir dort ein Auto gekauft und will quer durch das Land reisen.» Ein empörter Ausruf kommt von den spielenden Jungen. Ein Streit unter Brüdern ist entbrannt. Und plötzlich wird der Kriegsberichterstatter zum Diplomaten.

Der gefährliche Job im Krieg

lea. Immer wieder setzen Journalisten ihr Leben aufs Spiel. Doch noch nie starben so viele wie im vergangenen Jahr. Laut Statistik des Internationalen Presseinstituts mit Sitz in Wien starben dieses Jahr bereits 15 Reporter in Ausübung ihres Berufes. 2012 liessen insgesamt 133 Reporter im Einsatz ihr Leben. Allein in Syrien fanden 39 Journalisten den Tod.

Lange Geschichte

Die Geschichte der Kriegsberichterstatter ist lang. Schon im Mittelalter verfolgten Herolde das Geschehen im Gefecht. Während des Ersten Weltkrieges erreichten erstmals bewegte Bilder von der Front die Zivilbevölkerung.

Seit dem Krieg im Irak gibt es immer häufiger sogenannte «embedded journalists». Diese Reporter werden von den Armeen bei militärischen Operationen eingebunden. Allerdings nur unter Aufsicht der Presseoffiziere und erst, nachdem bindende Verhaltensregeln vertraglich vereinbart wurden. Erstmals praktizierte das die US-Army im Irak-Krieg 2003. Mittlerweile gibt es dieses Phänomen in beinahe allen westlichen Armeen.

Mangelnde Objektivität?

Das Problem mit den «embedded journalists» liegt auf der Hand: Einerseits haben die Reporter dabei einen direkten Einblick ins Kriegsgeschehen und Zugang in Gebiete, in welchen sie sich ohne die Militärs wohl nicht sicher bewegen könnten. Andererseits besteht die Gefahr, dass sich die Journalisten zu sehr von einer Seite und deren Perspektive auf den Konflikt vereinnahmen lassen.